Die Balance entscheidet

Im Zentrum der UN-Klimakonferenz stehen zwei Arbeitsprogramme

An UN-Klimakonferenzen muss ein Ausgleich zwischen den Interessen der Industrie- und der Entwicklungsländer gefunden werden, um Fortschritte zu erzielen. Dieses Jahr stehen dabei zwei Arbeitsprogramme im Mittelpunkt.

Obwohl die 27. UN-Klimakonferenz (COP27) bereits drei Tage länger dauert als normal, lagen die Verhandler am (offiziell) zweitletzten Tag der Konferenz deutlich hinter dem Zeitplan. In den beiden Tagen vor Beginn der Konferenz, verhandelten die Länder über die Agenda und einigten sich darauf, Finanzhilfen für Verluste und Schäden infolge der Klimaerwärmung in die Agenda aufzunehmen – ein nennenswerter Fortschritt bei diesem Thema. Eröffnet wurde COP27 dann am Sonntag vor anderthalb Wochen, also einen Tag früher als normal. Doch am Donnerstag der zweiten Woche lag noch immer kein Entwurf für die Abschlusserklärung, den „Pakt von Scharm el-Sheikh“, vor. Die ägyptische Konferenzpräsidentschaft veröffentlichte lediglich ein 20-seitiges „Non Paper“ mit „Elementen“ für den Abschlusstext. [1] Richtig verhandeln kann man über eine solche Ideensammlung aber nicht und im besten Fall war für Donnerstagabend mit einem regulären Entwurf für den Abschlusstext zu rechnen. Folglich ist ein pünktliches Ende der Konferenz am Freitagabend um 18 Uhr nahezu ausgeschlossen.

Im Zentrum der Verhandlungen in den letzten Tagen von COP27 stehen zwei „Arbeitsprogramme“: eins zur Finanzierung von Verlusten und Schäden und eins zur Senkung der Emissionen. Beim ersten Thema fordern die Entwicklungsländer, dass dieses Jahr ein Fonds aufgesetzt wird, der ärmere Länder bei Verlusten und Schäden entschädigt. „Das wird nicht passieren“ sagte allerdings John Kerry, der US-Sondergesandte. Folglich ist eher mit einem Arbeitsprogramm zu rechnen, mit dem maßgeschneiderte Instrumente für die verschiedenen Arten von Schäden durch Stürme, Dürren oder den Meeresspiegelanstieg identifiziert werden. Die EU signalisierte zuletzt, dass nächstes Jahr dann ein Fonds geschaffen werden könnte, um diese Instrumente zu kapitalisieren. EU-Kommissar Frans Timmermans knüpfte dies aber an eine kaum überwindbare Bedingung: “China ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt und verfügt über große Finanzkraft. Warum sollte es nicht für die Finanzierung von Verlusten und Schäden mitverantwortlich gemacht werden.” Doch genau das will China verhindern und höchstens „freiwillige“ Beiträge leisten.

Auch wieder da. Lula da Silva, der wieder zum Präsidenten Brasiliens gewählt wurde, ist in Begleitung von Indugenen nach Sharm el-Sheikh gekommen. (Foto IISD)
Auch wieder da. Lula da Silva, der wieder zum Präsidenten Brasiliens gewählt wurde, ist in Begleitung von Indugenen nach Sharm el-Sheikh gekommen. (Foto IISD)

Das zweite Arbeitsprogramm hat zum Ziel, die Reduktion der Emissionen so stark zu beschleunigen, dass die Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad möglich bleibt. Dazu müssen die globalen Emissionen in den nächsten acht Jahren halbiert werden. Zu erwarten ist bisher allerdings ein weiterer Anstieg um zehn Prozent bis 2030. Aus diesem Grund wollen die Industriestaaten, aber auch die kleinen Inselstaaten und andere besonders verletzliche Länder, an der COP27 ein Arbeitsprogramm verabschieden, das die riesige Lücke zu schließen vermag. Dazu muss auch über die verschiedenen Sektoren wie Schifffahrt oder Landwirtschaft und Kohle, Öl und Gas gesprochen werden. Länder wie China oder Saudi Arabien lehnen dies aber ab, mit dem Argument über Emissionsreduktionen werde auf „nationaler Ebene“ entschieden und daher könne nicht auf multinationaler Ebene über die verschiedenen Sektoren verhandelt werden. Zudem lehnen es diese Länder auch ab, die „größten Emittenten“ besonders in die Pflicht zu nehmen. Sie argumentieren hier, dass die 30 Jahre alte UN-Klimakonvention nicht von „großen Emittenten“ spricht und einzig zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unterscheidet.

Um bei COPs Fortschritte zu erzielen, muss stets eine Balance zwischen den Interessen der Industriestaaten und denen der Entwicklungsländer gefunden werden. Diese Balance involviert in der Regel Emissionsreduktionen einerseits und Finanzhilfen andererseits. An COP27 sollen allerdings keine substantiellen Entscheidungen zu diesen beiden Themengebieten getroffen werden, sondern nur Entscheidungen zum weiteren Vorgehen, also dem Verhandlungsprozess in den kommenden Jahren. Daher muss eine Balance zwischen den beiden Arbeitsprogrammen gefunden werden. Diese Programme können rein prozedural festhalten, dass man sich zwei-, drei- oder viermal trifft, um über ein bestimmtes Thema zu reden. Sie können aber auch detailliert festlegen, dass Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen wie Sturmschäden oder den Emissionen der Landwirtschaft gebildet werden. Die erforderliche Balance werde daher im Detaillierungsgrad der beiden Arbeitsprogramme zu suchen sein, sagt Wendel Trio, von der Umweltorganisation Greenpeace: „Wenn die Industriestaaten über verschiedene Sektoren sprechen wollen, müssen sie bei der Finanzierung von Verlusten und Schäden Zugeständnisse machen und umgekehrt.“

Alle anderen Themen wie die Rolle der Entwicklungsbanken oder die Erwähnung des neuesten Berichts des Weltklimarats (IPCC) seien hingegen Nebenkriegsschauplätze: „Wenn eine Balance zwischen den beiden Arbeitsprogrammen gefunden werden kann, dann finden auch alle anderen Puzzlestücke ihren Platz“, zeigte sich Trio optimistisch. Damit bleibt nur noch die Frage, ob die Verhandler noch genügend Zeit haben, die erforderliche Balance zu finden. Andernfalls könnte der „Pakt von Scharm el-Sheikh“ ein sehr kurzes Dokument werden und in etwa so lauten: COP27 „bittet das UN-Klimasekretariat, vor COP28 zwei Treffen der Vertragsparteien zu organisieren, um weiter über Verluste und Schäden sowie über die Reduktion der Emissionen zu reflektieren“.

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[1] UNFCCC, 17.11.2022: Non-paper by the Presidency on the cover decisions (PDF)