Die Nachfrage nach Fleisch und Milch steigt vor allem in Asien, die Nahrungsproduktion wird weltweit beeinträchtigt
In den letzten beiden Jahren sind die Preise für Lebensmittel deutlich gestiegen. Ob es sich dabei um ein temporäres Phänomen oder einen strukturellen Wandel im Agrarmarkt handelt, ist noch umstritten.
Die Welt hat die Produktion von Nahrungsmitteln vernachlässigt. Dies ist nicht weiter verwunderlich. Die Preise für Landwirtschaftsprodukte sind in den vergangenen 35 Jahren um 75 Prozent gesunken. «Eigentlich sind höhere Preise eine gute Nachricht», sagt denn auch der Entwicklungsexperte Richard Gerster. «Diese müssen aber bei den Bauern ankommen, damit sie die Produktion ausweiten.» Kurz, Landwirtschaft muss sich wieder lohnen. Dies gilt umso mehr, als die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Gütern weiter zunimmt: Chatham House, ein englischer Thinktank, schreibt, dass bislang die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten jedes Jahr um 1,5 Prozent gestiegen ist. Doch in den letzten Jahren hat sich das Wachstum auf 2,0 Prozent beschleunigt und wird voraussichtlich auf 2,6 Prozent zunehmen. Bis 2030, also in 22 Jahren, nimmt die weltweite Nachfrage um 50 Prozent zu (Fleisch plus 85 Prozent).
Für die massiven Preissteigerungen in den letzten beiden Jahren ist denn auch primär das beschleunigte Nachfragewachstum verantwortlich:
- Das International Food Policy Research Institute (Ifpri) schätzt, dass 50 Prozent der Preissteigerungen auf steigende Einkommen in den asiatischen Schwellenländern zurückzuführen sind. Die Menschen können sich mehr Fleisch und Milch leisten: Noch vor 20 Jahren hat der Durchschnittschinese 20 Kilo Fleisch pro Jahr gegessen. Heute sind es 50 Kilo.
- Weitere 30 Prozent der Preissteigerungen führt das Ifpri auf die Subventionen für die Umwandlung von Nahrungsmitteln in Biokraftstoffe zurück. Die USA kennen mehr als 200 verschiedene Subventionen für Biosprit, wie der «Economist» gezählt hat. Sieben Milliarden Dollar lässt sich der amerikanische Steuerzahler dieses «Verbrechen gegen die Menschheit» (Jean Ziegler) jährlich kosten.
- Die restlichen 20 Prozent der Preissteigerungen gehen auf diverse Faktoren zurück. Dazu zählen der hohe Ölpreis, der Transport und Dünger verteuert, die Dürre in Australien, der tiefe Dollarkurs und der Zufluss von spekulativem Geld in den Weltagrarmarkt.
Langfristig macht den Chatham-House-Experten aber weniger die Nachfrage, sondern das Angebot, also die Produktion von Nahrungsmitteln, Sorgen. Vier Faktoren beeinträchtigen die Produktion:
- Energiepreise: Wegen der wohl anhaltend hohen Preise für Öl und Gas verteuert sich die Produktion. Ab einem bestimmten Ölpreis lohnt sich ausserdem die Produktion von Energiepflanzen, selbst wenn Subventionen gestrichen werden. Dadurch bleiben der Nahrungsmittelmarkt und der Energiemarkt ineinander verschränkt.
- Wasserknappheit: Derzeit leben 500 Millionen Menschen in Gebieten mit Wasserknappheit. Diese Zahl wird sich bis 2050 auf vier Milliarden erhöhen. Dadurch wird der Agrarhandel de facto zu einem Handel mit Wasser.
- Ackerland: Gemäss FAO kann die weltweite Ackerfläche nur noch um zwölf Prozent erhöht werden. Die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln konkurriert um die besten Böden mit der Holz- und Papierproduktion, dem Anbau von Energiepflanzen, den wachsenden Städten, dem Bedarf an Wäldern als CO2-Senker und den vorrückenden Wüsten.
- Klimawandel: Wegen der zunehmenden Erderwärmung kommt es vermehrt zu Stürmen, Dürren und so weiter. Obwohl regional begrenzt, bedroht derart schlechtes Wetter die erforderliche Steigerung der Nahrungsmittelproduktion.
Aber was heisst das nun für die Nahrungsmittelpreise? Sind die aktuell hohen Preise ein temporäres Phänomen, oder haben die oben beschriebenen Faktoren zu einer strukturellen Verschiebung im Weltagrarmarkt geführt? «Das kann man immer nur im Nachhinein sagen», antwortet Martin Baumgartner, Portfolio Manager beim Sarasin Commodity Fund. Auch Richard Gerster will sich nicht festlegen: «Eine Trendwende weg von permanent sinkenden Preisen ist nicht ausgeschlossen. »
Modellrechnungen des Ifpri, des US-Landwirtschaftsministeriums, aber auch der asiatischen Entwicklungsbank ADB, deuten derweil darauf hin, dass die Preise tatsächlich nicht mehr zu den zuvor erreichten Tiefstwerten zurückkehren werden. Sie werden aber auch nicht beliebig weiter steigen, sondern sich auf einem neuen Niveau stabilisieren. Die genannten Institutionen glauben also eine strukturelle Trendwende zu erkennen: Die Zeit billiger Nahrungsmittel ist vorbei. mic
Aus der Basler Zeitung vom 06.05.2008