Die EU entlarvt Chinas Bluff

Viele Entwicklungsländer wechseln auf die Seite Europas

Die Forderung der Entwicklungsländer nach einem Fonds für Verluste und Schäden drohte die UN-Klimakonferenz zu blockieren. Indem die EU diesen Vorschlag schließlich aufgegriffen hat, ist es ihr gelungen, China auszumanövrieren und die Konferenz in eine ganz neue Richtung zu lenken.

Am Freitagmorgen, dem (offiziell) letzten Tag der 27. UN-Klimakonferenz (COP27), präsentierte die ägyptische COP-Präsidentschaft endlich einen Entwurf für die Abschlusserklärung. [1] Damit ist nahezu garantiert, dass die COP nicht um 18 Uhr zu Ende sein wird. Der Entwurf folgte auf eine turbulente Nacht: EU-Kommissar Frans Timmermans bezeichnete in einer Plenarsitzung die Themen Verluste und Schäden infolge der Klimaerwärmung einerseits und die Senkung der Emissionen andererseits als „zwei Seiten derselben Medaille“. Damit machte er klar, dass zwischen diesen beiden Themen die entscheidende Balance für einen Erfolg von COP27 gefunden werden muss. Und dann kam ein Angebot, das für den weiteren Verlauf der Konferenz entscheidend sein dürfte: Timmermans sagte, dass die EU bereit sei, in Sharm el-Sheikh der Schaffung eines Fonds für Verluste und Schäden zuzustimmen – unter zwei Bedingungen: Zum einen dürfen die Gelder nur den ärmsten und verletzlichsten Ländern zugute und zum anderen müssen grundsätzlich alle Länder in diesen Fonds einbezahlen und zusätzlich „innovative Finanzquellen“ erschlossen werden.

Damit entlarvte er Chinas Bluff. Beim Poker blufft ein Spieler, wenn er so tut, als habe er gute Karten, obwohl das nicht der Fall ist. Dies entspricht der Lage Chinas bei den Klimaverhandlungen. China lehnt es ab, für Zahlungen in die Pflicht genommen zu werden und ist auch gegen die „innovativen Finanzquellen“. Letztere sind Klimasprech für Abgaben auf Flugtickets und Schiffsdiesel. China argumentiert, dass es gemäß der 30 Jahre alten UN-Klimakonvention den Status eines „Entwicklungslands“ habe und daher zu keinerlei Zahlungen verpflichtet sei und auch chinesische Fluglinien und Reedereien von Klimaabgaben ausgenommen werden müssten. Doch was vor 30 Jahren noch ein Trumpf war, sticht nicht mehr: Die EU bekam für ihren Vorschlag breite Unterstützung sowohl von Industriestaaten wie Australien und Norwegen, als auch von den ärmsten und verletzlichsten Entwicklungsländern. Letztere wollen den Fonds für Verluste und Schäden und nun steht der Schaffung dieses Fonds nicht länger die EU im Weg, sondern China. Wenn sich China bewegt, könnte es den Fonds geben und sonst eben nicht.

Wachsam. Die NGOs haben ein Auge auf den Fortschritt bei den Verhandlungen über einen Fonds für Verluste und Schäden. (Foto: IISD)
Wachsam. Die NGOs haben ein Auge auf den Fortschritt bei den Verhandlungen über einen Fonds für Verluste und Schäden. (Foto: IISD)

Und auch auf der anderen Seite der Medaille, den Emissionsreduktionen, hat die EU die ärmsten und verletzlichsten Länder auf ihrer Seite. Die EU fordert, dass die Emissionen der „größten Emittenten“ spätestens im Jahr 2025 ihren Höhepunkt erreichen und anschließend sinken. In den meisten Industriestaaten (inklusive den USA) sinken die Emissionen bereits seit Jahren, aber China rechnet noch mit steigenden Emissionen bis 2030. Für die verletzlichsten Länder wäre das fatal und daher unterstützen sie die Forderung der EU. Erstaunlicherweise ist auch Indien beim Thema Emissionsreduktionen verhandlungsbereit. Das Land fordert, dass eine Verpflichtung zur Eliminierung aller „fossilen Energieträger“ in die Abschlusserklärung aufgenommen wird. Damit geht Indien über die Abschlusserklärung von COP26 in Glasgow hinaus, in der nur „Kohle“ genannt wird, nicht aber Öl und Gas oder eben alle „fossile Energien“. Für Länder wie Saudi Arabien aber auch China ist letzteres aber eine rote Linie. Unterstützung bekommen sie dabei von der Konferenzpräsidentschaft, die eigentlich neutral sein müsste. Indien hat die Unterstützung der EU, der USA und sehr vieler Entwicklungsländer, aber der ägyptische Außenminister und COP27- Präsident Sameh Shoukry hat die „fossilen Energien“ trotzdem nicht in seinen Entwurf des Abschlusstexts aufgenommen.

Unklar ist der derweil die Rolle der USA. Deren Delegation hat sich Donnerstagnacht auffällig zurückgehalten und wohl mit Vergnügen beobachtet, wie China durch die EU in die Ecke gedrängt wurde. Andererseits lehnen die USA einen Fonds für Verluste und Schäden ab: „Das wird nicht passieren“ sagte der US-Sondergesandte John Kerry noch letzte Woche. Die USA befürchten, dass ein Fonds für Verluste und Schäden dazu führen könnte, dass die größten historischen Emittenten irgendwann zu „Schadenersatz“ verpflichtet werden, was im US-Rechtssystem sehr teuer werden könnte. Da die EU und die anderen Industriestaaten einem Fonds nun grundsätzlich zustimmen, stehen die USA unter den Industriestaaten aber nun alleine da und finden sich in einer „Allianz“ mit China wieder. Dass die USA und China für ihre Positionen unterschiedliche Gründe haben, spielt dabei keine Rolle. Beide lehnen den vorgeschlagenen Fonds ab, entweder weil sie grundsätzlich gegen einen Fonds sind (USA) oder weil sie gegen einen Fonds sind, in den sie auch einbezahlen müssen (China).

Bei multilateralen Verhandlungen spielen aber nicht nur die großen Länder eine Rolle. Hier können auch Kleinstaaten Einfluss auf den Lauf der Welt nehmen. In Sharm el-Sheikh trifft das auf Antigua und Barbuda zu. Die Premierministerin des karibischen Inselstaates, Mia Mottley, hatte letzte Woche für Aufregung gesorgt, indem sie eine Reform der multilateralen Entwicklungsbanken und die Schaffung von IWF-Sonderziehungsrechten, einer Art Währung, im Wert von 500 Milliarden Dollar gefordert hatte. Mit diesem Geld sollten dann 5000 Milliarden Dollar an privaten Mitteln für den Klimaschutz mobilisiert werden. Dieser Vorschlag findet sich zumindest andeutungsweise im Entwurf der Abschlusserklärung wieder, was für ein Land mit knapp 100.000 Einwohnern ein beachtlicher Erfolg ist. Paragraph 58 des Entwurfs sagt: COP27 „fordert die Entwicklungsbanken dazu auf, die volle Breite ihrer Finanzinstrumente zu nutzen inklusive zur Mobilisierung von privatem Kapital“. Sollte ihr Vorschlag tatsächlich umgesetzt werden, hätte Mottley pro Einwohner ihres Landes 50 Millionen Dollar für den Klimaschutz frei gemacht. Damit könnte kein anderes Land mithalten.

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[1] UNFCCC, 18.11.2022: Draft decisions 1/CP.27 and 1/CMA.4 (PDF)