Die deutsche Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum übersieht den offensichtlichsten Hebel: eine Beschleunigung der Energiewende. Diese hat deutlich an Fahrt aufgenommen, insbesondere beim Zubau von Solaranlagen. Trotzdem wird die Entwicklung durch permanente Querschüsse verlangsamt. Hinzu kommt, dass der Klima- und Transformationsfonds (KTF), ein Sondervermögen des Bundes, 60 Milliarden Euro eingebüßt hat. Dieses Geld stammte aus dem Coronafonds, doch die Umwidmung des Geldes hat sich schließlich als grundgesetzwidrig herausgestellt. Dies hatte etwa zur Folge, dass die Kaufprämie für Elektroautos im Dezember letzten Jahres plötzlich eingestellt wurde. Kurz, es stehen nicht so viele Mittel für die Energiewende zur Verfügung, wie ursprünglich geplant.
Es lohnt sich daher in der Diskussion über das deutsche Mickerwachstum, die Überstundenbesteuerung kurz außer Acht zu lassen und den Blick etwas zu heben. Dann sieht man das Energiesystem der Zukunft. In 20 Jahren wird fast alles elektrisch betrieben sein: Autos, Busse, Lastwagen und selbst viele Fährschiffe. Andere Energieträger kommen nur noch bei Nischenanwendungen zum Zug, etwa dem interkontinentalen Flugverkehr. Dadurch wird der Strombedarf stark steigen. Zusätzlich werden große Mengen an Elektrizität benötigt, um Wasserstoff herzustellen. All dieser Strom stammt aus erneuerbaren Quellen und wird von Abermillionen Besitzern von Solaranlagen und Stromspeichern zur Verfügung gestellt. Netze in einzelnen Haushalten, über Nachbarschaften, Gemeinden bis hin zu einem EU-weiten Hochleistungsnetz sorgen dabei für die erforderliche Energiesicherheit.
Da der Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Quellen stammt, ist er extrem billig. Sonne und Wind sind kostenlos und Solar- und Windkraftanlagen haben daher Grenzkosten von Null, an denen sich der Preis an der Strombörse schließlich orientiert. Das Energiesystem der Zukunft ist zudem sehr effizient. Durch die Elektrifizierung und damit die Verdrängung von Verbrennungsmotoren werden große Mengen an Primärenergie eingespart, die im fossilen Energiesystem meist durch Abwärme verloren gegangen sind. Obwohl der Stromverbrauch deutlich höher liegt als heute, ist der gesamte Energieverbrauch der Volkswirtschaft folglich niedriger. All das ist das Resultat von Marktkräften: Skalenerträge sorgen für immer weiter fallende Kosten und damit für eine kontinuierlich zunehmende Nachfrage und schließlich wird eine ineffiziente Technologie durch eine effizientere verdrängt.
Doch zurück in die Gegenwart und zum geo-ökonomischen Umfeld Deutschlands. China, die USA und die EU – ja, auch Brüssel – haben verstanden, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen wird. Daher liefern sie sich nun ein Rennen, wer dieses am schnellsten umsetzen kann und die dafür nötigen Industrien entwickelt. Aber was ist mit Deutschland? Ist Deutschland in der Führungsgruppe dabei oder läuft es einfach hinterher? Die Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit des Landes lässt eher auf letzteres schließen, denn das Energiesystem der Zukunft kommt darin kaum vor. Dabei treibt gerade der Ausbau der Erneuerbaren das Wachstum, wie eine aktuelle Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) zeigt: Diese haben letztes Jahr 320 Milliarden Dollar zur Weltwirtschaft beigetragen, was einem Zehntel des Wachstums im Jahr 2023 entspricht. Wer mehr in das Energiesystem der Zukunft investiert, wächst schneller.
Doch wer investieren will, braucht Geld. Und das fehlt jetzt, da der KTF die Coronamilliarden wieder abgeben musste. Daher liegt der Schluss nahe, diese Milliarden durch eine schuldenfinanzierte KTF-Aufstockung zu ersetzen. Da das Geld für Investitionen ausgegeben wird, deren Nutzen sich erst in der Zukunft materialisieren, ist die Finanzierung durch neue Schulden gerechtfertigt, weil so Kosten und Nutzen zeitlich stärker in Einklang gebracht werden. Eine Aufstockung des KTF wäre zudem ein Signal nach innen: „Wenn schon ein neues Energiesystem nötig ist, dann machen wir das auch im Deutschlandtempo. Es ist ja ein Rennen.“ Und nach außen: „Wir sind auch im Rennen und haben die Absicht, ganz vorne mit dabei zu sein.“ Der Klima- und Transformationsfonds (KTF) könnte daher auch anders heißen: Sondervermögen Industriestandort.
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[1] IEA, 18.04.2024: Clean energy is boosting economic growth