Umweltorganisationen kritisierten Vorgehen zur Überwindung einer jahrelangen Blockade
Dass sich knapp 200 Länder bei manchen Themen nicht einigen können, ist nicht verwunderlich. Mit einem zumindest ungewöhnlichen Ansatz konnte nun eine dieser Blockaden gelöst werden. Für viele schuf dies allerdings einen gefährlichen Präzedenzfall.
Am ersten Tag der 29. UN-Klimakonferenz (COP29) in Aserbaidschans Hauptstadt Baku wurde bereits der erste Beschluss verabschiedet und löste prompt massive Proteste vieler Umweltorganisationen aus. Auf den ersten Blick ging es bei dem Beschluss um ein technisches Thema: die Regeln für CO2-Kompensationen von Firmen oder kurz Artikel 6.4 des Paris Abkommens. Dieser Artikel soll es Firmen ermöglichen unvermeidbare Emissionen zu kompensieren, indem sie in Klimaschutzprojekte investieren. Damit sollte sich, zumindest theoretisch, Geld für den Klimaschutz in ärmeren Ländern mobilisieren lassen. Gleichzeitig hat dieser „Ablasshandel“ zuletzt für negative Schlagzeilen gesorgt: Der Marktführer für CO2-Komepensationen, die Firma South Pole aus der Schweiz, musste letztes Jahr ihr weltweit größtes Projekt stoppen. [1]
Während South Pole im freiwilligen Markt für CO2-Kompensationen tätig ist, soll nun zusätzlich ein UN-regulierter Markt geschaffen werden. Und dieser Markt braucht Regeln, die idealerweise ein Debakel wie das von South Pole verhindern. Doch seit Verabschiedung des Paris Abkommens im Jahr 2015 war es den Ländern nicht möglich, sich auf diese Regeln zu einigen. Aus diesem Grund hat dieses Jahr das Aufsichtsgremium von Artikel 6.4 Regeln entwickelt. [2] Und diese Regeln wurden nun den Ländern zur Verabschiedung vorgelegt, ohne die Möglichkeit nochmals darüber zu verhandeln. Der pazifische Inselstaat Tuvalu äußerte Unbehagen mit diesem Vorgehen, doch lehnte die Regeln nicht rundheraus ab. Daraufhin erklärte Konferenzpräsident Mukhtar Babayev, Aserbaidschans Umweltminister, den Beschluss als angenommen. Somit hat Artikel 6.4 jetzt Regeln.
Umweltorganisationen kritisierten dieses Vorgehen anschließend massiv: „Wenn Texte auf diese Weise angenommen werden können, wo ziehen wir dann die Grenze? Darf das Aufsichtsgremium jede Art von Regelung annehmen und dann die Länder die Entscheidungen ohne echte Diskussion absegnen lassen? Das sollte nicht mehr vorkommen“, sagte etwa Isa Mulder von Carbon Market Watch aus Brüssel. Es gab aber auch positive Einschätzungen: “Es ist nicht an der Zeit, Artikel 6 weiter auf die lange Bank zu schieben. Es ist kein Geheimnis, dass es nach wie vor eine große Lücke in der Klimafinanzierung gibt, und ein funktionsfähiger UN-CO2-Markt mit klaren Regeln kann ein unschätzbares Instrument sein, um den Fluss von Finanzmitteln in Länder zu verbessern, die die kohlenstoffreichsten Ökosysteme der Welt verwalten”, sagte Florence Laloe von der US-Organisation Conservation International.
Die Länder haben sich zudem am Abend des ersten Konferenztages auf die Agenda geeinigt. Damit konnten zwei weitere, potentiell explosive Probleme eingehegt werden. China und Indien hatten einen Agendapunkt zum „CO2-Zoll“ der EU verlangt. Doch schließlich gaben sich die beiden Länder damit zufrieden, dass Babayev informelle „Konsultationen“ zu diesem Thema führt. Und beim zweiten Streitpunkt brachte eine Fußnote die Lösung. Hier ging es um die Folgen aus der „Globalen Bestandsaufnahme“, die letztes Jahr verabschiedet wurde. Diese Verhandlungen sind Teil des Finanzstrangs in Baku. Diesmal forderten die Industriestaaten einen eigenständigen Agendapunkt, da sich die Folgen nicht auf finanzielle Aspekte beschränken, sondern auch die Senkung der Emissionen durch einen Ausstieg aus den fossilen Energien umfassen. Diesem Anliegen wurde schließlich in einer Fußnote Rechnung getragen. Damit konnte am Dienstagmorgen COP29 wirklich losgehen.
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[1] Reuters, 27.10.2023: Carbon offset firm South Pole cuts ties with Zimbabwe forest project