Bislang waren Fortschritte beim Artenschutz noch schwieriger als beim Klima
Die Stabilität des planetaren Ökosystems beruht auf dem Zusammenspiel von Millionen verschiedener Tier- und Pflanzenarten. Doch diese sterben immer schneller aus, was die Länder der Welt nun stoppen wollen. Noch ist aber offen, ob sie auch bereit sind, dafür etwas zu tun.
Nächste Woche beginnt in Montreal die 15. UN-Artenschutzkonferenz (COP15). Diese zweiwöchige Konferenz hätte eigentlich im Jahr 2020 in der chinesischen Großstadt Kunming stattfinden sollen, wurde dann aber mehrfach verschoben. Wegen Chinas Null-Corona-Politik musste schließlich auch der Konferenzort gewechselt werden und so findet COP15 nun unter chinesischem Vorsitz in Kanada statt. An der Konferenz sollen neue Ziele für den Arten- und Naturschutz von den Mitgliedsländern der UN-Artenschutzkonvention (CBD) beschlossen werden. Diese lösen die „Aichi-Ziele“ ab, die bis 2020 hätten erreicht werden sollen, aber zu einem großen Teil verfehlt wurden. Es wird erwartet, dass die „Kunming-Ziele“ (aus Montreal) das Versprechen der Länder beinhalten, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen.
COP15 findet vor dem Hintergrund des sechsten Massenaussterbens statt. Das letzte dieser Ereignisse führte zum Verschwinden der Dinosaurier vor rund 66 Millionen Jahren. Ein Bericht des „Weltartenrats“ (IPBES) aus dem Jahr 2019 zeigt, dass heute etwas Ähnliches passiert: Eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Robert Watson, der IPBES-Chef, sagte aber auch, „dass es noch nicht zu spät ist“. Nötig sei allerdings ein „transformativer Wandel“. [1] Damit hängt Watson die Latte hoch, denn: „Unter transformativem Wandel verstehen wir einen grundlegenden, systemweiten Umbau über technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren hinweg.” Und genau diesen Wandel soll die Konferenz in Montreal nun anstoßen. CBD-Chefin Elizabeth Mrema erhofft sich ein „Paris-Moment“ für den Artenschutz, in Anlehnung an das Pariser Klimaabkommen, das nicht nur für Regierungen, sondern längst auch für Städte, Firmen und Finanzmarktakteure der Maßstab beim Klimaschutz ist. [2]
Der Arten- und der Klimaschutz lassen sich allerdings nur bedingt vergleichen. Beim Klimaschutz ist die Wirkungskette relativ einfach: Der Mensch verbrennt Kohle, Öl und Gas und produziert damit CO2. Dieses führt dann per Treibhauseffekt zur Klimaerwärmung. Die Gründe für den Verlust an Tier- und Pflanzenarten sind dagegen sehr viel heterogener und vor allem lokaler. Der IPBES-Bericht nennt gleich fünf Treiber für das aktuelle Artenmassaker: Änderungen der Landnutzung, die wirtschaftliche Nutzung von Tieren und Pflanzen, die Klimaerwärmung, Verschmutzung und die Ausbreitung invasiver Arten. [1] Aus diesem Grund ist es auch viel schwieriger ein Ziel zu formulieren, das verschiedensten Akteuren als „Polarstern“ dienen kann, wie das Ziel, die Erwärmung möglichst bei 1,5 Grad zu stoppen. Trotzdem sei es aber entscheidend, dass alle gesellschaftlichen Akteure das Problem erkennen, sagt Ruth Davis vom britischen Vogelschutzbund (RSPB), und viele täten das auch: „Es hat den Anschein, dass immer mehr Firmen, Finanzaufsichtsbehörden und Investoren beginnen, die grundlegenden Risiken zu erkennen, die sich aus der Zerstörung der Natur ergeben.“
Längst gehe es nicht mehr um das stille Verschwinden kaum bekannter Arten, sondern um existenzielle Folgen für den Menschen und die Wirtschaft: „Die Megastädte Buenos Aires, Rio de Janeiro und Sao Paulo sind zu 45 Prozent von der Wasserversorgung aus dem Amazonas abhängig und diese ist direkt von der Abholzung des Amazonas betroffen.“ Und damit werde Natur- und Artenschutz auch zum Thema für Zentralbanken. Diese haben sich denn auch in einem Netzwerk zusammengeschlossen, um das Finanzsystem „grüner“ zu machen (NGFS) und auch der Entwurf der „Kunming-Ziele“ berücksichtigt das Thema. [3] [4] Dort wird gefordert, dass Unternehmen offenlegen, welche Folgen ihre Aktivitäten für den Artenschutz haben. Für Charmian Love vom brasilianischen Kosmetikhersteller Natura & Co., der Marken wie Avon und The Body Shop besitzt, ist dieser Schritt entscheidend: „Es ist der schnellste Weg. Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei.“
Obwohl solche Änderungen des Finanzsystems wohl den größten Impact in der realen Welt haben, wird in Montreal eine andere Frage deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen: Wieviel Geld stellen die Industriestaaten für den Natur- und Artenschutz in Entwicklungsländern bereit? Der Entwurfstext nennt hier die Zahl von 200 Milliarden Dollar pro Jahr „aus allen Quellen“. [4] Dieser Zusatz besagt eigentlich klar, dass es sich hierbei nicht nur um Steuergelder aus den Industriestaaten handelt. Doch das gerät schnell in den Hintergrund. Zudem eignet sich der Streit um Geld, um von anderen Themen abzulenken von denen es viele gibt: Trotz der zweijährigen Verspätung enthält der Entwurfstext noch über 950 mit eckigen Klammern versehene Textstellen, also Formulierungen, bei denen sich die Länder noch nicht einig sind. [4] Obwohl für den Artenschutz ein „Paris-Moment“ eigentlich von existentieller Bedeutung wäre, ist daher nicht gesagt, dass die „Kunming-Ziele“ dem auch gerecht werden.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS
[2] Guardian, 11.11.2022: Cop27 must pave the way for ‘a Paris moment’ for nature, says UN