13’000 Teilnehmer produzieren innert zwei Wochen vier Seiten Text
Um das Abkommen von Lima wurde hart gerungen. Zeitweise drohte der Abbruch der Verhandlungen. Doch was steht eigentlich in dem Abkommen?
Die Entwicklung des Klimaabkommens von Lima lässt sich an der Anzahl der Seiten ablesen. In der ersten Woche hatte der Text zwölf Seiten, war überschaubar und verständlich. Doch dann begann er aufzuquellen bis auf 60 Seiten. Manche Paragrafen hatten mehr als zehn verschiedene Optionen, deren Unterschiede auch die beteiligten Diplomaten kaum noch erklären konnten.
Als Basis der Verhandlungen war dieses Konvolut schliesslich nicht mehr zu gebrauchen. Daraufhin unterzog der Präsident der Klimakonferenz , der peruanische Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal, den Text einer radikalen Schlankheitskur. Am Donnerstag der zweiten Woche veröffentlichte er einen Text mit nur noch sieben Seiten. Doch dieser stiess auf massive Ablehnung einer Gruppe von Entwicklungsländer angeführt von China. Diese Gruppe firmiert bei den Klimaverhandlungen als ‚Gruppe der Gleichgesinnnten‘ und umfasst China, Indien, Ölexporteuer wie Saudi Arabien oder Venezuela sowie die linken lateinamerikanischen Länder etwa kuba oder Bolivien. Die Hauptkritik dieser Länder war, dass der Text nicht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unterscheidet.
Am Freitag kam dann ein noch weiter verschlankter Text mit nur noch vier Seiten. Die Konsultationen mit den verschiedenen Ländergruppen dauerten bis Samstag Morgen um vier, ohne Ergebnis. Samstag Morgen um zehn wurden die Verhandlungen dann wieder aufgenommen. Schnell war klar, dass der Vierseiter ebenfalls auf massiven Widerstand der ‚Gruppe der Gleichgesinnten‘ und der afrikanischen Länder stiess. Ein Scheitern der Konferenz schien möglich.
Die letzte Chance um die Klimakonferenz in Lima doch noch zu einem Erfolg zu führen, bestand schliesslich darin, eine modifizierte Version des vierseitigen Verhandlungstextes zu erarbeiten. Diese Version lag schliesslich in der Nacht von Samstag auf Sonntag um kurz vor Mitternacht vor. [1] Die Länder erhielten daraufhin eine Stunde, um den Text zu studieren. Anschliessend wurde der Text verabschiedet. Der gordische Knoten war durchschlagen.
Die wesentliche Neuerung im schliesslich verabschiedeten Text findet sich im neu hinzugefügten Paragrafen 3. Dieser „unterstreicht“, dass nächstes Jahr ein neue Klimavertrag abgeschlossen werden soll, der das Prinzip der „gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung“ reflektiert. Dies bedeutet, dass die Länder eine gemeinsame Verantwortung für das Klima haben, beim Klimaschutz aber zwischen den Ländern nach Wohlstand, Fähigkeiten, Emissionsniveau und historischen Emissionen unterschieden wird. Damit konnte dem Wunsch der ‚Gleichgesinnten‘ nach Differenzierung genüge getan werden.
Paragraf 3 beruht auf einem bilateralen Übereinkommen zwischen den USA und China. Während die USA immer die „gemeinsame“ Verantwortung betonen, legt China besonderen Wert darauf, dass diese „differenziert“ sein müsse. Paragraf 3 ist somit ein Kompromiss. Einerseits wird das Prinzip der „gemeinsamen aber differenzierten Verantwortung“ erwähnt. Andererseits wird es ergänzt durch „im Lichte unterschiedlicher nationaler Umstände“. Damit wird signalisiert, dass die Differenzierung nicht zu einer Zweiteilung der Welt führt, sondern jedes Land individuell angeschaut werden muss. Aus Sicht von Franz Perrez, dem Leiter der Schweizer Delegation, hat sich damit tendenziell die USA durchgesetzt.
Ausser in Paragraf 3 sind die Industriestaaten den Entwicklungsländern in zwei weiteren Punkten entgegen gekommen: Sowohl die Bedeutung der Anpassung an den Klimawandel als auch ‚Loss and Damage‘ werden in der Präambel erwähnt. ‚Loss and Damage‘ ist ein Begriff aus der Verischerungswirtschaft und bedeutet ‚Verlust und Schaden‘. Unter diesem Stichwort werden Hilfen für Länder und diskutiert, die durch Naturkatastrophen Schäden erleiden oder wegen des steigenden Meeresspiegels gar zu verschwinden drohen. Praktische Folgen hat eine Erwähnung in der Präambel allerdings nicht: „Das ändert gar nichts“, sagt Franz Perrez, der Leiter der Schweizer Verhandlungsdelegation.
