Der frühere Schweizer Umweltbotschafter Franz Perrez erklärt im Interview die Rolle des Umweltvölkerrechts
Sie waren 2015 an der Aushandlung des Paris Abkommens beteiligt. Funktioniert das Abkommen so wie man sich das damals vorgestellt hat?
Das Paris Abkommen war ein grosser Erfolg. Gewisse Teile funktionieren, so sind alle Länder ins neue Klimaregime eingebunden. Was aber noch nicht funktioniert, ist, dass alle Länder Klimaziele formulieren, die dem entsprechen, was sie maximal leisten könnten. Auch noch nicht erreicht ist, dass sich alle Länder gemäss ihren Möglichkeiten an den finanziellen Klimahilfen beteiligen. Es gibt grosse und relativ wohlhabende „Entwicklungsländer“ wie Korea, Singapur, Saudi Arabien oder China, die sich noch nicht so Verhalten, wie es ihren Kapazitäten entspricht.
Warum haben Länder Klimaziele, die hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben?
Viele Länder gewichten kurzfristige Interessen noch immer höher als langfristige. Das hat man auch in der Schweiz gesehen. Das erste Klimagesetz wurde abgelehnt und es hat einen zweiten Anlauf gebraucht, um ein Klimagesetz zu verabschieden. Das zeigt, dass es noch Widerstände gibt. Viele Länder haben auch noch das Gefühl, dass die anderen Staaten zu wenig tun, und haben Angst, dass sie sich überproportional einschränken müssen, um zum gemeinsamen Ziel beizutragen.
Die UN-Klimakonvention, auf der das Paris Abkommen beruht, legt in einem Anhang fest, welche Länder als Industriestaaten gelten. War es ein Fehler das im Jahr 1992 so festzuschreiben?
Die UN-Klimakonvention stammt noch aus dem letzten Jahrtausend. Das war eine andere Welt. Damals war es tatsächlich so, dass die Industriestaaten für den grössten Teil der Emissionen verantwortlich waren. Daher war es richtig, dass sie vorangehen sollen. Es war damals aber nicht die Absicht, die Liste der Industriestaaten abschliessend festzulegen. Der Anhang sollte dynamisch sein und ergänzt werden. Dazu gab es immer wieder Vorschläge, aber diese sind stets gescheitert. Man hätte also besser objektive Kriterien beschlossen, die festlegen, welche Länder als Industrieländer gelten. Für das Paris Abkommen gilt der Anhang allerdings nicht mehr. Das war die grosse Errungenschaft des Abkommens, dass alle Länder gemäss ihren Möglichkeiten einen Beitrag leisten müssen.
Lässt sich das Problem der Klimafinanzierung im Rahmen des Paris Abkommens lösen oder braucht es einen grösseren Rahmen, wo auch die Weltbank und der IWF dabei sind?
Es braucht den grösstmöglichen Rahmen. Das Paris Abkommen sagt klar, dass es mehrere Ebenen braucht. Es braucht einerseits die Staaten, die öffentliche Mittel bereitstellen. Das Abkommen sagt aber auch, dass alle Finanzflüsse auf die Ziele des Abkommens ausgerichtet werden müssen. Aber die Diskussion ist heute noch zu sehr auf die öffentlichen Mittel fokussiert. Insbesondere ist der Widerstand noch sehr gross gegen die Ausrichtung aller Finanzflüsse auf die Klimaziele. Wenn das aber nicht passiert, dann kann man diese nicht erreichen. Im Bereich Verluste und Schäden infolge der Klimaerwärmung ist es zum Beispiel klar, dass ein Fonds alleine das riesige Problem nicht lösen kann. Dazu muss man das gesamte UN-System mobilisieren und weit über einen Fonds hinausdenken.
Woher kommt der Widerstand gegen die Nutzung aller Finanzströme?
Manche Länder haben Angst, dass sich die Industriestaaten damit aus ihrer Verantwortung stehlen. Das darf aber nicht sein. Die Verantwortung der Industriestaaten besteht nach wie vor. Andere Länder nutzen die Diskussionen über die Klimagelder aber auch aus, um davon abzulenken, dass sie selber eigentlich mehr machen müssten. Und dann gibt es Länder, in denen der Widerstand gegen die nötige Transformation der Wirtschaft noch zu gross ist. Dort wehren sich die Produzenten fossiler Energien dagegen, dass das Finanzsystem so verändert wird, dass sie nicht mehr so einfach Zugang zu finanziellen Mitteln haben.
Es gibt sehr viele verschiedene Umweltabkommen. Decken diese alle wichtigen Bereiche ab oder gibt es noch Lücken?
