Der Internationale Strafgerichtshof entscheidet bald über einen Fall von massenhaften Landraub
Die Vertreibung von Menschen, um sich ihr Land anzueignen, ist zwar ein Menschenrechtsvergehen aber noch kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Was aber wenn das systematisch in mehreren hunderttausend Fällen passiert? Das muss nun der Internationale Strafgerichtshof entscheiden.
Seit sechs Jahren liegt beim Internationalen Strafgerichtshof ICC in Den Haag eine Beschwerde gegen Kambodscha. Doch nun könnte Bewegung in den Fall kommen. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda hat in einer Rede im Februar versprochen, endlich zu entscheiden, ob eine formelle Untersuchung eingeleitet werden soll. [1] Die Größenordnung des Falls ist beachtlich. Seit der Gründung des Gerichts im Jahr 2002 wurden 830.000 Menschen von ihrem Land vertrieben, das anschließend an wohlhabende Geschäftsleute verpachtet wird. [2] Das sind rund fünf Prozent der kambodschanischen Bevölkerung. Besonders betroffen sind ethnische Minderheiten, die oft in bewaldeten Gebieten leben. Dadurch ging in den letzten 20 Jahren rund ein Drittel des tropischen Regenwalds in Kambodscha verloren, wie Daten der Umweltorganisation Global Forest Watch zeigen. [3]
Dass die Eröffnung einer formellen Untersuchung so lange gedauert hat, liege einerseits an einem Mangel an ICC-Ressourcen, sagt der Anwalt Richard Rogers. Rogers ist der Chef von Climate Counsel, einer Anwaltskanzlei die auf Umweltverbrechen spezialisiert ist, und hat im Jahr 2014 zusammen mit weiteren Organisationen die ursprüngliche Beschwerde eingelegt. [4] Andererseits liege es aber auch an den Eigenschaften des kambodschanischen Falls. „Die Menschenrechte wurden über viele Jahre verletzt. Wenn man die Fälle kumuliert betrachtet, kommen sie einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Das ist die Schwelle der Schwere des ICC. Das ist unterschiedlich von einem traditionellen Kriegsverbrechen wie einem Massaker.”
Der ICC hat im Jahr 2016 eine Strategie zur Priorisierung von Fällen veröffentlicht. Diese sieht vor, dass Verbrechen Vorrang eingeräumt wird, die massive Umweltschäden zur Folge haben. Noch hat das Gericht aber für keinen einzigen derartigen Fall eine formelle Untersuchung eingeleitet. Der kambodschanische Fall bietet Chefanklägerin Bensouda daher die Gelegenheit ihre eigene Strategie umzusetzen und einen Präzedenzfall zu schaffen. Aus Sicht von Rogers hätte die Eröffnung einer Untersuchung aber noch weitere Vorteile: Zum einen handle es sich um ein Verbrechen, mit einer „riesigen Zahl an Opfern“ und zum anderen hätte es einen präventiven Effekt: „Das würde potentiellen Tätern auf der ganzen Welt eine wesentliche Botschaft senden: Die Verbrechen im Zusammenhang mit Landraub können in den extremsten Fällen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.“
Rogers hofft dies würde insbesondere das Verhalten von Investoren aus westlichen Ländern beeinflussen. „Es ist ein Unterschied, ob ein Land wegen Menschenrechtsvergehen beschuldigt wird oder ob die Gefahr besteht, dass man zum Komplizen bei einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird.“ Außerdem sieht Rogers einen Vorteil fürs Klima: „Die Situation in Kambodscha bietet dem Gericht die Gelegenheit sich der größten Gefahr für die Menschheit anzunehmen – der Klima- und Umweltnotstand. Wenn man illegalen Landraub bremst, hilft man beim Schutz der Umwelt und beim Kampf gegen den Klimawandel.“ Jetzt muss nur noch das Gericht mitziehen. mic
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[1] Richard Rogers et al., 16.03.2021: Open Letter: Supporting the Cambodian Land Grabbing Case (PDF)
[2] FIDH, 22.07.2015: Cambodia: 60,000 new victims of government land grabbing policy since January 2014