Der Westen und Russland können sich gegenseitig massiv schaden
Gegenüber einer Kombination aus Sanktionen gegen das Finanzsystem und einem High-Tech-Embargo ist Russland noch immer verletzlich. Umgekehrt kann das Land insbesondere Europa schwere Schäden zufügen, wenn es den Gasexport einstellt.
Die Welt braucht Russland mehr als umgekehrt. Das legt zumindest ein Blick auf die Handelsbilanz des Landes nahe: Russland exportiert sehr viel mehr als es importiert. Im Jahr 2020 lag der Überschuss bei über 90 Milliarden Dollar. [1] Die vielen Exporte bestehen fast ausschließlich aus Rohstoffen wie Öl, Gas oder Metallen und Chemikalien wie Dünger. [2] Bei den Importen gibt es hingegen keine dominierenden Produkte. Russland importiert schlicht Alles: Autos, elektronische Geräte, Medikamente und vieles anderes mehr. Der mit Abstand wichtigste Handelspartner ist die EU: Über ein Drittel der russischen Im- und Exporte werden mit EU-Ländern abgewickelt. [3] Umgekehrt ist Russland zwar immer noch der fünftgrößte Handelspartner der EU aber kommt nur auf einen Anteil von fünf Prozent.
Ähnlich sieht es bei den ausländischen Direktinvestitionen (FDI) aus. Firmen aus der EU sind auch hier führend und besaßen 2019 Anteile an russischen Unternehmen im Wert von über 300 Milliarden Dollar. [3] Zum Teil handelt es sich hier allerdings um „Phantom FDI“, also russisches Geld, das vom Ausland aus in Russland investiert wird. Anders lässt sich die enorm prominente Position Zyperns kaum erklären. Das Land mit 1,2 Millionen Einwohnern ist für knapp ein Drittel der Investitionen in Russland verantwortlich. [4] Geholfen hat dabei wohl auch, dass Zypern bis vorletztes Jahr „goldene Pässe“ verkauft hat. [12] Wer zwei Millionen Dollar auf der Insel investierte, bekam einen zypriotischen Pass und kann sich seither frei in der EU bewegen.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Russland sind hingegen mikroskopisch im Vergleich zur EU. Einzig bei den russischen Importen rangieren die USA unter den Top 10 mit einem Anteil von fünf Prozent. [1] US-Firmen haben auch kaum Geld in Russland investiert – knapp sechs Milliarden Dollar. [4] Welche Rolle die Sanktionen aus früheren Jahren hier spielen, lässt sich allerdings nur schwer abschätzen. Allein wegen der Annexion der Krim Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 wurden 317 natürliche und 490 juristische Personen mit EU und US Sanktionen belegt. [5] Hinzu kommen Sanktionen in Folge russischer Cyberangriffe, der Einmischung in die US-Wahlen und wegen Menschenrechtsverstößen. Alle diese Sanktionen zeigen Wirkung: Eine Studie des Thinktanks Atlantic Council schätzt, dass das russische Wirtschaftswachstum seit 2014 um 2,5 bis drei Prozentpunkte niedriger ausfiel als ohne Sanktionen. [6]
Das hat Russland allerdings nicht davon abgehalten, seine Finanzen wetterfest zu machen. Die Staatsschulden belaufen sich auf nur 18 Prozent der Wirtschaftsleistung. Außerdem sitzt Russland auf Währungsreserven im Wert von 630 Milliarden Dollar – den viertgrößten der Welt. Der Großteil dieses Horts besteht zudem nicht aus tatsächlichen Dollar. Die US-Währung macht nur 16 Prozent der Reserven aus. [7] Der russische Finanzminister Anton Siluanov sagt daher, sein Land habe „einen ein finanzielles Schutzschild in Form von Gold und Devisenreserven, einem Haushaltsüberschuss und niedrigen Schulden“. [8] Adam Tooze ein Wirtschaftshistoriker an der US-Universität Columbia stimmt dem zu: „Das gibt Putin seine strategische Handlungsfreiheit. Die Devisenreserven versetzen das Regime in die Lage, Sanktionen gegen die übrige Wirtschaft zu widerstehen. Sie können auch genutzt werden, um einen Ansturm auf den Rubel zu bremsen.“ [9]
Siluanov zeigt sich sogar zuversichtlich, dass Russland nicht zwingend auf Swift angewiesen ist, das System mit dem Banken internationale Zahlungen abwickeln: „Wir erwarten, dass sich das Finanzsystem des Landes im Rahmen der Strategie ‚Festung Russland‘ weiter nach innen orientiert.“ [9] Edward Fishman, ein Spezialist für Sanktionen in der Regierung des früheren US-Präsidenten Barack Obama, ist sich da allerdings nicht ganz sicher: „Es ist möglich, dass sie zu selbstbewusst sind“ sagte Fishman in Bezug auf die russische Regierung gegenüber der New York Times. [10] „Die Sanktionen, die jetzt auf dem Tisch liegen, nämlich die vollständige Sperrung der größten russischen Banken, sind um ein Vielfaches schärfer als die, die 2014 überhaupt in Erwägung gezogen wurden.“
Ein weiterer Ansatzpunkt sind Computerchips. Nachdem der frühere US-Präsident Donald Trump den Verkauf bestimmter Chips an den chinesischen Telekomausrüster Huawei verboten hatte, brachen dessen Verkäufe ein. Das gleich dürfte für russische Firmen gelten, die ausländische Chips verbauen. Zudem würde Russland vom technologischen Fortschritt auf der Welt abgeschnitten. Dies wirke wie eine „langsame Strangulierung durch die US-Regierung“ sagte Dan Wank ein Technologieanalyst von der Beratungsfirma Gavekal Dragonomics in Schanghai. [11] Trotz der relativ geringen Abhängigkeit Russlands vom Westen und den großen Reserven könnte der Westen mit schnell wirkenden Sanktionen gegen das Finanzsystem und langsamer wirkenden Exportverboten für High-Tech-Produkte der russischen Wirtschaft daher durchaus schaden. Wehrlos ist Russland allerdings nicht, schließlich bezieht die EU 40 Prozent ihres Erdgasbedarfs aus Russland. Fallen diese weg, geht in Europa zwar nicht sofort das Licht aus, aber Strom und Wärme würden sehr teuer.
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[1] Santander, Stand 23.02.2022: Russian Foreign Trade in Figures
[2] OEC, Stand 23.02.2022: Russia country profile
[3] EU, Stand 23.02.2022: Russia countrz profile
[7] BBC, 23.02.2022: Russia’s plan to fight back against Western sanctions
[8] Reuters, 16.02.2022: Russia counts on reserves as shield against sanctions
[9] Adam Tooze, 13.01.2022: Putin’s Challenge to Western hegemony – the 2022 edition
[10] NYT, 03.02.2022: Putin, Facing Sanction Threats, Has Been Saving for This Day