Wichtige Lücken konnten wir schliessen, etwa beim Quecksilber, neu bei Plastik. Aber es gibt noch Lücken bei anderen Schwermetallen wie Blei und Cadmium. Auch endokrine und hormonelle Substanzen sind noch nicht genügend auf multilateraler Ebene reguliert. Die Schweiz setzt sich auch dafür ein, dass man global oder zumindest regional ein Waldabkommen schliesst. Es gibt kein Abkommen, das den Wald aus einer Waldperspektive anschaut. Wir haben zudem einen Prozess initiiert, um die vielen Abkommen in Clustern zusammenzuführen. Je nach Zählung gibt es einige hundert oder sogar mehr als tausend Umweltabkommen. Das ist zu viel. Wenn ein Umweltminister oder eine Umweltministerin an jedem Ministertreffen teilnehmen wollte, wäre sie oder er wohl über 400 Tage im Jahr auf Reisen. Auf Initiative der Schweiz wurde zuerst im Bereich Chemikalien ein Cluster geschaffen. Die Sekretariate der verschiedenen Konventionen sind am gleichen Ort und die Konferenzen finden gleichzeitig statt. Und auch beim Artenschutz konnte die Schweiz einen Synergienprozess initiieren. Insofern ist bei der Gouvernanz in den letzten Jahren viel passiert.
Und was fehlt sonst noch?
Die wissenschaftliche Basis muss weiter gestärkt werden. Aus Schweizer Sicht braucht es auch für den Bereich Chemikalien und Abfall einen wissenschaftlichen Rat wie den Weltklimarat (IPCC), der den wissenschaftlichen Erkenntnisstand regelmässig zusammenfasst. Und das Umweltprogramm der UNO sollte die Risiken und das Potential von Geoengineering abklären. Das haben wir bisher noch nicht erreicht. Der Widerstand der USA und Saudi Arabiens war zu gross.
Würde es etwas bringen, wenn man das UN-Umweltprogramm durch eine UN-Umweltorganisation ersetzen würde?
Diese Frage hat sich bereits beim Rio-Plus-20-Gipfel im Jahr 2012 gestellt. Die Schweiz hat damals die Schaffung einer UN-Umweltorganisation nicht unterstützt, denn die Organisation hätte nicht automatisch die Möglichkeit, die Kompetenzen der verschiedenen Umweltabkommen zu bündeln. Jedes Abkommen ist rechtlich gesehen unabhängig. Zudem ist das Mandat des UN-Umweltprogramms genügend stark, die Staaten müssten es nur nutzen.
Was sind die Grenzen des Völkerrechts bei der Bekämpfung der multiplen Umweltkrisen?
Die Grenzen des Völkerrechts sind die Positionen der einzelnen Mitgliedsländer in den verschiedenen Abkommen. Wenn die Staaten etwas nicht wollen, dann kann man es auch nicht machen. Das ist die einzige Grenze. In den letzten Jahren wurden wichtige Erfolge erzielt: Beim Schutz der Ozonschicht, bei Abfällen und bei gewissen Chemikalien haben wir riesige Fortschritte gemacht. Auch beim Artenschutz stehen wir besser da, als ohne die Abkommen. Selbst beim Klima gab es Fortschritte. Vor Paris war die Welt auf einem Kurs Richtung vier Grad Erwärmung und jetzt sind wir auf einem Kurs auf unter zwei Grad, gemäss manchen Prognosen. Jedes Zehntelgrad weniger ist ein riesiger Erfolg. Wir sind einfach noch nicht dort, wo wir sein sollten. Allzu negativ darf man das Umweltvölkerrecht also nicht bewerten. Im Gegenteil, es ist sehr erfolgreich, aber noch nicht erfolgreich genug.
Noch kurz zu Ihrer neuen Stelle: Als Chef der Direktion für Völkerrecht im Aussenministerium sind Sie nun für die Gesamtheit des Völkerrechts verantwortlich, oder?
Die Direktion für Völkerrecht ist die Gralshüterin des Völkerrechts. Jetzt geht es nicht mehr nur um die Umwelt, sondern um die Gesamtheit des Völkerrechts. Das Völkerrecht ist nicht einfach gegeben, sondern kann gestaltet werden. Es ist daher im Interesse der Schweiz darauf Einfluss zu nehmen.
Franz Perrez, 56, war bis Ende Juni Leiter der Abteilung International im Bundesamt für Umwelt und damit der Leiter der Schweizer Delegation bei den UN-Verhandlungen über das Klima und andere Umweltabkommen. Seit Anfang Juli leitet er die Direktion für Völkerrecht im Aussendepartement.
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