Der Ökonom Oliver Landmann erklärt im Interview, warum die vielen Schulden noch kein unlösbares Problem sind
Die Verschuldung der Welt ist in den letzten 50 Jahren auf das Zweieinhalbfache gestiegen (siehe Grafik). Warum steigen die Schulden immer weiter?
In den 70’er Jahren ist in vielen Industriestaaten der Sozialstaat stark gewachsen. Das war nicht angemessen gegenfinanziert, weil man zu optimistische Wachstumsprognosen zugrunde gelegt hat. In den letzten Jahren sind die Schulden nochmals in zwei großen Schüben gestiegen, zuerst im Anschluss an die Finanzkrise im Jahr 2008 und seit 2020 wegen der Coronapandemie.
Die Schulden haben 2020 einen neuen Rekordwert erreicht und sind 2021 weiter gestiegen. Gibt es einen Punkt, an dem die Welt zu viele Schulden hat?
So pauschal kann man das nicht sagen. Man muss sich ja fragen, was die Alternative gewesen wäre. Sowohl in der Finanzkrise als auch in der Corona-Pandemie konnten die wirtschaftlichen Krisenfolgen durch kreditfinanzierte Maßnahmen eingedämmt werden. Der Verzicht auf zusätzliche Schulden hätte Alles nur viel schlimmer gemacht. Es fügt sich zudem gut, dass in den letzten Jahrzehnten die Realzinsen kontinuierlich gesunken sind. Dadurch ist eine höhere Schuldenlast leichter tragbar geworden.
Gibt es einen Unterschied zwischen staatlichen und privaten Schulden?
Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass der Staat mit einem unbegrenzten Zeithorizont wirtschaften kann und die Macht hat, sich die für den Schuldendienst benötigten Einnahmen durch Zwangsabgaben, also Steuern, zu beschaffen. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil bedeuten öffentliche Schulden nicht unbedingt eine Belastung künftiger Generationen, wenn sie Investitionen ermöglichen, die das Leben unserer Kinder verbessern werden. Die nächste Generation erbt ja nicht nur die Schulden, sondern sie wird auch die Staatsanleihen besitzen.
Wie kommen die Staaten von ihren Schuldenbergen wieder runter?
Historisch sind hohe Staatsschulden meist durch Wachstum reduziert worden und nur zu einem geringen Teil durch Rückzahlungen.
Könnte die Inflation beim Schuldenabbau helfen?
Entschuldung durch Inflation ist historisch fast immer eine Begleiterscheinung schwerer Staatskrisen gewesen. Bei normalem Gang der Dinge werden Schuldner durch steigende Preise nicht auf Dauer entlastet. Denn wenn die Zentralbanken ihr Stabilitätsmandat ernst nehmen, werden sie früher oder später die Zinsen stärker erhöhen, als die Inflation steigt. Für die Schuldner wird es unter dem Strich also teurer. Dadurch steigt der Druck zu konsolidieren.
Die EU hat wegen der Pandemie zum ersten Mal als EU Schulden gemacht. War das die richtige Reaktion auf die Krise?
Ja, absolut. Die Pandemie war eine grenzüberschreitende Krise, und die EU-Staaten hatten jedes Interesse daran, die Krise gemeinsam zu meistern. Es nützt keinem Land etwas, wenn es eine perfekte Pandemiepolitik hat, rundherum aber alles aus dem Ruder läuft. Das Virus macht vor den Grenzen ja nicht halt.
Der Streitpunkt ist jetzt, ob das eine einmalige Aktion bleiben soll oder als Modell für eine zukünftig größere Rolle der EU in der Finanzpolitik dienen kann. Aktuell beträgt der EU Haushalt etwa ein Prozent des BIPs, wovon 40 Prozent in die Landwirtschaft fließen. Durch die gemeinsame Währung ist aber der finanzpolitische Koordinations- und Stabilisierungsbedarf stark gestiegen. Daher glaube ich, dass es unausweichlich ist, der EU in Zukunft größere Mittel für sorgfältig definierte gemeinsame Aufgaben zu geben.
Kaum ein Land hält sich noch an die Schuldenregeln des EU Stabilitäts- und Wachstumspakts. Sollten man diese Regeln reformieren?
Die Erfahrungen mit den europäischen Schuldenregeln sind ein einziges Trauerspiel. Entweder wirkten sie destabilisierend, oder sie wurden nicht eingehalten. Eine Reformdebatte über diese Regeln ist überfällig. Ich erwarte, dass mechanische numerische Schuldengrenzen auf der Müllhalde der Wirtschaftsgeschichte enden werden.
Die Türkei, ein G20-Staat, hat 30 Prozent Inflation und einen massiven Wertverlust der türkischen Lira. Wie groß ist hier die Gefahr einer Krise und wäre das für Europa gefährlich?
Für die Türkei und die Türken ist das, was sich im Moment abspielt, eine Tragödie. Hier ist eine offenbar religiös gefärbte Ideologie auf Kollisionskurs mit jeder wirtschaftlichen Logik. Die Rechnung dafür bezahlt die Bevölkerung, die unter der galoppierenden Inflation leidet. Im Moment ist nicht absehbar, wer oder was diesem Albtraum ein Ende setzen wird. Für türkische Firmen, die Kredite in Fremdwährungen aufgenommen haben, kann es eng werden. Für einige Gläubiger ebenso. Ich erwarte aber nicht, dass daraus ein Krisenherd für ganz Europa wird.
Oliver Landmann, 69, ist emeritierter Professor für Makroökonomie an der Universität Freiburg im Breisgau.
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite