Die Welt steigt aus der Kohle aus – außer China

In China stehen mehr als zwei Drittel aller Neubauprojekte

In der Coronapandemie begann China wieder vermehrt mit dem Bau von Kohlekraftwerken zur Stimulierung der Wirtschaft. Dieser Bauboom ist noch nicht abgeebbt, während alle anderen Länder sich langsam von der Kohleverstromung verabschieden.

Außer in China beschleunigt sich der Kohleausstieg. Das zeigen zwei neue Entwicklungen aus dieser Woche. Zum einen sieht der neuste Entwurf für Indiens Strompolitik nicht länger den Bau von neuen Kohlekraftwerken vor. In dem Land sind Kohlemeiler mit einer Kapazität von 234 Gigawatt (GW) am Netz und weitere 32 GW im Bau, wie Daten vom Global Energy Monitor (GEM) zeigen. [1] Doch für die rund 20 GW, die zwar eine Baugenehmigung haben, aber deren Bau noch nicht begonnen wurde, bestehe kein Bedarf mehr wie ein ungenannter indischer Regierungsvertreter gegenüber dem Nachrichtenportal Climate Home News sagte: „Nach monatelangen Überlegungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir keine neuen Kohlekraftwerke benötigen, abgesehen von denen, die bereits in der Pipeline sind.“ [2]

Falls der Entwurf tatsächlich verabschiedet wird, würde Indien damit auch eine gute Basis für den G20-Gipfel im September in Delhi schaffen, wo nicht zuletzt eine Forderung von UN-Chef António Guterres diskutiert werden wird. Guterres hatte bei der Vorstellung des letzten Berichts des Weltklimarats (IPCC) im März gefordert, dass weltweit keine neuen Kohlekraftwerke mehr gebaut werden. [3] Außerdem sollen die reichen Länder bis zum Jahr 2030 und die ärmeren Länder bis zum Jahr 2040 aus der Kohleverstromung aussteigen. Diese Forderungen werden bereits von den größten Industrienationen, den G7-Ländern, unterstützt: Deren Energieminister haben sich im April in Japan darauf geeinigt, bis zum Jahr 2035 „einen vollständig oder überwiegend dekarbonisierten Energiesektor“ zu schaffen. [4 s. Art. 66]

Moorburg. Das Kraftwerk bei Hamburg ging 2015 ans Netz und wurde 2020 abgeschaltet. Ob das bei Chinas Kraftwerken auch so schnell geht? (Foto: Stefan Jürgensen / Flickr)
Moorburg. Das Kraftwerk bei Hamburg ging 2015 ans Netz und wurde 2020 abgeschaltet. Ob das bei Chinas Kraftwerken auch so schnell geht? (Foto: Stefan Jürgensen / Flickr)

Die zweite gute Nachricht kommt derweil aus Berlin. Dort hat der Thinktank Mercator Institut (MCC) eine Studie vorgelegt, die untersucht, mit wie vielen neuen Kohlekraftwerken weltweit noch zu rechnen ist. [5] Die GEM-Daten zeichnen hier ein furchterregendes Bild: Weltweit sind Kohlemeiler mit einer Kapazität von 2082 GW am Netz und weitere 437 GW in den verschiedenen Planungs- und Bauphasen. [1] Das bedeutet, dass die globale Flotte an Kohlekraftwerken noch um gut ein Fünftel wachsen würde, wenn alle Vorhaben umgesetzt werden. Die MCC-Studie zeigt allerdings, dass das unwahrscheinlich ist. MCC hat Energieexperten in den wichtigsten Kohleländern gefragt, mit wie vielen neuen Kraftwerken in ihren Ländern noch zu rechnen ist und kommt auf einen deutlich niedrigeren Wert. Die Experten rechnen nur mit 215 GW an neuen Kraftwerken. Das ist weniger als die Hälfte der von GEM erfassten Projekte.

Die MCC-Studie hat auch untersucht, warum geplante Kraftwerke oft nicht über die Planungsphase hinauskommen: „Die Politik ist entscheidend, ob neue Kraftwerke gebaut werden.“ [5] Denn eigentlich sind in den meisten Ländern die Erneuerbaren längst die wirtschaftlichste Option. „Doch Experten stimmen darin überein, dass andere Faktoren als die relativen Kosten im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden, wenn es um Kohlekraftwerke geht.“ Dies könnten regionale Arbeitsplätze, Steuerzahlungen oder der Einfluss der Kohleindustrie sein. Das habe aber auch sein Gutes: Wenn man die „spezifischen politökonomischen Gründe der einzelnen Länder für den Bau neuer Kohlekraftwerke“ kenne, dann könne man „wirksame Maßnahmen zur Verhinderung dieser Anlagen entwickeln“.

Das ist nirgends dringlicher als in China, denn das Land hat mehr neue Kraftwerke in der Pipeline als alle anderen Länder zusammen. Letztes Jahr ist dort die Kapazität der Kraftwerke in den verschiedenen Planungs- und Bauphasen auf 366 GW gestiegen, während in allen anderen Ländern dieser Wert auf 172 GW gefallen ist. [6] Von allen Kraftwerken in Entwicklung stehen also 68 Prozent in China. Dieser Bauboom ist nicht zuletzt eine Folge der Wirtschaftskrise während der Coronapandemie. Zur Stimulierung der Wirtschaft baut China in solchen Fällen Kohlekraftwerke. Wie man auf die „politökonomischen Gründe“ für dieses Verhalten einwirken kann, um den Bau neuer Kraftwerke in China zu verhindern, sagt die Studie allerdings nicht.

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[1] GEM, Stand 12.05.2023: Dashboard

[2] Climate Home News, 05.05.2023: India mulls end to coal plant construction

[3] UN, 20.03.2023: Secretary-General Calls on States to Tackle Climate Change ‘Time Bomb’ through New Solidarity Pact, Acceleration Agenda, at Launch of Intergovernmental Panel Report

[4] G7, 16.04.2023: G7 Climate, Energy and Environment Ministers’ Communiqué (PDF)

[5] Lorenzo Montrone et al, 28.04.2023: Investment in new coal-fired power plants after the COVID-19 pandemic: experts expect 170–270 GW of new coal

[6] GEM, April 2023: Boom and Bust Coal 2023 – Tracking the Global Coal Plant Pipeline (PDF)