Weltbank und IWF fordern Zinsmoratorium für 76 Länder
Steigende Ausgaben, sinkende Einnahmen und Kapitalabfluss. Vor dieser Situation stehen viele Entwicklungsländer. Damit es nicht zu einer Schuldenkrise kommt sind auch unkonventionelle Maßnahmen erforderlich.
Die Industriestaaten sollen Zinszahlungen von besonders fragilen Entwicklungsländer stunden. Das verlangten die Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF, Kristalina Georgiewa, und der Weltbank-Chef, David Malpass, am Mittwoch in einem gemeinsamen Appell. [1] Die beiden Institutionen wollen damit 76 besonders armen Entwicklungsländern „beim kurzfristigen Liquiditätsbedarf“ wegen der Coronakrise helfen und „ein starkes Signal an die Finanzmärkte“ senden. Dieses Signal ist auch nötig, denn viele Entwicklungsländer sehen sich einem perfekten Sturm aus drei Elementen gegenüber: Steigende Gesundheitskosten, sinkenden Einnahmen und ein erheblicher Kapitalabfluss.
Die Coronakrise trifft auf eine hoch verschuldete Welt. Die Weltbank schreibt in einem Bericht: „Die Weltwirtschaft hat in den letzten 50 Jahren vier Wellen an Schuldenakkumulation erlebt. Die ersten drei endeten mit einer Finanzkrise in vielen Entwicklungsländern.“ [2] Die vierte Welle begann im Jahr 2010 und zeichnet sich durch den „schnellsten, größten und breitesten Schuldenanstieg in diesen Ländern“ aus. Dort sind die Gesamtschulden zwischen 2010 und 2018 um 54 BIP-Prozente auf nun 170 BIP-Prozente gestiegen. Dieser Bericht wurde im letzten Dezember vorgestellt und erwähnt auf seinen 300 Seiten nicht einmal das Wort „Corona“ oder „Covid“.
Damit dürfte der Bericht schon wieder veraltet sein, denn nun brechen den Entwicklungsländern die Einnahmen weg. Diese stammen in den meisten Fällen aus drei Quellen: dem Verkauf von Rohstoffen, dem Tourismus und den Rücküberweisungen von Migranten. Alle drei Quellen drohen nun zu versiegen. Seit Jahresbeginn ist etwa der Bloomberg-Rohstoffpreisindex um über ein Fünftel gefallen. Der Index deckt Öl und Gas, Industriemetalle und Agrarrohstoffe ab. Beim Tourismus droht gar ein Totalausfall für mehrere Monate. So hat Thailand die Einreise von Ausländern mittlerweile verboten. Bei den Rücküberweisungen sieht es etwas besser aus, aber hier besteht die Gefahr, dass Migranten als erste ihre Jobs verlieren.
Problematisch ist für Entwicklungsländer auch der Kapitalabfluss. Nachdem die Finanzmärkte am 21. Januar zum ersten Mal auf die Coronakrise aufmerksam geworden sind, haben Anleger in den 51 darauffolgenden Tagen Anleihen und Aktien von Entwicklungsländern im Wert von 41,7 Milliarden US-Dollar abgestoßen. Das ist doppelt so viel wie in der gleichen Zeitspanne nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehmann Brothers wie das Institute of International Finance ausgerechnet hat. [3 s. S. 4] Das hat Folgen. Seit Ende Februar sind die Zinsen für die ärmsten Länder um 3,5 Prozentpunkte gestiegen. Diese müssen Anleger nun eine Rendite von zehn Prozent bieten, um noch an Geld zu kommen, wie Berechnungen der britischen Entwicklungsorganisation Jubilee Debt Campaign zeigen. [4]
Mittlerweile reagieren einige multinationale Organisationen. Der IWF stellt 50 Milliarden US-Dollar zur Verfügung und die Weltbank 14 Milliarden. Doch das wird nicht reichen. Der Ökonom Ricardo Haussmann von der US-Universität Harvard warnt: Die erforderliche Finanzunterstützung „kann nicht mit existierenden Ansätzen und den Bilanzen internationaler Organisationen geleistet werden“. [5] Vielmehr müsse „das Geld, das aus Entwicklungsländern flieht, in diese zurück zirkuliert werden“. Dazu schlägt Haussmann zwei Maßnahmen vor: Zum einen sollte die US-Notenbank Fed (und wohl auch die EZB) mit Notenbanken von Entwicklungsländern „Devisenswaps“ vereinbaren. [6] Damit könnten letztere ihre eigene Währung gegen Dollar oder Euro tauschen.
Zum anderen empfiehlt Haussmann, dass die Fed und die EZB im Rahmen ihrer Anleihenkaufprogramme auch die Anleihen von Entwicklungsländern kaufen. Dabei könnten sie sich auf die solventeren Staaten beschränken, damit sich dann der IWF und die Weltbank auf die weniger solventen Staaten konzentrieren können. Besondere Beachtung verdienten zudem Länder ohne eigene Währung wie der Kosovo und Montenegro, wo der Euro benutzt wird. Das Gleiche gilt für Ecuador, El Salvador, Panama und Osttimor, wo der US-Dollar als Währung dient. Mit diesen Staaten müssten die EZB und die Fed besondere Vereinbarungen treffen, damit deren Bankensystem abgesichert ist.
Noch hat die Coronakrise keine Schuldenkrise ausgelöst. Für beide Krisentypen dürfte aber das Gleiche gelten: Es lohnt sich, schnell und entschieden zu handeln. mic
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[2] Weltbank, 19.12.2019: Global Waves of Debt: Causes and Consequences
[4] JDC, 22.03.2020: Coronavirus worsens debt crisis in poor countries
[5] Project Syndicate, 24.03.2020: Flattening the COVID-19 Curve in Developing Countries
[6] EZB, Stand 26.03.2020: Was sind Devisenswap-Vereinbarungen?