Was sind die Folgen des Kriegs für den Klimaschutz?

Die Erwartungen von Anlegern in den USA und in der EU unterscheiden sich massiv

Märkte lassen sich als Prognoseinstrument nutzen, denn letztlich spiegeln die Kurse die Erwartungen der Anleger und deren Informationsstand wider. Hinsichtlich der Folgen des Kriegs für den Klimaschutz zeigt sich hier ein großer Unterschied zwischen der EU und den USA.

Wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine steht Energiesicherheit hoch im Kurs. Deutschland will Terminals für Flüssiggas (LNG) kaufen, und Regierungsvertreter jetten um die Welt, um das nötige Gas zu beschaffen. Niklas Höhne vom NewClimate Institute warnt daher: “Wir stehen vor einem globalen “Goldrausch” für neue fossile Gasproduktion, Pipelines und LNG-Anlagen, der das im Paris Abkommen festgelegte Limit von 1,5 Grad Erwärmung außer Reichweite halten könnte.” Umgekehrt sagte EU-Kommissar Frans Timmermans bei der Vorstellung des RePowerEU Programms, mit dem die EU von russischen Energielieferungen unabhängig werden will: „Erneuerbare Energien sind eine billige, saubere und potenziell unendliche Energiequelle, und statt die fossile Industrie anderswo zu finanzieren, schaffen sie hier Arbeitsplätze. Putins Krieg in der Ukraine zeigt, wie dringlich es ist, unseren Übergang zu sauberer Energie zu beschleunigen.“

Es stellt sich daher die Frage, ob der Krieg dem Klimaschutz eher schadet oder eher nützt. „Die Antwort auf diese Frage ist nicht offensichtlich“, schreibt eine Studie des Swiss Finance Institute SFI. „Die Ausbreitung des Konflikts, künftige Sanktionen, die Reaktionen von Unternehmen und anderen Länder und das Verhalten des Einzelnen sind unbekannt, was den Versuch erschwert, die erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges zu quantifizieren.“ Es gibt allerdings eine Methode die „Weisheit der Menge“ zu nutzen, indem man misst wie die Anleger an der Börse reagieren. „Ein Vergleich der Aktienkursreaktionen von Firmen – insbesondere derjenigen, die dem Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft mehr oder weniger ausgesetzt sind – bietet eine Vorschau auf die erwarteten Auswirkungen des Krieges.“

Durchblick. Die Anleger in Europa und den USA nehmen ganz unterschiedliche Schemen im Nebel des Krieges wahr. (Foto: MoD Ukraine / Flickr)
Durchblick. Die Anleger in Europa und den USA nehmen ganz unterschiedliche Schemen im Nebel des Krieges wahr. (Foto: MoD Ukraine / Flickr)

Dazu hat SFI eine Datenbank mit 4500 Unternehmen aus der ganzen Welt angelegt. In dieser identifizierten SFI dann Firmen für die Klimaschutz eine Gefahr darstellt wie etwa für Öl- und Gaskonzerne, und Firmen, für die Klimaschutz eine Chance darstellt wie etwa für die Hersteller von Solarpaneelen. Anschließend wurden die Aktienkurse dieser Firmen analysiert. Hier unterscheidet SFI zwei Phasen: Die ersten beiden Wochen nach dem Einmarsch am 24. Februar, in denen die Anleger den ersten Schock verarbeiten mussten und die Zeit danach, in denen der Krieg zur Normalität, wenn auch einer schrecklichen, geworden ist.

Mit dieser Analyse konnten die SFI-Forscher zeigen, dass sich die Erwartungen der Anleger in den USA und in Europa fundamental unterscheiden: „Die Anleger erwarten, dass der Krieg den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in den USA verlangsamen wird, aber nicht in Europa.“ In den USA sind die Aktien von Firmen, für die Klimaschutz eine Gefahr ist, in den ersten beiden Kriegswochen um 4,1 Prozent gestiegen und anschließend um weitere 2,3 Prozent (siehe Grafik). Die Anleger erwarten also, dass wegen des Krieges der Klimaschutz vernachlässigt wird. Anders in Europa: Hier sind die Aktien dieser Firmen nur um 0,1 und dann 0,8 Prozent gestiegen und sind nun kaum wertvoller als vor dem Krieg. Genau umgekehrt ist es bei Firmen, für die Klimaschutz eine Chance darstellt. In den USA sind diese anfangs um 1,1 gestiegen, aber dann um 2,0 Prozent gefallen. In Europa sind diese Firmen immer noch mit 1,6 Prozent deutlich im Plus. Die wiedergefundene „Einigkeit des Westens“ erstreckt sich offensichtlich also nicht auf die Energie- und Klimapolitik.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS