Für viele Länder mit Bodenschätzen sind diese ein Fluch
Wenn ein Land große Vorkommen an Öl, Gas oder anderen Bodenschätzen entdeckt, dann fühlt sich das an wie ein Lottogewinn. Und genauso ist es auch: Nur wer den neuen Reichtum weise nutzt, hat langfristig etwas davon. Für die anderen erschweren die Rohstoffe die wirtschaftliche Entwicklung.
„Es wird allgemein beobachtet, dass in den Ländern mit dem größten Überfluss das ärmste Leben herrscht“, schrieb die englische Publikation The Spectator bereits im Jahr 1711. [1 s. S. 680] Mehr als 200 Jahre später kommt der damalige Ölminister von Venezuela, Juan Pablo Pérez Alfonzo, zu einer ähnlichen Einsicht: „In zehn oder zwanzig Jahren werden Sie sehen, dass das Öl uns ins Verderben stürzen wird. Es ist der Kot des Teufels.“ [2] Obwohl der negative Zusammenhang zwischen Rohstoffreichtum und geringer wirtschaftlicher Entwicklung schon sehr lange bekannt war, dauerte es aber bis 1993, bis das scheinbar paradoxe Phänomen einen Namen bekam. Damals prägte der Wirtschaftsgeograph Richard Auty von der britischen Universität Lancaster den heute gängigen Begriff „Ressourcenfluch“. [3]
Doch Rohstoffe müssen kein Nachteil sein, im Gegenteil: Die Industrialisierung begann in Ländern, in denen gleich zwei Rohstoffe – Kohle und Eisenerz – vorkommen wie in Großbritannien und Deutschland. Und heute zeigt Norwegen, dass selbst Öl und Gas ein Segen sein können. Der norwegische Ölfonds, der größte Staatsfonds der Welt, verfügt über 1620 Milliarden Dollar oder 300.000 Dollar pro Norweger. Und auch Länder wie Kanada und Australien scheinen nicht unter ihren vielen Rohstoffen zu leiden, oder vielleicht doch? Das Beispiel der Niederlande legt nahe, dass diese beiden Länder möglicherweise wohlhabender wären, wenn sie keine Bodenschätz hätten. 1959 wurde in der niederländischen Provinz Groningen ein riesiges Gasfeld entdeckt. Das hatte jedoch einen unerwarteten Nebeneffekt: die Deindustrialisierung der Niederlande, sodass die britische Publikation The Economist im Jahr 1977 von der „holländischen Krankheit“ sprach. [4]
Diese Krankheit ist den Wechselkursen geschuldet: Dank der Gasexporte wertete der niederländische Gulden auf und alle Nicht-Gasexporte der Niederlande verloren so an Konkurrenzfähigkeit, was zu einer partiellen Deindustrialisierung führte. Norwegen, wo erst in den 70’er Jahren Öl gefunden wurde, vermied das, indem es den größten Teil der Öleinnahmen gar nicht erst ins Land ließ, sondern in Fremdwährungen in seinem Ölfonds parkt. Damit isoliert sich das Land auch von den starken Schwankungen des Ölpreises, einem weiteren Grund für den Ressourcenfluch. Viele Länder mit Rohstoffen wollen ihre Bewohner an diesem Reichtum beteiligen und legen in Zeiten hoher Preise Sozialprogramme auf, nur um diese bei niedrigen Preisen dann wieder einzudampfen, wie eine Studie der Weltbank zeigt. [5] Durch dieses prozyklische Verhalten, werden die normalen Konjunkturschwankungen allerdings verstärkt, was letztlich der Wirtschaft auf Dauer schadet. Die Bank schreibt: „Die Volatilität der Fiskalpolitik fungiert als Übertragungskanal für den ‚Ressourcenfluch‘.“
Ein weiterer solcher „Übertragungskanal“ ist das Verhältnis zwischen den Regierungen und ihren Bürgern in Ländern mit vielen Rohstoffen. In rohstoffarmen Volkswirtschaften wie in Deutschland oder Südkorea finanziert sich der Staat über Steuern. Das führt dazu, dass Bürger darauf achten, dass ihr Geld allen zugutekommt, was wiederum einer diversifizierten Wirtschaft Vorschub leistet. Da rohstoffarme Länder ihr Bürger und damit ihre Steuerzahler bei Laune halten müssen, sind sie zudem tendenziell demokratischer. In rohstoffreichen Ländern ist das oft umgekehrt, wie der US-Thinktank Natural Resource Governance Institute (NRGI) schreibt: „Wenn Länder hohe Einnahmen aus natürlichen Ressourcen erzielen, sind sie weniger darauf angewiesen, von den Bürgern Steuern zu erheben, und Politiker sind weniger direkt an die Wünsche der Bürger gebunden.“ [6]
Rohstoffreichtum erhöht auch die Gefahr, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt. Wenn ein Land nur sehr wenige Einkommensquellen hat, entwickeln verschiedene Bevölkerungsgruppen eher eine Alles-Oder-Nichts-Mentalität: Wer die wenigen Quellen kontrolliert hat Alles und die anderen haben Nichts. In den letzten 30 Jahren war „die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs in ölproduzierenden Ländern doppelt so hoch wie in nicht-ölproduzierenden Ländern“, schreibt NRGI. Das trifft etwa auf die Demokratische Republik Kongo (Kongo-Kinshasa), Nigeria, den Irak, Libyen und Angola zu. Ölreichtum könnte auch zu mehr Kriegen zwischen Staaten führen, der „Petro-Aggression“. Das Paradebeispiel ist hier der Irak, der erst den Irak und dann Kuweit überfiel. Auch Russlands Überfall auf die Ukraine passt in dieses Schema. Wegen der geringen Fallzahl ist ein Zusammenhang von Ölreichtum und der Neigung zu Angriffskriegen aber nicht gesichert.
Überraschenderweise liefert die Biologie allerdings einen Hinweis darauf, dass an der Petro-Aggressions-Hypothese doch etwas dran sein könnte: Wenn in einer Bakterienkultur viele Nährstoffe vorhanden sind, werden verschiedene Bakterienarten aggressiv. In einem nährstoffarmen Umfeld tendieren sie hingegen zu einem symbiotischen Verhältnis. [7] Was bei Bakterien ein schicksalhafter Automatismus zwischen Ressourcenreichtum und aggressivem Verhalten sein könnte, sollte sich in vernunftgeleiteten, menschlichen Gesellschaften jedoch vermeiden lassen. Und das tut es auch. Botswana (Diamanten), Malaysia (Öl) und Chile (Kupfer) haben gezeigt, dass sich Rohstoffreichtum durchaus für die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern nutzen lässt. [8] Man muss es nur machen.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS
[1] Richard Steele, 1711: The Spectator
[2] Wikipedia, Stand 04.06.2024: Juan Pablo Pérez Alfonzo
[3] Richard Auty, 1993: Economic Development and the Resource Curse Thesis
[4] The Economist, 26.11.1977: The Dutch disease (PDF)
[5] Weltbank, 30.05.2024: Commodity Exporters Can Transform their “Resource Curse” into a Blessing
[7] Tim Hoek et al., August 2016: Resource Availability Modulates the Cooperative and Competitive Nature of a Microbial Cross-Feeding Mutualism