Der dritte Pol schmilzt weg

Das Klima im Himalaya erwärmt sich fast doppelt so schnell wie der weltweite Durchschnitt

Der Himalaya ist von Ländern umgeben, die unter Wassermangel leiden. 1,3 Milliarden Menschen sind auf das Wasser der Flüsse angewiesen, die in dem Gebirge entspringen. Doch die Gletscher schmelzen.

Der Himalaya und die umliegenden Gebirge gelten als der dritte Pol der Erde. Abgesehen vom Nord- und Südpol hat keine Region der Welt mehr Eis und Schnee. 46‘000 Gletscher verteilen sich auf eine Fläche von 4,3 Millionen Quadratkilometern. Diese Gletscher speisen die wichtigsten Flüsse Asiens – vom Amu Darya in Afghanistan, Tajikistan, Turkmenistan und Usbekistan, über den Indus in Pakistan, den Ganges und Brahmaputra in Indien und Bangladesch, den Irrawady in Burma, den Mekong in Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam, bis hin zu den beiden grossen Strömen Chinas: der Yangtze und der Gelbe Fluss (siehe Karte). Der Himalaya wird daher auch als ‚Wasserturm Asiens‘ bezeichnet, denn die meisten der Länder rund um das Gebirgssmassiv leiden unter Wassermangel und sind auf das Wasser dringend angewiesen.

Wasserturm. Rund um den Himalaya herrscht Wasserstress. (Karte: International Water Security Network)
Wasserturm. Rund um den Himalaya herrscht Wasserstress. (Karte: International Water Security Network)

Doch die Gletscher sind auf dem Rückzug in Folge eines Angriffs von zwei Fronten: dem Klimawandel und der Luftverschmutzung. Die Temperaturen im Himalaya steigen fast doppelt so schnell wie der weltweite Durchschnitt. Mittlerweile ist es rund um den Mount Everest 1,5 Grad wärmer als zu Beginn der Industrialisierung. [1] Hinzu kommt die Luftverschmutzung: Russ und Staub lagern sich auf den Gletschern ab. Diese werden dadurch dunkler und absorbieren mehr Sonnenlicht. Wenn das Eis schmilzt und sich Gletscherseen bilden, beschleunigt sich das Abschmelzen zusätzlich: „Es ist ein positiver Rückkopplungseffekt“, sagt Duncan Quincey von der Universität Leeds. [2] „Ein See absorbiert mehr Sonnenlicht als Gestein und das erwärmt das Wasser. Dadurch schmilzt mehr Eis und der See wird grösser.“ [2] Die Gletscherseen sind ausserdem gefährlich: Wenn der Wasserdruck auf die Moräne zu gross wird, können sich die Seen plötzlich entleeren – mit verheerenden Auswirkungen auf die darunter liegenden Dörfer. Joseph Shea von der Universität Saskatchewan in Kanada warnt: „Grössere Seen erhöhen die Gefahr katastrophaler Dammbrüche.“ [4]

Zuschauer. Im Everest Basecamp kann man den Gletschern beim Schmelzen zuschauen. In einigen Jahren muss das Camp deswegen wohl verlegt werden. (Foto: Hendrik Terbeck / Flickr)
Zuschauer. Im Everest Basecamp kann man den Gletschern beim Schmelzen zuschauen. In einigen Jahren muss das Camp deswegen wohl verlegt werden. (Foto: Hendrik Terbeck / Flickr)

Die grösste Gefahr der schmelzenden Gletscher kommt aber nicht plötzlich sondern schleichend. 1,3 Milliarden Menschen hängen vom Wasser in den zehn Flüssen ab (siehe Tabelle). Durch das Abschmelzen der Gletscher vergrössert sich deren Wassermenge kurzfristig. Langfristig werde sich aber der Anteil des Schmelzwassers in den Flüssen halbieren, besagt eine neue Studie im Wissenschaftsmagazin Nature. [5]  „Der Fortbestand und die Stetigkeit der Frischwasserzufuhr sowohl hinsichtlich Quantität als auch Qualität in der Zukunft ist die grösste Sorge“, sagte Paolo Gabrielli von der US-Universität Ohio State. [6 Dies gilt insbesondere in Jahren mit wenig Regen wie die Nature Studie zeigt. In einem Jahr mit durchschnittlich viel Regen trägt das Schmelzwasser nur wenig –zwischen 0,1 und drei Prozent – zum Wasser in den Flussgebieten bei. Bei grosser Trockenheit allerdings spielen die Gletscher eine viel wichtigere Rolle: Wenn weniger Regen fällt, steigt der Anteil des Schmelzwassers in den Flüssen stark an. In trockenen Sommern kommt beispielsweise das Wasser im oberen Indus, der durch China, Indien und Pakistan fliesst, überwiegend aus den Gletschern.

