Wir schreiben das Jahr 2007 und da hat jemand eine «kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts» verfasst. Dies scheint verfrüht, aber der Autor glaubt, die Entwicklung, die das 21. Jahrhundert prägen wird, erkannt zu haben: Die Einebnung der Welt durch Technologie und Kapitalismus. Am 9.11.1989 wurde die Zweiteilung der Welt überwunden. Die Berliner Mauer fiel und Hunderte Millionen Menschen erhielten Zugang zur freien Welt und zum Weltmarkt.
Längst haben sich internationale Arbeitsabläufe auf die neuen Möglichkeiten eingestellt: Konzerne unterhalten Entwicklungsabteilungen auf allen Kontinenten, um 24 Stunden am Tag an wichtigen Projekten arbeiten zu können. Radiologen in Indien beurteilen Röntgenbilder, die ihnen per E-Mail zugestellt werden. Studenten aus China erteilen Schülern aus England Nachhilfeunterricht über das Internet. Informationen, die früher höchstens in Universitätsbibliotheken erhältlich waren, stehen heute jedem Primarschüler kostenlos zur Verfügung.
Schon einmal haben Technologie und Kapitalismus die Welt umgewälzt. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer, und der Autor stellt die Frage, ob auch heute Ricardo noch Recht hat. David Ricardo (1772-1823) hat mit seiner Theorie der komparativen Kostenvorteile gezeigt, dass Freihandel für alle beteiligten Länder zu Wohlstandsgewinnen führt. Friedman zeigt sich überzeugt, dass dem auch heute noch so ist, allerdings unter einer Voraussetzung: Wir müssen mehr in Bildung investieren, um sicherzustellen, dass wir weiter einen komparativen Vorteil bei den anspruchsvollsten Tätigkeiten behalten.
Von der Einebnung der Welt profitieren aber nicht Europa, Amerika und Asien, sondern auch Kräfte, die den freien Austausch von Ideen, Waren und Dienstleistungen zerstören wollen. Durch die Sicherheitsvorkehrungen nach den Anschlägen vom 11.9.2001 werden neue Mauern zwischen den Menschen errichtet. Friedman verdichtet die beiden Szenarien, daher auf die Wahl zwischen dem 9.11. (Fall der Mauer) und dem 11.9. (Anschläge auf das World Trade Center in New York). Im einen haben wir eine flache Welt, geprägt von Optimismus, Kommunikation und Kooperation, im anderen eine flache Welt geprägt von Angst, Misstrauen und Terror.
Für europäische Leser ist die Mischung aus Reise- und Erlebnisbericht ungewohnt. Von Politikempfehlungen, über Managementtipps zu Ratschägen für Studenten dekliniert der Autor das Thema durch. Eigentlich fehlt nur das Kochrezept zur flachen Welt. Kurz, das Buch ist spannend, aber mit 688 Seiten zu lang, und es empfiehlt sich selektives Lesen. mic
Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach – Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts Suhrkamp, 688 Seiten, gebunden, 47,70 Fr. ISBN 3-518-41837-8
Aus der Basler Zeitung vom 24.09.2007