Ironischerweise wird vielleicht ein Petrostaat den Ausstieg aus den Fossilen ermöglichen
Der Komplettausstieg aus den fossilen Energien hat bei der Klimakonferenz in Dubai enormes Momentum entwickelt. Das zeigt nicht zuletzt ein Brief von Haitham al-Ghais, dem Chef des Ölkartells Opec. Ob es so weit kommt, könnte von Sultan Al Jaber aus den Emiraten abhängen.
Bei den ersten 25 UN-Klimakonferenzen gab es zwei Wörter, die tabu waren: fossile Energien. Erst vorletztes Jahr in Glasgow (COP26) schaffte es zumindest die Kohle in den Abschlusstext. Die Länder einigten sich darauf, „Schritt für Schritt“ aus der Kohle auszusteigen. Die nächste Konferenz in Sharm El-Sheikh (COP27) brachte keine weiteren Fortschritte. Dafür sind dieses Jahr die fossilen Energien plötzlich das zentrale Thema und viele Länder wollen einen Komplettausstieg verabschieden. „Wir haben große Fortschritte gemacht“, sagt daher COP-Veteran Wendel Trio von der schwedischen Umweltorganisation Airclim. „Aber in nur zwei Jahren eine Revolution zu erwarten, ist kühn.“ Doch viele Länder wie die Inselstaaten und die EU werden sich mit nichts weniger zufrieden geben.
Die Aufgabe diese Revolution zu bewerkstelligen, liege bei Sultan Al Jaber, dem Präsidenten der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai (COP28), meint Trio: „Alle schauen auf Al Jaber.“ Das liegt auch am fulminanten Start von COP28. Al Jaber hat es fertiggebracht, dass die Länder am ersten Tag der Konferenz den neuen Fonds für Verluste und Schäden verabschiedet haben und mittlerweile wurden auch Finanzzusagen von 655 Millionen Dollar für diesen Fonds gemacht. „Außerhalb der COP mag Al Jaber umstritten sein, aber unter den Verhandlern genießt er deswegen viel Respekt“, sagt Trio. Dieses Kapital muss Al Jaber nun weise nutzen. Am Sonntag wird er die Ministerinnen und Minister der knapp 200 Länder in einem „Majlis“, einem Raum zum Sitzen, versammeln, um ihre Meinungen zu hören. Basierend darauf will er dann am Montag den ersten richtigen Verhandlungstext veröffentlichen, denn bislang liegen nur „Bauteile“ dafür vor.
Dabei wird er auch die Position der Mitgliedsländer des Ölkartells Opec berücksichtigen müssen. Wie diese aussieht, verrät ein Brief von Opec-Chef Haitham al-Ghais. Dieser warnt: „Der Druck gegen fossile Energien könnte einen Kipppunkt erreichen mit irreversiblen Folgen.“ Aus diesem Grund bittet er die „hochverehrten“ Opec-Mitglieder an COP28 „proaktiv jede Formulierung abzulehnen, die sich auf fossile Energien bezieht“. Warum unter den Opec-Ländern Panik um sich greift, zeigt ein neuer Bericht des britischen Thinktanks Carbon Tracker. [1] Von den 40 untersuchten Ländern verlieren 28 mehr als die Hälfte der erwarteten Einnahmen aus Öl und Gas und das bei einem „mäßigen“ Tempo der globalen Energiewende. Das gilt auch für den COP28-Gastgeber, die Vereinigten Arabischen Emirate, und dessen großen Nachbarn Saudi-Arabien. Bei beiden machen die Öl- und Gaseinnahmen rund 40 Prozent der Staatseinnahmen aus und diese Einnahmen werden um 60 Prozent sinken.
Das werde weitreichen Folgen haben, erwartet Guy Prince, einer der Autoren des Berichts: „In vielen Petrostaaten hat sich ein politisches System etabliert, in dem die Bürger hohe Gehälter im öffentlichen Sektor, niedrige oder gar keine Steuern und einen großzügigen Sozialstaat erwarten. Die Umstrukturierung ihrer Volkswirtschaften wird wahrscheinlich parallele politische Reformen erfordern, um die Gesetzgeber rechenschaftspflichtiger zu machen und den Bürgern eine stärkere Vertretung zu geben.” Es ist daher nicht erstaunlich, dass diese Aussicht in den absoluten Golfmonarchien wie Saudi-Arabien und Kuweit, der Heimat des Opec-Chefs, Panik auslöst. Das Problem dieser Länder ist allerdings, dass ihre Panik von den anderen Entwicklungsländern nicht geteilt wird. China, Indien und Brasilien seien einem Ausstieg aus den fossilen Energien nicht abgeneigt, meint Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam. Sie wollten aber eine Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. „Für viele ärmere Länder ist diese Differenzierung entscheidend“, sagt Kowalzig.
COP28 wäre keine richtige COP, wenn nicht noch andere Themen eine Rolle spielen würden. Da ist zum einen die Frage, was die Länder kurzfristig, also vor 2030, machen müssen. „Das ist vielleicht sogar wichtiger als ein langfristiges Bekenntnis zum Ausstieg aus den Fossilen bis 2050“, sagt Kowalzig eine Einschätzung, die Verhandlungsexperte Trio teilt. Außerdem soll in Dubai ein globales Anpassungsziel verabschiedet werden. In diesem Verhandlungsstrang haben die arabischen Staaten bislang aber echte Fortschritte verhindert. Aus Sicht vieler Beobachter haben diese das Thema Anpassung als „Geisel“ genommen, um Zugeständnisse bei den fossilen Energien raushandeln zu können. Zudem verhindern sie damit eine Annäherung der EU und der ärmsten Länder der Welt, für die Anpassung besonders wichtig ist.
In dieser Gemengelage könnte die diesjährige Klimakonferenz ähnlich enden, wie die in Cancun, Mexiko, im Jahr 2010 (COP16), meint Trio. Damals hat die Konferenzpräsidentin Patricia Espinosa die Dinge selbst in die Hand genommen und den Ländern einen Abschlusstext präsentiert, den diese nur annehmen oder ablehnen konnten. Damals ging diese Risikostrategie gut. Sollte das Cancun-Szenario auch in Dubai zur Anwendung kommen, dann kommt Alles auf einen Mann an: Sultan Al Jaber.
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