„Zum Glück gibt es Momente, wo sich Allianzen bilden“

Staatssekretär Jochen Flasbarth erklärt im Interview die großen Züge der Klimadiplomatie

Interview: Christian Mihatsch, Jörg Staude, Baku

Erfolg oder Misserfolg des Bakuer Gipfels wird daran gemessen, ob es 200 Staaten gelingt, sich auf ein neues globales Ziel bei der Klimafinanzierung zu einigen. Könnte man die Entscheidung auf das neue Finanzziel nicht auf nächstes Jahr verschieben? Dann hätten die Länder mehr Zeit sich vorzubereiten.

Ich bin fest überzeugt, dass es wichtig ist, hier zu entscheiden. Zum einen gibt es einen langjährigen Zeitplan, was auf Klimakonferenzen wann beschlossen wird. Das 100-Milliarden-Dollar-Versprechen der klassischen Industrieländer an die Entwicklungsländer reicht bis 2025. Und deshalb muss man 2024 entscheiden, was danach kommt. Verlässlichkeit hat im Verhandlungsprozess einen hohen Wert. Zum anderen liegen alle Fakten und Positionen auf dem Tisch. Diese Finanzverhandlungen wurden seit Jahren vorbereitet.

Hinzu kommt, dass das geopolitische Umfeld die Sache nicht leichter machen wird. Ein wichtiges Land, die USA, wird absehbar weniger solidarisch sein. Ob sie wieder aus dem Pariser Klimaabkommen austreten, wird man sehen. Aber von der US-Regierung wird es jedenfalls ab dem nächsten Jahr keine großen Impulse geben. Auch deshalb sollte man die Einigung hier in Baku schaffen.

Wie würde sich die Dynamik in den Klimaverhandlungen verändern, wenn die USA nicht mehr dabei sind? Die USA waren ja tendenziell immer ein Land, das eher auf der Bremse stand.

In den letzten vier Jahren haben die USA eine sehr positive Rolle gespielt. Allein das bringt schon Dynamik in die Verhandlungen. Gute Beschlüsse werden wir auch in Zukunft fassen. Es geht aber besser, wenn alle an Bord sind und erst recht ein so großer Emittent und eine so starke Volkswirtschaft wie die USA.

Ich will aber auch daran erinnern: Eine COP ist keine Konferenz, bei der einzelne Staaten Zusagen machen, wie viel sie beitragen. Es wird ein Gesamtziel für die Finanzierung geben und das ist auf 2035 ausgerichtet. Bis dahin gibt es auch in den USA noch mehrere Wahlen. Deshalb schreiben wir die USA nicht einfach ab.

Mr. COP. Wenige Verhandler in Baku haben so viel Erfahrung wie Jochen Flasbarth. (Foto: Mike Muzurakis / IISD)
Mr. COP. Wenige Verhandler in Baku haben so viel Erfahrung wie Jochen Flasbarth. (Foto: Mike Muzurakis / IISD)

Wenn sich die USA zurückziehen, erwarten viele Beobachter, dass die EU eine wichtigere Rolle spielen wird und sogar spielen muss.

Dazu sind wir bereit. Im Moment wird gerade die neue EU-Kommission gebildet, das ist also eine Phase des Übergangs. Die EU und die Mitgliedsstaaten wissen, dass sie weitere Finanzierungen schultern müssen. Aber zugleich gilt, dass bei der globalen Klimafinanzierung alle mitziehen müssen, die das können, also auch Länder, die vor dreißig Jahren noch als Entwicklungsländer galten, heute aber längst über die nötige Wirtschaftskraft verfügen.

Wir wollen erreichen, dass es mehr Klimafinanzierung von mehr Partnern gibt. Natürlich haben wir da China und die Golfstaaten im Blick, aber auch die USA. Selbst wenn sie nicht mehr in dem Abkommen wären, sind sie ein großer Emittent und finanzstark. Sie profitieren enorm von den Klimaschutztechnologien. Also ist es auch unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in UN-Institutionen richtig, Forderungen an die USA zu stellen.

Viele Entwicklungsländer wie die Inselstaaten oder die ärmsten Länder haben ähnliche Interessen wie die EU: Sie streben eine Erweiterung des Geberkreises an und wollen eine schnelle Reduktion der Emissionen. Warum gelingt es nicht, diese Länder aus der Gruppe der Entwicklungsländer, der G77, herauszulösen, wo Länder wie China, Indien und Brasilien den Ton angeben?

Die G77 haben lange Zeit gute Erfahrungen damit gemacht, geschlossen aufzutreten, auch dann, wenn nicht alle Staaten einer Meinung waren. Aber es gab schon auch andere Zeiten. Das Pariser Abkommen kam auch zustande, weil sich eine Koalition aus der EU und den kleinen Inselstaaten bildete. Und dann kam der Moment, dass noch Brasilien und die USA dazukamen. Solche Momente gab es zum Glück immer wieder – Momente, in denen eine Allianz zwischen der EU und Entwicklungsländern wirklich Bewegung ausgelöst hat.