Die zehn großen Flusssysteme der Himalaya-Region

FlussEinzugsgebiet in km²Länge in kmWassermenge in m³/sBevölkerung in Tausend
Amudarja534.73924002.52520.855
Brahmaputra651.335384819.8118.543
Ganges1.016.124251016.648407.466
Indus1.081.71832006.6178.483
Irrawaddy413.7121701332.683
Mekong805.60440231657.198
Saluen271.91428154.8765.982
Tarim1.152.44820301588.067
Jangtse1.722.193641830.166368.549
Gelber Fluss944.9754642.571147.415
Gesamt8.594.7551.345.241
Quelle: IUCN/IWMI, Ramsar-Konvention und WRI, 2003 (zitiert von ICIMOD [11])

 

Dies trifft einige der instabilsten und wasserärmsten Regionen der Welt. Verschärft wird die Situation oft noch durch schlechtes Wassermanagement Dies gilt etwa für Zentralasien. Dort teilen sich Tadschikistan, Kirgistan und Usbekistan das Wasser des Syr Darya Flusses, der schliesslich wie der Amu Darya in den Aralsee mündet. Zur Zeit der Sowjetunion wurden im flussaufwärts gelegenen Kirgistan und Tadschikistan riesige Reservoirs gebaut um im Winter Wasser zu sammeln. Dieses wurde dann im Sommer zur Bewässerung der Baumwollfelder im flussabwärts gelegenen Usbekistan benutzt. Im Gegenzug versorgte dieses Kirgistan und Tadschikistan mit Energie im Winter. Heute lassen die beiden ‚Wasserschlösser‘ das Wasser im Winter durch die Turbinen rauschen, weil sie von den Usbeken keine Energie fürs Heizen mehr bekommen. Und im Sommer ist dann kein Wasser für die Baumwollfelder mehr da. Hinzu kommt, dass die gesamte zur Verfügung stehende Menge an Wasser wegen des Klimawandels um ein Viertel abgenommen hat und die Bevölkerung rasant wächst. [7]

Kritisch ist auch die Situation in Pakistan. Das Land leidet regelmässig unter Dürren und dann wieder unter Überschwemmungen. Wegen billiger Pumpen sinkt zudem der Grundwasserspiegel. Eine aktuelle Studie in Nature zeigt den Zusammenhang zwischen dem internationalen Handel mit Lebensmitteln und dem nicht-erneuerbaren Verbrauch von Jahrtausende-altem Grundwasser. [8] Spitzenreiter ist hier Pakistan. Das Land hat seine Reisproduktion und damit –exporte in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Mit dem Reis exportiert es aber auch sein Grundwasser. Im Jahr 2010 hat Pakistan 7,3 Kubikkilometer Grundwasser exportiert. Dieses Wasser wird in Zukunft fehlen. Das World Resources Institute kommt denn auch zum Schluss, dass Pakistan eines der 33 Länder sein wird, die in gut zwanzig Jahren unter „extrem hohem Wasserstress“ leiden werden. [9] Dieses Schicksal teilt sich das Land mit vier weiteren Ländern, deren Wasserversorgung zum Teil von den Gletschern im Himalaya abhängt: Afghanistan, Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan.

Nur wenig besser sieht es in China aus. Das Land ist Heimat für 21 Prozent der Weltbevölkerung, hat aber nur sieben Prozent des Frischwassers. Den 20 Millionen Einwohnern von Peking stehen jährlich nur 100 Kubikmeter Wasser pro Person aus regionalen Brunnen und Quellen zur Verfügung. [10] Für die UNO leidet ein Landstrich aber schon unter ‚Wasserstress‘, wenn pro Person weniger als 1700 Kubikmeter Wasser verfügbar ist. Hinzu kommt die Wasserverschmutzung: Knapp 60 Prozent des Grundwassers ist verunreinigt. [10] Für Dabo Guan von der britischen East Anglia Universität ist der Wassermangel denn auch „die schwerste Umweltkrise Chinas“, wie er gegenüber dem Guardian sagte. [10] Hinzu komme, dass die Menschen den Mangel nicht wahrnehmen: Die Leute „sehen den Smog, aber es ist selten, Wasserverschmutzung oder das Austrocknen eines Flusses zu sehen. Die Leute sind dem nicht ausgesetzt.“ [12] Das gilt auch für die Gletscher im Himalaya: Sie schmelzen – mit schwerwiegenden Folgen für 1,3 Milliarden Menschen – aber kaum einer sieht’s. mic

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[1] Iccinet, 2012: Himalayas

[2] Outside, 12.04.2016: Climate Change Is Melting Everest

[4] Science, 17.02.2017: Melting glaciers around Mount Everest may be forming killer lakes

[5] Nature, 11.05.2017: Asia’s glaciers are a regionally important buffer against drought

[6] Glacierhub, 09.06.2016: US & China Research Coordination at the Third Pole

[7] Weltinnenpoliti, 26.10.2008: Die Schweiz hilft Zentralasien beim Wasser Sparen

[8] Nature, 30.03.2017: Groundwater depletion embedded in international food trade

[9] WRI, 26.08.2015: Ranking the World’s Most Water-Stressed Countries in 2040

[10] The Guardian, 22.03.2017: Will China’s children solve its crippling water shortage problem?

[11] Icimod, undatiert: River Basins