Rückgang in den Industriestaaten und Zubau in China, Indien und Russland
In den nächsten 20 Jahren werden deutlich mehr Kernkraftwerke vom Netz gehen als neue hinzukommen. Einzig China, Indien und Russland investieren noch in großem Stil in diese Technik. Eine Wende könnten kleine, modulare Kraftwerke bringen, die allerdings erst auf dem Papier existieren.
Atomenergie ist die zweitwichtigste Quelle von CO2-freiem Strom nach großen Wasserkraftwerken. [1] Die 441 Atomkraftwerke der Welt produzierten im Jahr 2018 rund zehn Prozent des Stroms und damit mehr als alle Wind-, Solar- und sonstigen erneuerbaren Kraftwerke der Welt. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass in den vergangenen 50 Jahren dank Atomstrom die Emission von 55 Milliarden Tonnen CO2 vermieden werden konnte. Das entspricht den globalen Emissionen von etwas mehr als einem Jahr. Die meisten Reaktoren stehen in den USA (94), Frankreich (56), China (49), Russland (38), Japan (33), Südkorea (24), Indien(23) und Kanada (19). [2] Diese Kraftwerke wurden allerdings nicht gleichzeitig gebaut. In den USA und der EU sind über 80 Prozent der Kohlemeiler über 30 Jahre alt und erreichen damit bald das Ende ihrer geplanten Nutzungsdauer. In China ist es genau umgekehrt: Dort sind 80 Prozent der Atomkraftwerke noch keine zehn Jahre alt. [1]
Insbesondere für die EU erwartet die IEA denn auch einen massiven Rückgang der Produktion von Atomstrom um knapp zwei Drittel in den nächsten zehn Jahren. In den USA und in den anderen Industriestaaten erfolgt dieser Rückgang bis 2040. In keinem dieser Länder lohnt sich allerdings der Bau neuer Atomkraftwerke. Wind und Sonne sind überall billiger. [1] Die Ausnahme ist Japan, wo der erneuerbarer Strom noch immer sehr teuer ist. In den Industriestaaten sind denn auch wenige Kraftwerke im Bau: Nur 8 der 53 im Bau befindlichen Kraftwerke sind in der EU, den USA oder in Japan. [2] Was sich allerdings lohnt, sind Investitionen in Maßnahmen, um die Nutzungsdauer der Atommeiler zu verlängern. So hat Frankreich soeben beschlossen, dass die ältesten Atomkraftwerke nicht nach 40 sondern erst nach 50 Jahren vom Netz gehen sollen.
In Zukunft wird sich die Nutzung von Atomenergie immer mehr auf drei Länder konzentrieren: China, Indien und Russland. In diesen Ländern findet sich knapp die Hälfte der Kraftwerke, die derzeit gebaut werden. Noch klarer ist das Bild bei Kraftwerken in Planung. Drei Viertel aller projektierten Anlagen entfallen auf diese drei Länder. [2] Der einzige de facto Industriestaat, der seine Flotte an Atomkraftwerken erweitert, ist Südkorea. Dort sind vier Kraftwerke im Bau. Das werden allerdings die letzten sein. Südkoreas Präsident Moon Jae-in hat angekündigt, dass das Land in den nächsten 45 Jahren aus der Atomenergie aussteigen wird. Noch ist Atomtechnik allerdings ein südkoreanischer Exportschlager. Der Energiekonzern Kepco errichtet derzeit ein Kraftwerk mit vier Blöcken in den Vereinigten Arabischen Emiraten, von denen einer bereit läuft. Neu zum Club der Länder mit Atomkraft werden außerdem Bangladesch und die Türkei stoßen, wo je zwei Kraftwerke im Bau sind. Geplant sind schließlich Kraftwerke in Ägypten und Usbekistan.
Herkömmliche Atomenergie hat außerhalb autoritär regierter Länder also kaum noch eine Zukunft. Das muss allerdings nicht für zwei andere Spielarten von Atomenergie gelten: Kleine, modulare Reaktoren (SMR) und die Kernfusion. SMR haben eine Kapazität von unter 10 bis 500 Megawatt und sind damit weniger als halb so groß wie ein herkömmliches Atomkraftwerk. Bislang existiert dieser Reaktortyp allerdings primär auf dem Papier: Nur in Russland sind zwei SMR mit 35 und 50 Megawatt am Netz. SMR haben allerdings einen sehr bekannten Fürsprecher: Bill Gates. Dieser propagiert etwa in seinem Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ den Bau von SMR und hat auch eine eigene Firma, TerraPower, die diese entwickelt. Aus Gates Sicht haben SMR zwei Vorteile gegenüber herkömmlichen Atomkraftwerken: „Die neue Generation löst die Wirtschaftlichkeit, die das große, große Problem war.“ Außerdem „revolutioniert sie die Sicherheit“. [4]
Und dann gibt es noch die Fans der Kernfusion, die hoffen mit dem gleichen Prozess wie in der Sonne auch auf der Erde Energie erzeugen zu können. Aktuell werden Milliarden in diese Technik investiert. In Frankreich baut die EU zusammen mit Partnerländer einen Prototypreaktor (ITER), der über 22 Milliarden Euro kosten soll. Mittlerweile gibt es aber auch mehr als 20 Startups in diesem Sektor, die meist von US-Milliardären wie Bill Gates oder Jeff Bezos finanziert werden. Mit einem baldigen Durchbruch wird allerdings nicht gerechnet. Der ITER Reaktor soll ab 2035 Energie produzieren. mic
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[1] IEA, Mai 2019: Nuclear Power in a Clean Energy System
[2] World Nuclear Association, Stand 05.03.2021: World Nuclear Power Reactors & Uranium Requirements
[3] Jakarta Post, 25.02.2021: France to extend lifetime of old nuclear power plants