Auch blauer Wasserstoff ist grün

Es gibt nicht genug Grünstrom, um auf Wasserstoff aus Erdgas zu verzichten

Grünstrom ist besser als „grüner“ Wasserstoff und dieser ist besser als „blauer“. Weil es aber noch lange nicht genug Grünstrom geben wird, hat blauer Wasserstoff dennoch eine Existenzberechtigung – zumindest vorerst.

Wasserstoff kommt in verschiedenen Farben je nach der Herstellungsmethode. Herkömmlicher Wasserstoff ist „grau“. Hier wird von Erdgas (also Methan respektive CH4) Wasserstoff abgespalten und der Kohlenstoff in Form von CO2 in der Atmosphäre entsorgt. Alternativ kann man Wasserstoff mittels Elektrolyse von Wasser herstellen. Dabei wird kein CO2 freigesetzt und der Wasserstoff ist „grün“. Es gibt aber auch die „blaue“ Variante: Hier wird der Wasserstoff ebenfalls aus Erdgas hergestellt, aber dann wird das anfallende CO2 abgeschieden und im Untergrund verpresst – ein Verfahren, das als CCS (von Carbon Capture and Storage) bekannt ist.

Kontraintuitiv. An Wassermangel wird die Energiewende nicht scheitern, aber Strommangel könnte sie für die Erreichung der Klimaziele zu stark verzögern. (Foto: José Manuel Suárez / Wkimedia)

Doch wie klimafreundlich ist blauer Wasserstoff? Im August erschien eine Studie, die zum Schluss kam: „Die Verwendung von blauem Wasserstoff ist aus Klimagründen schwer zu rechtfertigen.“ [1] Im Vergleich zu grauem Wasserstoff seien die Treibhausgasemissionen von blauem Wasserstoff nur neun bis zwölf Prozent geringer. Die Studie wurde allerdings umgehend wegen ihrer Annahmen kritisiert. [2] So gingen die Autoren von einem Methanverlust von 3.5 Prozent bei der Förderung und dem Transport von Erdgas aus. In Norwegen dürfte dieser Wert allerdings unter 0,5 Prozent liegen, siebenmal niedriger.

Im September erschien dann eine neue Studie mit dem nahezu gegenteiligen Resultat: Unter bestimmten Voraussetzungen verursacht blauer Wasserstoff in etwa die gleichen Emissionen wie grüner. [3] Entscheidend sind die Methanemissionen und die Effektivität der CO2-Abscheidung. Wenn man hier von neuester Technik und kurzen Transportwegen für das Erdgas ausgeht, dann liegen die Emissionen von blauem Wasserstoff im gleichen Bereich wie die von grünem. Zudem ließen sich sogar negative Emissionen erzielen: Wenn man statt Erdgas Biogas als Ausgangsstoff nutzt, sind die Emissionen dank CCS negativ.

Annahmen. Mit effizienter CO2-Abscheidung (türkise Linie) und sehr niedrigen Methanemissionen ist blauer Wasserstoff so grün wie grüner. (Grafik: [3])
Doch zurück zum blauen Wasserstoff aus Erdgas: Braucht die Welt das, wenn es doch eine noch grünere Alternative gibt? Hier kommt der Energiebedarf bei der Herstellung von grünem Wasserstoff ins Spiel. Dieser ist gewaltig, wie Zahlen von Michael Liebreich, dem Gründer der Denkfabrik BloombergNEF, zeigen: Um den aktuellen Bedarf an Wasserstoff etwa für die Düngerproduktion zu decken, würde der gesamte Strom aus erneuerbaren Quellen weltweit benötigt. [4] Und das ändert sich auch nicht schnell. Wenn man vom Ausbaupfad für Grünstrom der Internationalen Energieagentur (IEA) ausgeht, würde selbst im Jahr 2050 noch der gesamte Strom aus diesen Quellen für die Herstellung von Wasserstoff benötigt (siehe Grafik).

Energiehungrig. Man kann den IEA-Ausbaupfad der Erneuerbaren für zu konservativ halten, trotzdem ist der Energiebedarf für grünen Wasserstoff enorm. (Grafik: Michael Liebreich [4])
Dabei geht Liebreich davon aus, dass Wasserstoff nur in den Sektoren eingesetzt wird, in denen es unumgänglich ist. Welche das sind zeigt seine „Wasserstoffleiter“ anschaulich (siehe Grafik). [5] Ganz oben steht hier Dünger und ganz unten stehen Autos mit einer Brennstoffzelle statt einer Batterie (siehe „H2FC cars“). In den meisten Fällen ist es schlicht besser, Strom direkt zu nutzen. Auch die Autoren der zweiten Studie kommen zum Schluss, dass Wasserstoff nur in Sektoren eingesetzt werden sollte, die sich nicht elektrifizieren lassen, denn „die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien hat Vorteile sowohl in Bezug auf die Emissionen als auch auf die Kosten“.

Technologie offen? Jetzt müssen die Fans von Brennstoffzellen in Autos ganz tapfer sein. (Grafik: Michael Liebreich [5])
Trotzdem wird Wasserstoff benötigt, wenn die Menschheit ihre Klimaziele erreichen will. Liebreich sagt daher: „Aus diesem Grund habe ich mich mit blauem Wasserstoff meinen Frieden gemacht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass grüner Wasserstoff in ausreichenden Mengen, schnell genug und mit geringen Umweltauswirkungen produziert werden kann, um die Nachfrage zu decken.“ [4] Damit deckt sich seine Einschätzung mit derjenigen der zweiten Studie: „Angesichts der kurz- bis mittelfristigen Knappheit von grünem Wasserstoff kann blauer Wasserstoff eine Rolle als Brückentechnologie spielen, die den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur unterstützt.“ [3] mic

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[1] Robert Howarth et al., 12.08.2021: How green is blue hydrogen?

[2] klimareporter, 19.08.2021: Schlechte Klimabilanz für blauen Wasserstoff

[3] Christian Bauer et al., 11.09.2021: On the climate impacts of blue hydrogen production (PDF)

[4] Michael Liebreich, September 2021: Today’s thought for the green vs blue hydrogen debate (Linkedin)

[5] Michael Liebreich, 15.08.2021: The Clean Hydrogen Ladder (Linkedin)

[6]