Auf Okonjo-Iweala wartet eine fast unmögliche Aufgabe

Die WTO ist gelähmt und Besserung ist nicht in Sicht

Die Welthandelsorganisation WTO gilt als wichtiger Pfeiler der multilateralen Ordnung. Doch derzeit kann sie ihre Aufgaben nicht erfüllen. Ob sich das ändert, entscheidet sich allerdings nicht am WTO Sitz in Genf sondern im Dreieck Washington-Peking-Brüssel.

Ngozi Okonjo-Iweala übernimmt die Leitung der Welthandelsorganisation WTO am Tiefpunkt ihrer 26-jährigen Geschichte. Sie selbst schrieb Mitte letzten Jahres: „Viele halten die WTO für einen ineffektiven Wächter eines veralteten Regelwerks, das für die Herausforderungen der globalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ungeeignet ist.“ [1] Damit nennt sie die beiden Kernaufgaben der WTO: Die Durchsetzung der Handelsregeln mit Hilfe des WTO-Schiedsgericht und die kontinuierliche Aktualisierung dieser Regeln in multinationalen Verhandlungen. Bei beiden Aufgaben ist die WTO derzeit quasi gelähmt: Die Berufungsinstanz hat nicht genügend Richter und Verhandlungen über die wichtigen Handelsthemen im Internetzeitalter finden auch nicht statt. De facto ist die WTO derzeit ein glorifiziertes Amt für Handelsstatistiken.

Davos Woman. Okonjo-Iweala ist schon lange auf dem internationalen Parkett unterwegs etwa im Jahr 2010 als Managing Director der Weltbank. (Foto: Okonjo-Iweala / WEF / Wikimedia)

Ihre erste Priorität sei, „die Vision wiederherzustellen, dass die WTO eine Entwicklungsorganisation“ ist, sagte Okonjo-Iweala im September. [2] In einem ersten Schritt will sie dazu die Verhandlungen über ein Verbot von Subventionen für illegalen Fischfang abschließen. Damit ließe sich zeigen: „Die WTO ist zurück.“ Kurzfristig bleibt ihr allerdings auch gar nichts anderes übrig, als auf einen Erfolg bei den Fischereisubventionen zu setzen, denn andere Verhandlungen im multilateralen Rahmen finden derzeit nicht statt. Die Verhandlungen der 2001 begonnen „Doha-Runde“ liegen seit mehr als zwölf Jahren auf Eis. Einzig beim Bürokratieabbau konnten die Länder einen Fortschritt erzielen: Im Jahr 2013 wurde ein Abkommen über Handelserleichterungen (TFA) verabschiedet, das seit 2017 in Kraft ist. Und so bleiben nur noch die Fischereisubventionen.

Wie es mit der Doha-Runde weitergehen soll, ist unklar. Okonjo-Iweala schreibt: „Die WTO-Mitglieder diskutieren immer noch darüber, ob der Doha-Prozess fortgeführt werden soll. Einige meinen, er sei von den Ereignissen überholt worden, während andere die Verhandlungen weiterführen wollen.“ [1] Ob in dieser Situation ein Abkommen über Fischereisubventionen reicht, um die Begeisterung für ein multilaterales Handelsabkommen wieder anzufachen, ist zweifelhaft. Denn zu viele fundamentale Fragen sind ungeklärt: Ist China ein Entwicklungsland? Und wenn ja, was folgt daraus? Können Entwicklungsländer diesen Status überhaupt jemals überwinden? Und wie fügen sich Länder mit einem gelenkten Wirtschaftssystem mit vielen Staatsbetrieben wie China in die Handelsordnung ein? Erst wenn bei all diesen Fragen zumindest in Grundzügen ein Konsens unter den großen Akteuren besteht, ist der Abschluss einer breit angelegten Handelsrunde wie Doha realistisch.

Auch die Wiederbelebung des WTO-Schiedsgerichts wird sich nicht kurzfristig erreichen lassen. Schon unter dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama beklagten die USA, dass das Gericht seine Kompetenzen überschreitet. Weil viele Handelsstreitigkeiten in den WTO-Regeln aus dem Jahr 1994 nicht antizipiert wurden, wendet das Gericht die Regeln oft sinngemäß an. Erforderlich wäre folglich eine Modernisierung dieser Regeln. Obwohl US-Präsident Donald Trump die Berufungsinstanz 2019 lahmlegte, indem er sich weigerte neue Richter zu bestätigen, kamen aber nie echte Verhandlungen in Gang. Daran wird auch die Amtsübernahme durch Joe Biden kurzfristig nichts ändern. Dieser hat sich im Wahlkampf stets bedeckt gehalten, wenn es um Fragen der zukünftigen Handelspolitik geht. In seinem Wahlprogramm steht nur: „Es gibt kein Zurück zum früheren Zustand beim Handel.“ [3]

Damit hat Okonjo-Iweala nur einen einzigen Verbündeten mit Gewicht bei ihrer Aufgabe, die WTO zu reaktivieren: die EU. Diese hat im Dezember eine „Neue EU-US Agenda für globalen Wandel“ vorgeschlagen – eine elfseitige Einladung an Joe Biden zur Zusammenarbeit auf globaler Ebene. [4] Darin wird die WTO achtmal genannt. Damit aus den EU-Vorschlägen konkrete Politik wird, muss sich Brüssel nun geschickt positionieren. Sowohl für Washington als auch für Peking ist die US-China Rivalität die entscheidende strategische Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Dabei werden die USA versuchen, mit der EU eine geschlossene Front zu bilden und China wird versuchen, genau das zu verhindern. In dieser Konstellation kann die EU im Idealfall beiden Seiten Bedingungen stellen. Und eine dieser Bedingungen sollte das Festhalten an einer regelbasierten Handelsordnung sein. Dann wäre Okonjo-Iwealas Aufgabe vielleicht doch nicht unmöglich. mic

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[1] Ngozi Okonjo-Iweala, 22.06.2020: Reviving the WTO

[2] Brookings, 21.09.2020: Ngozi Okonjo-Iweala’s vision for the WTO (Podcast)

[3] joebiden.com, Stand 12.02.2021: The Power of America’s Example: The Biden Plan for Leading the Democratic World to Meet the Challenges of the 21st Century

[4] EU-Kommission, 02.12.2020: A new EU-US agenda for global change (PDF)