Teure Nahrungsmittel und Pandemien begünstigen politische und soziale Unruhen
Dem arabischen Frühling ging ein massiver Anstieg der Nahrungsmittelpreise voraus. Zum aktuellen Preisanstieg kommen aber noch drei zusätzliche Faktoren hinzu, die Unruhen begünstigen: Der Einkommensverlust wegen der Coronakrise, ein hoher Schuldenstand in vielen Entwicklungsländern und die Pandemie selbst.
Seit Beginn der Coronapandemie steigen die Preise für Nahrungsmittel kontinuierlich an. Der Preisindex der UN Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO stieg im Mai zum zwölften Mal in Folge. [1] Der Index stieg im Vergleich zum April um knapp fünf Prozent und ist nun knapp 40 Prozent höher als im Mai 2020. Obwohl der Index im Juni leicht nachgegeben hat, waren Lebensmittel seit dem September 2011 nicht mehr so teuer. [10] Damals war der Arabische Frühling in vollem Gange. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak war nicht mehr im Amt, Kämpfe tobten in Libyen und in Syrien nahm der Bürgerkrieg Fahrt auf. Einer der Auslöser für den Arabischen Frühling war ein massiver Anstieg der Nahrungsmittelpreise im Jahr 2010 (siehe Grafik).
Auf der Nachfrageseite wird der Preisanstieg insbesondere durch steigende Importe Chinas getrieben. Im Jahr 2019 gab es einen riesigen Ausbruch der afrikanischen Schweinepest und die Hälfte der 440 Millionen Schweine in China musste gekeult werden. Das trieb den Preis für Schweinefleisch weltweit in die Höhe. Anschließend haben die Mastbetriebe ihre Bestände wieder aufgestockt. Dadurch stieg der Bedarf an Futtermittel insbesondere Soja. Wegen Dürre in Nordchina und Überschwemmungen in Südchina fiel aber ein Teil der einheimischen Produktion weg und China musste mehr Futtermittel importieren. Für Chinas steigenden Nahrungsmittelimporte gibt es aber auch strukturelle Gründe: Die Bevölkerung auf dem Land ist überaltert und viele der Böden ausgelaugt oder gar mit Schwermetallen belastet. [9] Außerdem wachsen die Städte und immer mehr Ackerland verschwindet unter Beton und Asphalt.
Auf der Angebotsseite treibt die Dürre in Brasilien die Preise nach oben. Das Land erlebt derzeit die schwerste Trockenperiode seit über 90 Jahren. [8] Brasilien gehört zu den größten Exporteuren von Soja, Zucker, Kaffee, Mais und Rindfleisch. Zudem herrscht auch im Südwesten der USA Dürre. In den Bundesstaaten Kalifornien, Nevada, Utah, Arizona und Neumexiko erleben seit rund 20 Jahren eine „Megadürre“. Anhand der Analyse von Baumringen konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Region die zweittrockenste Periode seit dem Jahr 800 erlebt. [2] Während kurze Dürren in Brasilien und im Südwesten der USA nichts Besonderes sind, kommen „Megadürren“ sehr selten vor. Doch wegen des Klimawandels steigt die Wahrscheinlichkeit dafür: „Der Klimawandel führt dazu, dass der Westen der USA immer trockener wird“ sagt Ben Cook von der US-Universität Columbia und einer der Mitautoren der Studie. [3]
Ironischerweise ist aber nicht nur der Klimawandel Mitschuld am Anstieg der Nahrungsmittelpreise sondern auch eine Maßnahme, die dafür sorgen soll, diesen zu verlangsamen: Biosprit. Der Preis von Soja-, Palm- und Rapsöl hat sich in den letzten zwölf Monaten mehr als verdoppelt. Das hat zwei Gründe: Einerseits wächst die Produktion von Palmöl in Südostasien weniger schnell als erwartet und andererseits besteht „Aussicht auf eine robuste Nachfrage insbesondere aus dem Biodieselsektor“ wie die FAO schreibt. [1] Aber auch bei den anderen Nahrungsmitteln gibt es Gründe für einen weiteren Anstieg der Preise. Wenn immer mehr Menschen geimpft sind und wieder in Restaurants essen, steigt die Nachfrage nach Lebensmitteln. Zudem werden Öl und Gas immer teurer, wodurch die Produktionskosten der Landwirtschaft steigen.
Der Anstieg der Nahrungsmittelpreise kommt für viele ärmere Länder zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Die Weltbank schätzt, dass wegen der Coronakrise rund 120 Millionen Menschen neu weniger als 1,90 Dollar pro Tag verdienen und weitere 220 Millionen Menschen weniger als 3,20 Dollar pro Tag. [4] Zudem droht eine neue Schuldenkrise: Gemäß dem Internationalen Währungsfonds IWF besteht aktuell bei mehr als der Hälfte der 70 ärmsten Länder der Welt eine große Gefahr, dass sie in eine Schuldennotlage geraten und auch viele Länder mit mittlerem Einkommen haben sehr hohe Schulden. [5] UN-Chef Antonio Guterres warnt bereits: „Wir können nicht sehenden Auges in eine Schuldenkrise laufen, die vorherseh- und vermeidbar ist.“ [6]
Dass es in manchen Ländern zu politischen Unruhen kommen könnte, liegt aber nicht allein am Anstieg der Nahrungsmittelpreise und gesunkenen Einkommen bei hohem Schuldenstand. Die Pandemie selbst erhöht die Wahrscheinlichkeit von Unruhen, wie eine Studie des IWF zeigt. Die Hauptgründe dafür sind ein Anstieg der sozialen Ungleichheit und die Reduktion des Wachstums. „Pandemien führen zu einem signifikant größeren Risiko von Unruhen nach 14 Monaten.“ [7] Auch wenn in den Industriestaaten bald alle geimpft sind, stehen der Welt also noch zwei, drei turbulente Jahre bevor – auch wegen der Preise für Nahrungsmittel. mic
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[1] FAO, 03.06.2021: Global food prices rise at rapid pace in May
FAO, Stand 08.06.2021: May registered a sharp increase in the value of the FAO Food Price Index
[5] IWF, 30.04.2021: List of LIC DSAs for PRGT-Eligible Countries (PDF)
[6] ClimateHome, 08.04.2021: Climate vulnerability should be factored into debt relief, says IMF head
[7] IMF, Oktober 2020: A Vicious Cycle: How Pandemics Lead to Economic Despair and Social Unrest (PDF)
[8] Reuters, 29.05.2021: Brazil on drought alert, faces worst dry spell in 91 years
[9] Nikkei, 04.04.2021: Degraded farmland diminishes China’s food sufficiency
[10] FAO, 08.07.2021: Global food prices fall for the first time in 12 months