Verhandlungen über Finanzziel könnten durchaus scheitern
Die Länder der Welt verhandeln über Geld, viel Geld. In der ersten Woche der UN-Klimakonferenz gab es dabei kaum Bewegung. Damit sind die wesentlichen Fragen noch offen: Wer zahlt? Und wie lassen sich private Investitionen hebeln? Denn ohne die geht es nicht.
NCQG. Um diese vier Buchstaben geht es bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. NCQG steht für: New Collective Quantified Goal, also das neue, kollektive und quantifizierte Ziel für die Klimafinanzierung. Zurzeit unterstützen die Industriestaaten die Entwicklungsländer mit jährlich 100 Milliarden Dollar bei der Reduktion der Emissionen, der Anpassung an die Erwärmung und der Behebung klimabedingter Schäden. Dieses Ziel gilt aber nur noch für dieses Jahr und ab nächstem Jahr soll ein neues Ziel gelten. Doch bevor die Konferenz erfolgreich abgeschlossen und ein neues Ziel verkündet werden kann, müssen die Länder drei Knackpunkte lösen. Und dann ist da noch die COP-Präsidentschaft.
Auf das 100-Milliarden-Ziel haben sich die Länder im Jahr 2009 bei der Klimakonferenz in Kopenhagen geeinigt. Diese war de facto gescheitert, aber legte den Grundstein für das Paris Abkommen aus dem Jahr 2015. Und dieses enthielt eben die letztlich freihändig gewählte Zahl von 100 Milliarden. Das neue Ziel soll nun aber auf den Bedürfnissen der Entwicklungsländer beruhen und diese sind riesig, wie eine aktuell Studie zeigt: Die Entwicklungsländer (ohne China) benötigen 2400 Milliarden Dollar pro Jahr, wenn die Menschheit die Klimaerwärmung bei „deutlich unter zwei Grad“ stoppen will, wie im Paris Abkommen vereinbart. Davon können die Entwicklungsländer 1400 Milliarden selbst aufbringen und die restlichen 1000 Milliarden müssen aus ausländischen Quellen finanziert werden. Aus Sicht der deutschen Klimabeauftragten Jennifer Morgan kann dieses Geld aber nicht von den Regierungen der reichen Ländern allein kommen: „Es ist absolut unrealistisch, dass wir jetzt Gelder in Billionenhöhe aus öffentlichen Haushalten der Industrieländer bereitstellen.“ Die Studie zeigt denn auch, dass ein Großteil des Geldes private Investitionen sein werden. Morgan sagt daher: „Es geht hier wirklich um einen Paradigmenwechsel, um einen neuen Ansatz, in dem auch viel mehr private Mittel gehebelt werden sollen.“ Und genau daran wird sich das Resultat von COP29 schließlich messen lassen müssen: am „Paradigmenwechsel“. [1]
Doch wo private Mittel „gehebelt werden“, braucht es erst einen Hebel, also öffentliche Mittel. Bislang müssen nur 23 westliche Industrieländer und die EU Klimahilfen bereitstellen. Das wurde 1992 so festgelegt. Doch seither sind manche Entwicklungsländer wie China oder Saudi Arabien wohlhabender geworden und haben auch viel höhere Emissionen als vor gut 30 Jahren. Für Morgan folgt daraus, „dass alle Länder, die etwas leisten könnten, aber das bisher nicht tun, mitziehen“. [1] Doch die Entwicklungsländer lehnen eine Erweiterung des Kreises der Geberländer strikt ab. In der ersten Woche hat China allerdings signalisiert, dass es bereit sein könnte, zumindest über die eigene Klimafinanzierung zu berichten. Chinas Vizepremier Ding Xuexiang sagte: „Seit 2016 hat China Mittel von mehr als 24,5 Milliarden Dollar bereitgestellt und damit andere Entwicklungsländer bei der Bewältigung des Klimawandels unterstützt.“ Das war das erste Mal, dass ein chinesischer Regierungsvertreter nicht von „Süd-Süd-Kooperation“ sondern explizit von „Klimafinanzierung“ sprach. Auch wenn es keine formelle Erweiterung des Geberkreises geben sollte, ist daher denkbar, dass die Entwicklungsländer so wie die Industriestaaten zumindest über ihre Klimafinanzierung berichten müssen. Denn indirekt ist jedes Land schon heute Geber über die Beteiligung an den multilateralen Entwicklungsbanken.
