Der CO2-Grenzausgleich der EU könnte die Klimapolitik rund um die Welt beeinflussen
Im Rahmen der UN-Klimakonvention entscheidet jedes Land selbst über seine Klimapolitik. Da die EU nun Klima- und Handelspolitik miteinander verknüpft, haben viele Länder aber einen Anreiz, sich an der EU zu orientieren. Dem Klima wäre das durchaus recht.
Bislang waren die Klima- und die Handelspolitik strikt getrennt, doch das ändert sich gerade. Die größte Aufmerksamkeit bekommt aktuell das US-Inflationsreduktionsgesetz. Dieses beinhaltet 369 Milliarden Dollar an Subventionen für Elektroautos, erneuerbare Energien und andere grüne Technologien. Anspruch auf dieses Geld hat aber nur, wer auch in den USA produziert. Aus Sicht der EU verstößt diese „Buy American“ Klausel gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Aber auch die EU diskutiert gerade eine durchaus kontroverse Maßnahme, um den Welthandel klimafreundlicher zu machen: den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM von englisch „Carbon Border Adjustment Mechanism).
Noch im Dezember könnte entschieden werden, dass die Importeure von besonders CO2-intensiven Gütern, einen Grenzausgleich, also eine Art Zoll, bezahlen müssen, wenn im Herstellungsland laxere Klimaregeln gelten als in der EU. Anfangs soll dieser Zoll nur für fünf Produktgruppen gelten: für Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Dünger sowie Strom. Wer diese Produkte in der EU produziert, muss für seine Emissionen Verschmutzungsrechte im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EU-ETS) erwerben. Diese kosten aktuell 85 Euro pro Tonne CO2. Dadurch haben EU-Produzenten einen Kostennachteil gegenüber Produzenten, in denen es keinen CO2-Preis gibt. Der Grenzausgleich soll daher zweierlei erreichen: Zum einen soll dieser Kostennachteil ausgeglichen werden, damit der Anreiz wegfällt, außerhalb der EU zu produzieren – ein Phänomen namens „Carbon Leakage“. Zum anderen sollen andere Länder aber auch einen Anreiz erhalten, ebenfalls einen CO2-Preis einzuführen, um den Grenzausgleich zu vermeiden. Das würde auch dem Klima nutzen.
Der neue Mechanismus könnte bereits im Januar eingeführt werden. In einer Übergangsphase von drei Jahren müssten die Importeure dann melden, wie viel CO2 bei der Produktion ihrer Güter emittiert wurde, und ab dem Jahr 2026 müssten sie für die Emissionen den Grenzausgleich bezahlen. Damit hätten die Exportländer genug Zeit, auch einen CO2-Preis einzuführen. Ob dieser enge Zeitplan eingehalten werden kann, ist allerdings nicht sicher, da die Behandlung von EU-Exporten CO2-intensiver Güter noch nicht geklärt ist. Der Grenzausgleich stellt nur sicher, dass EU-Produzenten auf dem EU-Markt keinen Kostennachteil haben. Beim Export konkurrieren EU-Produzenten aber weiterhin mit Herstellern aus Ländern ohne CO2-Preis. Dies lässt sich ausgleichen, indem man EU-Produzenten kostenlose Verschmutzungsrechte für Exporte zuteilt. Doch wie das geschehen soll, ist noch nicht entschieden. Zudem soll der EU-Grenzausgleich unbedingt den WTO-Regeln entsprechen. Dazu muss die EU nachweisen können, dass sie Hersteller aus Drittländern nicht diskriminiert.
Sobald CBAM eingeführt wird, werden Exportländer CO2-intensiver Güter sofort per Klage prüfen, ob sich die EU an die WTO-Regeln hält. Gleichzeitig deutet aber immer mehr darauf hin, dass diese Länder davon ausgehen, dass CBAM WTO-konform ist und sich darauf vorbereiten, indem sie einen CO2-Preis einführen. Damit würde eine EU-interne Regel (CBAM) eine Wirkung in Drittländern entfalten. Dieser „Brüssel-Effekt“ ist bei vielen Produkten bekannt. Viele multinationale Konzerne halten sich global an EU-Regeln, da diese am striktesten sind und es sich nicht lohnt, unterschiedliche Produkte für verschiedene Länder herzustellen. Welche Zusatzstoffe eine Zahnpasta enthalten darf, entscheidet Brüssel – für die ganze Welt. Und CBAM könnte nun darüber entscheiden, wie hoch der CO2-Preis für Hersteller von Stahl, Aluminium oder Dünger in Ländern wie China, Südafrika oder Brasilien ist. Dies legt eine Studie des niederländischen Thinktanks Clingendael nahe. Dieser schreibt: CBAM „wird die erste EU-Politik sein, die Emissionen der Industrie in Drittländern betrifft, und nicht nur die Emissionen der Industrie innerhalb der EU“. [1]
Die Liste der Beispiele, die Clingendael aufführt, ist lang: China führt ein Emissionshandelssystem ein und „führende Vertreter der chinesischen Industrie glauben, dass China entweder nicht von CBAM betroffen sein wird oder sogar einen Wettbewerbsvorteil haben wird, da viele Schwellenländer keine CO2-Preis haben“. Auf den gleichen Effekt hoffen auch indische Hersteller: „CBAM könnte Indien einen Wettbewerbsvorteil für den Export in die EU verschaffen, da es weniger Konkurrenz hätte.“ Sehr viel weniger Konkurrenz dürfte es aber nicht sein: Marokko, die Türkei, Kanada und die Staaten im Westbalkan überarbeiten derzeit ihre Klimapolitik und viele davon planen die Einführung eines Emissionshandelssystems. [1] Und das Gleiche trifft auf Malaysia [2], Australien, Südafrika und Brasilien zu. Der „Brüssel-Effekt“ hat aber auch seine Grenzen: Ob die USA jemals einen CO2-Preis einführen werden, wird in Washington entschieden. Die Studie warnt zudem davor, dass einige Länder Hilfe benötigen könnten, um CBAM-konform zu werden. Genannt werden hier Ägypten, Algerien, Mozambique und Nigeria. Dank der dreijährigen Übergangsphase bleibt dafür aber Zeit.
[2] Jason Loh und Hazriq Iqmal Abdul Aziz, 23.11.2022: Countering effects of climate change