Könnte sich das in Baku wiederholen?

Es hat hier ein sehr starkes Lebenszeichen von der High Ambition Coalition gegeben, also der Vorreitergruppe, die 2015 das Pariser Abkommen ermöglicht hat. Der Bundeskanzler war daran auch beteiligt. Letztes Jahr in Dubai konnte er dieses Signal nicht geben. Das hatte die FDP verhindert. Insofern war es gut, dass der Kanzler wieder zustimmen konnte.

In einer Welt, die immer konfrontativer wird, hoffen manche, dass die Klimaverhandlungen ein Ort sein können, wo man auch andere Probleme der Welt besprechen kann. Ist das zu viel verlangt?

Klimakonferenzen darf man nicht damit überfrachten, auch noch andere Probleme zu lösen. Aber ich stimme auch Holger Lösch zu, dem BDI-Geschäftsführer, der dieser Tage sagte: Lasst uns diesen Ort nicht kleinreden! Ein Weltklimagipfel ist ein großer Ort. Er ist ein multilateraler Mechanismus, der noch funktioniert und der gezeigt hat, dass er Ergebnisse liefern kann.

In diesem Sinne können Klimakonferenzen auch über sich hinaus wirken, weil sie das Gefühl stärken: Es lohnt sich, sich multilateral zu engagieren und mit anderen Ländern zusammen die großen Probleme zu lösen.

Sie sind also optimistisch, dass man den Klimabereich abschirmen kann und dieser nicht als Kollateralschaden bei der Auseinandersetzung zwischen den USA und China endet?

Das ist ja schon in der Vergangenheit bewiesen worden. Der russische Angriffskrieg jährt sich in wenigen Monaten zum dritten Mal. Selbst in diesen geopolitisch schwierigen Zeiten konnten multilaterale Verabredungen erzielt werden. Es ist gut, wenn sich aus diesen Konferenzen heraus eine eigene Kraft entwickelt, zu Ergebnissen zu kommen. Das kann funktionieren.

Erneut haben renommierte Klimaforscher und -verhandler Vorschläge zu einer Reform der Klimagipfel gemacht. Ließen sich die Mega-Konferenzen reformieren, damit sie effizienter werden?

Diese Konferenzen sind wirklich sehr groß geworden. Das löst gelegentlich Kritik aus. Ich bin trotzdem dafür, an diesen Konferenzen festzuhalten. Sicherlich lässt sich mehr Maß halten. Ich selbst habe beim Klimagipfel 2017 mit etlichen Staaten aus aller Welt diskutiert, ob man nach dem Pariser Abkommen zu einem anderen Rhythmus kommen sollte. Zum Beispiel alle drei Jahre einen großen Gipfel und dazwischen kleinere, eher technische Konferenzen. Appetit auf so eine Veränderung hat das bei niemandem ausgelöst.

Dass hier große und kleine Emittenten, arme und reiche Länder, Ost und West, Nord und Süd zusammenarbeiten und jeder eine Stimme hat. Dass hier auch die NGOs, die Wissenschaft und die Industrie dabei sind – das ist eine Voraussetzung dafür, dass es am Ende auch gelingen kann. Denn es geht ja um große, umwälzende Veränderungen, die für alle Gesellschaften eine riesige Herausforderung sind.

Die Welt, die Sie gerade beschrieben haben, ist sehr bunt. Es gibt große und kleine Staaten, Inselstaaten, Bergländer. Aber hier in der Konferenz regiert die Zweiteilung in Industriestaaten und Entwicklungsländer. Macht diese Zweiteilung noch Sinn?

Wir haben das im Pariser Abkommen aufgebrochen. Das ist der große Fortschritt von 2015: Es ist das erste übergreifende, alle Staaten umfassende Abkommen und insofern haben wir die Zweiteilung im Kern überwunden. In der Praxis ist diese neue Welt noch nicht in allen Köpfen angekommen. Aber es gibt Bewegung.

Letztes Jahr hat Deutschland zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den Fonds für den Umgang mit klimabedingten Verluste und Schäden gestartet, indem wir beide je 100 Millionen US-Dollar eingebracht haben. Dass dieser Fonds eingerichtet wird, war eine zentrale Forderung der Entwicklungsländer über viele Jahre hinweg, die lange ignoriert worden war. Das sind solche Punkte, an denen man Bewegung organisieren kann. Und genau darum geht es hier. Wir sind nicht mehr in der Welt von 1992, wo die Klimakonvention die Welt zweiteilte in die zwei Kategorien Industrie- oder Entwicklungsländer.

Noch eine Frage zur EU. Sie ist der einzige Staatenbund bei diesen Verhandlungen. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus?

Ein Vorteil ist, dass wir auch Diversität, unterschiedliche politische und kulturelle Bezüge, innerhalb Europas haben. Natürlich erhöht das auch den Abstimmungsbedarf, was wiederum Zeit braucht. Aber wenn ich einen Strich drunter mache, ist es auch gut für Deutschland, hier als Teil einer starken EU verhandeln zu können.

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