Der kuriose Fall der Freihandelsabkommen-Light

Japan hat es vorgemacht und in wenigen Wochen einen Handelsvertrag ausgehandelt

Was ist ein Freihandelsabkommen? Diese Frage wird derzeit in Brüssel und Washington hitzig diskutiert, denn von vielen Subventionen aus dem „Inflationsreduktionsgesetz“ können nur Firmen profitieren, die aus Ländern kommen, mit denen die USA ein solches Abkommen haben.

Die EU und die USA versuchen einen möglichen Handelskonflikt zu vermeiden. Ein solcher Konflikt droht, weil das „Inflationsreduktionsgesetz“ der USA Klauseln beinhaltet, die den Kauf von US-Produkten vorschreiben, um die verschiedenen Steuervergünstigungen aus dem Gesetz bekommen zu können. Das Gesetz ist das bislang wichtigste US-Klimagesetz und sieht Steuerrabatte von bis zu 7500 Dollar pro Elektroauto vor. Dafür müssen die Autos aber in den USA gefertigt sein oder in einem Land, mit dem die USA ein „Freihandelsabkommen“ haben. Das gleiche gilt für die Batterien. Die darin enthaltenen kritischen Mineralien wie Silizium müssen zu 40 Prozent und ab dem Jahr 2027 sogar zu 80 Prozent aus den USA kommen oder eben aus einem Land, mit dem die USA ein „Freihandelsabkommen“ haben. Doch die EU hat kein solches Abkommen mit den USA und folglich sind EU-Hersteller von der Subvention ausgeschlossen.

Schein oder Sein. Der Ansatz der USA ist sicher kreativ, ob er auch funktioniert, wird sich weisen. (Bild:  René Magritte / Flickr)
Schein oder Sein. Der Ansatz der USA ist sicher kreativ, ob er auch funktioniert, wird sich weisen. (Bild: René Magritte / Flickr)

Absurderweise war das dem US-Senator Joe Manchin nicht bekannt, als er die entscheidende Stimme zur Verabschiedung des Gesetzes lieferte, wie er selbst gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg sagte. [1] Doch jetzt ist das Gesetz verabschiedet und kann wegen der veränderten Mehrheitsverhältnisse im US-Parlament seit den Zwischenwahlen auch nicht mehr verändert werden. Doch vielleicht ließe sich das Problem mit einem relativ einfachen Kniff umgehen: Die EU und die USA müssten einfach ein „Freihandelsabkommen“ abschließen und schon wäre das Problem gelöst. Und genau das haben US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vereinbart. [2] Doch die Aushandlung von solchen Abkommen dauert in der Regel viele Jahre. Aus diesem Grund soll nun ein „Abkommen über kritische Mineralien“ geschlossen werden, das man dann einfach zum „Freihandelsabkommen“ erklärt.

Möglich ist das, weil weder im Inflationsreduktionsgesetz noch anderswo in der US-Gesetzgebung definiert ist, was ein „Freihandelsabkommen“ ist. Aus diesem Grund meint das US-Finanzministerium, es könne selber entscheiden, was ein „Freihandelsabkommen“ im Sinne des Gesetzes ist. Praktischerweise hat die US-Handelsbeauftragte auf der Internetseite ihrer Behörde nun eine zweite Kategorie von „Freihandelsabkommen“ geschaffen. [3] Dort sind erst die 20 „umfassenden Freihandelsabkommen“ aufgelistet und in der Kategorie „Freier Handel mit kritischen Mineralien“ steht ein Abkommen mit Japan. Dieses wurde erst vor zwei Wochen abgeschlossen und hat magere elf Seiten. [4] Letzteres ist allerdings nicht weiter erstaunlich, weil derzeit weder die USA noch Japan kritische Mineralien in großer Menge fördern oder verarbeiten. Der Clou dieses Abkommens findet sich schließlich im zweitletzten Artikel. Dieser sagt: „Dieses Abkommen tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft.“ [4] Japan hat also geschafft, was die EU noch anstrebt: Es hat in wenigen Wochen ein „Freihandelsabkommen“ mit den USA abgeschlossen.

Dieses Vorgehen stößt im US-Parlament allerdings auf massive Kritik – von beiden Parteien. „Der Kongress wird unter keinen Umständen seine verfassungsmäßig verankerte Verantwortung für die Überwachung aller Handelsangelegenheiten aufgeben“, sagte etwa der Republikaner Adrian Smith. [5] Und der Demokrat Earl Blumenauer sagte: „Die Regierung schlägt mehr als nur eine Steuergutschrift für saubere Fahrzeuge vor, sie definiert Freihandelsabkommen neu” und dies sei eine „Missachtung der verfassungsmäßigen Rolle des Kongresses im internationalen Handel durch die Regierung“. [5] Aber auch in der EU gibt es einige, denen bei diesem Vorgehen unwohl ist. Um ein echtes „Freihandelsabkommen“ abzuschließen, müssen die EU-Länder erst der EU-Kommission ein Verhandlungsmandat erteilen und anschließend muss das EU-Parlament dem Abkommen zustimmen. “Dies ist verfahrenstechnisch sehr, sehr kompliziert”, sagte ein ungenannter EU-Diplomat gegenüber dem Nachrichtenportal Politico. “Wir wollen es als nicht bindendes Instrument bezeichnen, aber wir müssen auch an den inneramerikanischen Kontext denken. Daher ist es besser, es ein „Freihandelsabkommen-light“ zu nennen.” [5]

Hinzu kommt, dass das „Freihandelsabkommen“ wahrscheinlich auch gegen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO verstößt. Cecilia Malmström, eine frühere EU-Kommissarin für Handel warnt: „Ein solches Abkommen – so vorteilhaft es auch für beide Seiten des Atlantiks sein mag – wäre ein weiterer Schritt zur Untergrabung der globalen Handelsregeln“. [6] Diese besagen, dass ein „Freihandelsabkommen“ einen „wesentlichen Teil“ des Handels zwischen den Partnerländern abdecken muss, um WTO-konform zu sein. Das wäre bei einem Abkommen nach dem Vorbild des US-Japan-Deals aber offensichtlich nicht der Fall. Malmström sagt denn auch: „Es gibt hier also eine Menge verwirrender Terminologie.“ Trotzdem könnten die „Freihandelsabkommen-light“ Schule machen: Indonesien hat den USA bereits signalisiert, dass es ebenfalls ein solches Abkommen anstrebt – egal unter welchem Namen, solange es für die Steuergutschriften genügt. [7]

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[1] Yahoo News, 20.01.2023: Manchin Says He Didn’t Know US, EU Lacked Free Trade Agreement

[2] EU, 10.03.2023: Joint Statement by President Biden and President von der Leyen

[3] USTR, Stand 12.04.2023: Free Trade Agreements

[4] MFA Japan, 28.03.2023: Agreement between the government of Japan and the government of the United States of America on strengthening critical minerals supply chains (PDF)

[5] Politico, 31.03.2023: U.S., EU lawmakers feel cut out of Biden’s electric vehicle trade agenda

[6] Peterson Institute, 06.04.2023: Will the scramble for rare earths produce a transatlantic trade accord?

[7] Jakarta Post, 11.04.2023: Indonesia to propose limited free trade deal with US on critical minerals