Zerfällt die Klima-Allianz der Entwicklungsländer?

Die Interessengegensätze zwischen den Ländern werden immer größer

Eine 30 Jahre alte Liste bestimmt darüber, ob ein Staat klimapolitisch als Industrie- oder als Entwicklungsland gilt. Doch in der Zwischenzeit haben sich die Länder sehr unterschiedlich entwickelt. Das strapaziert derzeit den Zusammenhalt der Allianz der Entwicklungsländer.

Verhandlungen unter knapp 200 Ländern sind nahezu unmöglich. Daher bilden die Staaten bei den UN-Klimakonferenzen (COPs) Gruppen. Die größte dieser Gruppen umfasst alle 155 „Entwicklungsländer“ und firmiert als „G77 plus China“. Als Entwicklungsländer gelten dabei alle Staaten, die in der UN-Klimakonvention aus dem Jahr 1992 nicht ausdrücklich in der Liste der Industrieländer und ehemaligen Ostblockstaaten, dem Annex 1, genannt werden. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Länder der G77 Gruppe allerdings sehr unterschiedlich entwickelt und manche wie Singapur oder Katar haben heute ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als einige Industriestaaten. Trotzdem blieb G77 plus China als Verhandlungsgruppe bestehen. Doch das könnte sich nun ändern.

Aktuell zeigt sich das beim Thema Verluste und Schäden. China besteht darauf, als „Entwicklungsland“ nicht zu finanziellen Leistungen verpflichtet zu sein. Mittlerweile ist das Reich der Mitte allerdings das Land, das historisch gesehen nach den USA global die zweitmeisten Emissionen verursacht hat. Aus Sicht der kleinen Inselstaaten muss daher auch China für Verluste und Schäden bezahlen, wie der Sprecher dieser Länder klarstellte: „Wir wissen alle, dass China und Indien große Verursacher von Emissionen sind und die Verursacher müssen bezahlen“, sagte Gaston Brown, der Premierminister von Antigua und Barbuda an der COP27. „Ich denke nicht, dass es einen Freifahrtschein für irgendein Land gibt.“ [1] Das sieht China anders und verweist dabei auf die 30 Jahre alte UN-Klimakonvention. Dass diese Position nur schwer zu verteidigen ist, scheint aber auch China klar zu sein. Daher zeigt sich das Land bereit, „freiwillig“ im Rahmen der Süd-Süd-Kooperation bei Verlusten und Schäden zu helfen.

Kämpferisch. Ob es mit dem Klimaschutz wirklich schneller geht, wenn man erst das System verändern will, ist allerdings fraglich. (Foto; IISD)
Kämpferisch. Ob es mit dem Klimaschutz wirklich schneller geht, wenn man erst das System verändern will, ist allerdings fraglich. (Foto; IISD)

Die Unterschiede innerhalb der „Entwicklungsländer“ sind aber nicht nur bei den Verlusten und Schäden relevant. In Scharm el-Sheikh wird auch über die Klimahilfen nach dem Jahr 2025 verhandelt. Im Jahr 2009 hatten die 24 Industriestaaten versprochen, ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel zu „mobilisieren“. Nun soll ein neues Finanzziel vereinbart werden, das dann ab 2025 gilt. Die Industriestaaten sind durchaus bereit über dieses Thema zu reden, fordern aber eine Ausweitung des Geberkreises. Sprich, sie wollen, dass sich in Zukunft auch relativ wohlhabende Entwicklungsländer mit hohen Emissionen finanziell beteiligen.

Das müsste eigentlich auch im Interesse der ärmsten Länder der Welt und großer Teile Afrikas und Asiens sein, denn mit mehr Geberländern gibt es auch mehr zu verteilen. Damit öffnet sich ein fundamentaler Interessengegensatz zwischen den wirklich armen Ländern und den reicheren Entwicklungsländern. Hinzu kommt, dass die Industriestaaten kaum bereit sein werden, sich – wie es China vorschlägt ­ mit „freiwilligen“ Zahlungen abspeisen zu lassen, die jederzeit wieder eingestellt werden können.

Der Leiter der Schweizer Verhandlungsdelegation, Franz Perrez, glaubt trotzdem an den Fortbestand von G77 plus China. Gefragt, ob sich wegen der immer größeren Interessengegensätze ein Zerfall der Gruppe abzeichne, sagte er: „Nein, ich glaube nicht, dass deswegen die G77 zerfällt.“ Trotzdem haben die Differenzen innerhalb der Gruppe natürlich Folgen: „In den Klimaverhandlungen vertreten Untergruppen der G77 oft unterschiedliche Positionen. Die progressiven lateinamerikanischen Länder, die kleinen Inselstaaten und die ärmsten Länder stehen in vielen Bereichen wie der Emissionsreduktion oft näher bei uns als etwa die Länder der arabischen Gruppe.“ Und so dürfte die Relevanz der größten Ländergruppe bei den Verhandlungen immer weiter abnehmen.

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[1] Independent, 09.11.2022: No ‘free pass’: Antigua and Barbuda PM tells Cop27 India and China must pay for loss and damage