Normalerweise stehen bei COPs zwei Themen im Vordergrund, meist die Reduktion der Emissionen und Geld. Das ermöglicht Kuhhändel zwischen den beiden Themen. In Baku dominieren die Finanzverhandlungen hingegen alle anderen Themen. COP29 gilt daher auch als die „Finance COP“. Insbesondere die Industriestaaten wollen trotzdem auch Fortschritte bei den Emissionen machen. Konkret geht es hier um die „Abkehr von den Fossilen“, die letztes Jahr bei der Konferenz in Dubai vereinbart wurde. Morgan sagt denn auch: „Wir wollen auf dieser COP die Umsetzung vergangener Einigungen konkretisieren.“ [1] Zu erwarten ist daher, dass die Länder zusagen, die Kapazität ihrer Stromspeicher bis zum Jahr 2030 zu versechsfachen. Das ist nötig, um eine weitere Zusage aus Dubai umzusetzen: die Verdreifachung der Erneuerbarenkapazität bis 2030. Aus EU Sicht ist zudem klar: „Es braucht einen globalen Kohleausstieg, auch für klare Bekenntnisse hierzu setzt sich die EU ein“, sagt Morgan. Anfang nächsten Jahres müssen die Länder neue Klimapläne vorlegen, die aufzeigen, wie stark die Emissionen bis zum Jahr 2035 sinken. Und diese Pläne sollen möglichst kompatibel damit sein, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen. Daher hofft die EU, dass möglichst viele Länder den Ausstieg aus der Kohleverstromung in ihren Plänen verankern. Das einzige Ex-EU-Land, Großbritannien, ist hier bereits mit gutem Beispiel vorangegangen: Es hat bereits seinen Plan für 2035 vorgelegt und ist dieses Jahr aus der Kohle ausgestiegen. Gemäß dem Climate Action Tracker ist Großbritanniens 2035-Ziel einer Emissionsreduktion von 81 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 denn auch „gerade im 1,5-Grad-kompatiblen Bereich“. [2]
Insbesondere die Finanzverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, wäre für jedes Gastgeberland und damit für jede COP-Präsidentschaft eine Herausforderung. Doch Aserbaidschan macht sich die Aufgabe zusätzlich selbst schwer. Der Präsident des Landes, Ilham Aliyev, bezeichnete nicht nur die riesigen Ölvorkommen seines Landes als „Geschenk Gottes“, sondern beschuldigte auch „einige Politiker, staatlich kontrollierte Nichtregierungsorganisationen und Fake-News-Medien in westlichen Ländern“ der „Heuchelei“. EU-Spitzendiplomat Josep Borrell sah sich daraufhin bemüßigt, die „Angriffe der aserbaidschanischen Behörden auf Medien und Nichtregierungsorganisationen, die sich mit der kritischen Menschenrechtslage in dem Land befassen“, zurückzuweisen. Und auch bei der Organisation der Verhandlungen fehlt den Aserbaidschanern ein Gefühl für die Stimmung: Sie forderten etwa, dass die Verhandlungen über nationalen Anpassungspläne auf nächstes Jahr verschoben werden, als es gerade Fortschritte gab. Daraufhin kam es zu einer „kollektive Meuterei“, wie das inoffizielle COP-Protokoll des kanadischen Thinktanks IISD einen Teilnehmer zitiert. [3] Die Länder beschlossen, das Thema entgegen dem Wunsch der COP-Präsidentschaft auf die zweite Woche zu verschieben. Gemäß IISD kommentierte ein „ekstatischer“ Diplomat diesen ungewöhnlichen Vorfall mit den Worten: „Dies war eine der wildesten multilateralen Verhandlungen, die ich in meiner Karriere erlebt habe.“ Und genau das erwarten viele auch für die letzten Tage in Baku: eine der wildesten und unberechenbarsten Konferenzen seit Jahren.
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[1] FR, 17.11.2024: Sonderbeauftragte Jennifer Morgan: „Klimagipfel sind weiter extrem wichtig“