Kohlestrom ist teurer als jeder andere Strom
Rund um die Welt sinkt die Kohleverstromung während die Ökostromproduktion steigt. Das sorgt für einen Strommix, der eigentlich erst in der Zukunft erwartet wurde. Damit das so bleibt, müssen die Stimulusgelder in Zukunftstechnologien investiert werden.
Minus 39 Prozent. In der EU sind im April die CO2-Emissionen aus der Stromerzeugung im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent gefallen. [1] Zum kleineren Teil liegt das an der gesunkenen Stromnachfrage: Diese ging wegen der Coronakrise um 14 Prozent zurück. [1] Zum größeren Teil liegt das aber am veränderten Strommix. Der große Gewinner ist Solarstrom. Dank neuer Anlagen, die letztes Jahr errichtet wurden, und des schönen Wetters ist hier die Produktion um 28 Prozent gestiegen. Der größte Verlierer ist Kohle: Die Stromproduktion aus Braun- und Steinkohle brach um über 40 Prozent ein. [1] ]Denn mittlerweile ist der dreckigste Strom auch der teuerste. Bei der Erzeugung von einer Megawattstunde Kohlestrom wird rund eine Tonne CO2 emittiert. Dafür muss der Stromkonzern ein Verschmutzungsrecht kaufen. Diese haben sich etwas verbilligt aber kosten noch immer knapp 20 Euro pro Tonne. [2] Dazu kommen die Kosten für die Kohle. Ein Gaskraftwerk kann hingegen eine MWh Strom für rund 20 Euro produzieren – alle Kosten inklusive. [1] Das liegt auch am Gaspreis. Dieser ist in den letzten beiden Jahren um zwei Drittel gefallen, während sich der Preis für Kohle nur halbiert hat. [3] [4]
Am billigsten ist aber Solar- und Windstrom. Wenn eine Solaranlage oder ein Windrad einmal gebaut ist, fallen bei der Stromerzeugung keinen weiteren Kosten mehr an. Die „Grenzkosten“ liegen bei null. Daher ist erneuerbarer Strom eigentlich auch nicht auf den Einspeisevorrang angewiesen. Billiger als Fossilstrom ist Ökostrom aus bestehenden Anlagen allemal. Diese Preisdynamik gilt auch für andere Länder. [12] Derzeit purzeln täglich Rekorde: In den USA wurde an jedem Tag im April mehr Grünstrom als Kohlestrom produziert. [5] Das gab’s noch nie. Besser ist aber Großbritannien: Dort wurde seit über einem Monat überhaupt kein Kohlestrom mehr produziert. [6] Aber auch in Indien sinkt die Kohleverstromung: Im April ging sie um knapp ein Drittel zurück – mit großen Auswirkungen auf die Luftqualität. [7] Letzteres könnte dafür sorgen, dass das Land nach der Krise nicht einfach zur alten Normalität zurückkehrt. Anumita Chowdhury, eine Expertin für Luftverschmutzung beim indischen Thinktank Center for Science and Environment, sagt: Die bessere Luftqualität sei „ein großes, unbeabsichtigtes Experiment“, das zeige „wie groß die erforderlichen Veränderungen“ seien. Gleichzeitig merkten die Menschen aber auch, „was es bedeutet, saubere Luft zu atmen“. [8]
Der veränderte Strommix ist aber noch aus einem anderen Grund „eine Postkarte aus der Zukunft“, wie Michael Liebreich, der Gründer des britischen Thinktanks Bnef schreibt: Netzbetreiber rund um die Welt müssen lernen, mit einem deutliche höheren Anteil an variablem Ökostrom klarzukommen. [9] Dabei zeigt sich, dass Braunkohle- und Atommeiler besonders unflexibel sind. Diese laufen auch bei negativen Strompreisen oft weiter. [1 ]Das ist teuer, denn die Zahl der Stunden mit negativen Preisen ist stark gestiegen: Deutschland verzeichnete in den ersten hundert Tagen des Jahres 60 Prozent mehr Stunden als letztes Jahr, wo der Strompreis unter Null lag. [1] Diese Perioden sind hingegen ideal für große Batteriespeicher. Dabei sind diese bereits heute und auch bei positiven Strompreisen konkurrenzfähig, wie Bnef ausgerechnet hat: „Batteriespeicher sind bei Neuanlagen die billigste Technologie für Nachfragespitzen (von bis zu zwei Stunden) in Regionen wie Europa, China oder Japan, die auf Gasimporte angewiesen sind.“ [10] Die „Postkarte aus der Zukunft“ könnte daher auch diesen Satz enthalten: „Ach übrigens, wir brauchen jetzt auch für Nachfragespitzen keine Fossilkraftwerke mehr, sondern puffern die Spitzen mit Batterien ab.“
Was genau auf der Postkarte stehen wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Dies hängt insbesondere davon ab, wie die Stimulusgelder eingesetzt werden. Wenn diese in Energieeffizienz, Elektrifizierung und Sektorkopplung fließen, wird vom blauen Himmel und sauberer Luft die Rede sein, andernfalls von der alten, grauen Normalität. Patrick Graichen, der Direktor des deutschen Thinktanks Agora Energiewende, sagt daher: „Das Konjunkturprogramm, das die Bundesregierung auflegen wird, zieht Investitionsmittel von morgen vor – also müssen wir auch die Investitionsentscheidungen von morgen vorziehen. Wir dürfen nicht mit dem Geld von morgen die Technologien von gestern finanzieren.“ [11] mic
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[1] CarbonBrief, 29.04.2020: Coronavirus has cut CO2 from Europe’s electricity system by 39%
[2] ICE, Stand 12.05.2020: EUA Futures
[3] ICE, Stand 12.05.2020: Dutch TTF Gas Futures
[4] ICE, Stand 12.05.2020: API2 Rotterdam Coal Futures
[7] CarbonBrief, 12.05.2020: India’s CO2 emissions fall for first time in four decades amid coronavirus
[8] Washington Post, 11.04.2020: In India, life under coronavirus brings blue skies and clean air
[9] BloombergNEF, 26.03.2020: Liebreich: Covid-19 – The Low-Carbon Crisis
[10] BloombergNEF, 28.04.2020: Scale-up of Solar and Wind Puts Existing Coal, Gas at Risk
[11] Patrick Graichen, 11.05.2020: Tweet
[12] IEA, April 2020: Global energy and CO2 emissions in 2020