Ohne Großbatterien kannibalisiert Grünstrom die eigenen Erträge
Wenn die Sonne scheint und Solaranlagen ihre volle Leistung bringen, dann fällt der Strompreise, weil – die Sonne scheint. Diesen Effekt könnte man mit Großbatterien zumindest abschwächen, doch Deutschland hinkt beim Bau dieser Energiespeicher hinter Märkten wie Kalifornien her.
In Europa fallen die Strompreise immer häufiger unter null. Das Jahr „2023 sah eine Explosion negativer Preise in der EU“, schreibt die EU in einem aktuellen Bericht. [1] Besonders ausgeprägt war dieses Phänomen in den skandinavischen Ländern, aber auch in Deutschland bekamen Stromkäufer letztes Jahr während 300 Stunden Geld dafür, Strom zu beziehen. Und mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren wird dieses Problem immer häufiger auftreten, denn Solar- und Windkraftanlagen produzieren alle gleichzeitig, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Und dann fallen an der Strombörse die Preise – im Extremfall bis unter null. Die Erneuerbaren „kannibalisieren“ so ihre eigenen Erträge und machen den weiteren Ausbau von Solar- und Windkraftanlagen unattraktiver. „Der Effekt ist mittlerweile so stark, dass das Interesse an Investitionen in Solarparks stark zurückgeht“, sagt Alexander Hauk vom Verband kommunaler Unternehmen. [2]
Die offensichtliche Lösung für dieses Problem sind Batterien, die praktischerweise auch immer billiger werden: „In weniger als 15 Jahren sind die Batteriekosten um mehr als 90 Prozent gefallen“, schreibt die Internationale Energieagentur (IEA) in einer aktuellen Studie: Das sei „eine der schnellsten Kostenreduktionen, die man je im Bereich der sauberen Energien gesehen hat“. [3] Der Zubau an Batterien ist denn auch rasant: Letztes Jahr hat sich in Europa die Zubaurate zum dritten Mal verdoppelt. Doch der Großteil der neuen Batterien hat höchstens einen indirekten Einfluss auf den Börsenstrompreis, sondern dient einzelnen Haushalten dazu, den eigenen Solarstrom in den Abendstunden nutzbar zu machen. Was fehlt sind Gigabatterien, die Stromangebot und -nachfrage auf Ebene des Stromnetzes in Einklang bringen und damit die Preisschwankungen an der Strombörse glätten, sodass negative Strompreise vermieden werden.
Derartige Batterien sind sehr groß: Die im Bau befindliche Großbatterie des Energiekonzerns RWE in Neurath und Hamm besteht etwa aus 690 containergroßen Batterieblöcken, die sich auf die Fläche von drei Fußballfeldern verteilen. Zusammen haben diese eine Leistung von gut 200 Megawatt, was etwa einem Fünftel der Leistung eines Kohle- oder Atomkraftwerks entspricht. Und trotz des rapiden Kostenverfalls bei Batterien, ist eine solche Anlage auch nicht ganz billig: RWE investiert in Neurath und Hamm zusammen 140 Millionen Euro. [4] Diese Investition soll mittels zwei Finanzströmen amortisiert werden: Zum einen durch den Kauf und Verkauf von Strom an der Strombörse und zum anderen durch die Bereitstellung von Regelenergie. [5] Mit Regelenergie werden kurzfristige Spannungsschwankungen im Stromnetz ausgeglichen und dafür eignen sich Batterien besonders gut, da sie innert Sekunden anspringen und ihre volle Leistung entfalten.
Viele Beobachter gehen daher davon aus, dass Großbatterien großen Einfluss auf den Strommarkt der Zukunft haben werden. Walburga Hemetsberger von SolarPower Europe, einem Interessenverband, sagt etwa: „Die zunehmende Batteriespeicherung bedeutet eine grundlegende Abkehr von unserer derzeitigen netzzentrierten Sicht auf den Markt. Dies wirkt sich nicht nur auf die Art und Weise aus, wie wir die Infrastruktur planen und das System betreiben, sondern auch auf die Märkte, auf denen wir tätig sind.“ [6] Und Auke Hoekstra von der niederländischen Universität Eindhoven sagt: „Vielleicht bin ich verrückt geworden, aber ich glaube, dass billige stationäre Batterien ein unterschätzter Wegbereiter für den Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien sind.“ [7] Hoekstra unterscheidet drei Phasen im Aufbau eines Stromnetzes, das zu 100 Prozent auf Grünstrom beruht: In der ersten, ohne Batterien, sind 60 bis 70 Prozent Grünstrom möglich und in der zweiten, mit Großbatterien, sind es 90 Prozent. Erst in der dritten und letzten Phase muss Elektrizität dann etwa in Wasserstoff umgewandelt werden, um auch in tagelangen – und europaweiten – „Dunkelflauten“ genug Strom produzieren zu können. [8]
Trotzdem haben es Batterien in Deutschland noch schwer. Bislang sind erst Großbatterien mit einer Leistung von 1,2 Gigawatt am Netz. [9] Das liegt nicht zuletzt am unsicheren regulatorischen Umfeld: Batterien gelten sowohl als Stromkonsumenten als auch als –produzenten und müssen daher beim Ein- und Ausspeichern das Netzentgelt bezahlen. Aktuell ist diese Doppelbelastung bis 2029 ausgesetzt, aber anschließend fehlt Investoren die Rechtssicherheit. [10] Wie es besser geht zeigt Kalifornien, wo bereits Großbatterien mit einer Leistung von zehn Gigawatt am Netz sind. Diese sorgen dort für einen höhere Stromnachfrage, wenn die Sonne scheint, und ein größeres Stromangebot nach Sonnenuntergang. Dadurch wird der Strompreis über den Tag geglättet und Strom von Gaskraftwerken aus dem Netz gedrängt, wie eine Analyse der Firma GridStatus zeigt. [11] Gigabatterien haben also genau den erwünschten Effekt – wenn man sie erst einmal hat.
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[1] ACER, März 2024: Key developments in EU electricity wholesale markets (PDF)
[2] Bloomberg, 02.06.2024: Bursts of Free Power Raise Red Flags for Green Tech Investors
[4] RWE, Stand 26.06.2024: Bauprojekt für Batteriespeichertechnologie in NRW
[7] Auke Hoekstra, 20.06.2024: Tweet
[8] Auke Hoekstra, 25.05.2024: Tweet
[9] Frontier Economics, Dezember 2023: Wert von Großbatteriespeichern im deutschen Stromnetz (PDF)
[10] Gebäude Energieberater, 13.11.2023: Energiespeicher von doppelten Netzentgelten befreit
[11] GridStatus, 07.05.2024: Batteries Taking Charge of the California Grid