Eine interessante Entwicklung hat Paragraf 4 durchlaufen: Hier geht es um Geld. Ursprünglich waren hier die Industriestaaten und Länder „die in der Lage sind, dies zu tun“ dazu aufgerufen, ärmere Länder finanziell zu unterstützen. Diese Formulierung lehnte die ‚Gruppe der Gleichgesinnten‘ aber ab, da einige von ihnen etwa Saudi Arabien sehr wohl „in der Lage“ wären, Geld für den Klimaschutz in ärmeren Länder zu geben. Aus diesem Grund hiess es in der zweiten Version: „Länder, die willens sind“ sich finanziell zu beteiligen, würden „eingeladen“, dies auch zu tun. Doch auch diese Formulierung war der ‚Gruppe der Gleichgesinnten‘ noch zu gefährlich. Und so lautet die dritte Iteration dieses Paragrafen nun: „zusätzliche Unterstützung durch andere Länder“ wird „anerkannt“. „Der Kreis der möglichen Geberländer wurde mit jeder Iteration des Textes kleiner“, sagt Franz Perrez. „Das geht eindeutig gegen die Interessen der Ärmsten. Es ist absurd, aber das haben die Entwicklungsländer selber so gewollt.“
Das eigentliche Herzstück des Abkommens von Lima findet sich dann in den Paragrafen 9 bis 14. Dort werden die „beabsichtigten, auf nationaler Ebene entschiedenen, Beiträge“ zum Klimaschutz beschrieben. Dabei handelt es sich im Grunde um ein Formular, auf dem die Länder angeben, was sie für den Klimaschutz zu tun gedenken. Besonders wichtig ist Paragraf 14. Dieser legt fest, welche Informationen die Länder zusammen mit ihren Emissionszielen an das UN-Klimasekretariat melden müssen. Dies sind etwa das Basisjahr, die Annahmen, die den Zielen zu Grunde liegen wie Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum etc. Ausserdem wird in wird in Pragraf 10 festgehalten, dass die Klimaziele über das hinausgehen müssen, was die Länder bislang zum Schutz des Klimas getan haben. Die EU und die Schweiz hätten sich hier detailliertere Informationspflichten gewünscht, sind aber mit dem jetzigen Resultat zufruieden: „Das Wichtigste ist, das dies im Abkommen von Lima enthalten ist und nicht verloren ging“, sagt Perrez.
In Paragraf 16 steht dann, dass das UN-Klimasekretariat auf Grundlage der Ländereingaben ausrechenen soll, was diese für das Klima bedeuten: Reichen die nationalen Emissionsziele um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen? Ursprünglich war hier neben einem Bericht des Sekretariats ein „Dialog“ geplant, bei dem der Bericht diskutiert werden sollte. Dieser Dialog ist aber zum Bedauern der EU und der Schweiz aus dem Text gestrichen worden.
Einer der kürzesten Paragrafen ist Paragraf 17: Hier werden die Mitgliedsländer des Kyoto Protokolls dazu aufgerufen, dessen zweite Verpflichtungsperiode zu ratifizieren. Bislang haben dies nur 21 Länder getan. Doch das reicht nicht, damit die zweite Periode auch in Kraft treten kann.
Die restlichen Paragrafen (18 bis 22) beschäftigen sich mit den Klimaschutz Anstrengungen vor dem Jahr 2020. Ziel ist die Industriestaaten dazu zu ermutigen, ihre Klimaziele zu erhöhen. Hier werden Workshops durchgeführt, Synergien gesucht, Expertenpapiere verfasst etc. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass kein Industriestaat seine Klimaziele vor 2020 anheben wird.
Das Abkommen von Lima hat zudem einen Anhang: Hier werden “Elemente” für die Verhandlungen im nächsten Jahr festgehalten. [2] Aus Sicht der EU und der Schweiz ist erfreulich, dass diese “Elemente” einen Platz im Anhang gefunden haben. Denn sonst bestände die Gefahr, dass einige Länder im kommenden Jahr wieder bei Null anfangen wollen und die Arbeit, die in den “Elementen” steckt verloren geht. Wie der Vertrag aussehen wird, der schliesslich im Dezember 2015 in Paris verabschiedet werden soll, lässte sich aus dessen “Elementen” aber noch nicht ablesen. Der “Elementetext” ist noch voller Optionen, die sich oft gegenseitig widersprechen.
Aus Sicht von Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, war der erste vier Seiten Text „Ausdruck hoher diploamtischer Kunst“. In Anbetracht des Widerstandes, den die Präsidentschaft der Klimakonferenz überwinden musste, um schliesslich den zweiten vier Seiten Text zu verabschieden, gilt dies sicher auch für diesen. Aus Sicht vieler Umweltorganisationen ist das Resultat hingegen „enttäuschend“ (Sven Harmeling von Care), doch die Entwicklung der Verhandlungen und der Text zeigen schlicht, dass Diplomatie eben ‚die Kunst des Möglichen‘ ist. mic
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS
oder folgen sie der Facebook Seite
[1] UNFCCC, 13.12.2014: Further advancing the Durban Platform. Draft decision – /CP.XX (PDF)