Wendel Trio, der Chef des Klimanetzwerks CAN Europa, erklärt die Bedeutung des European Green Deals
Wendel Trio, 56, ist der Direktor des Climate Action Networks Europa, einem Zusammenschluss von über 150 europäischen Umweltorganisationen.
Ursula von der Leyen ist noch keine zwei Wochen Chefin der EU-Kommission und legt schon einen Masterplan für die nächsten 30 Jahre vor. Das ist ein beeindruckendes Tempo.
Der European Green Deal wurde bereits im Juli angekündigt und die EU-Verwaltung hat hart daran gearbeitet. Außerdem ist das nur ein Start, eine Art Kalender oder Fahrplan, wann die Gesetzesvorschläge zu den verschiedenen Elementen des Deals kommen werden. Der Green Deal gibt aber einen Anhaltspunkt, in welche Richtung diese Vorschläge gehen werden.
Der erste Schritt soll aber schon diese Woche beim EU-Gipfel kommen. Dort sollen die EU-Länder beschließen, dass Europa bis 2050 der „erste klimaneutrale Kontinent“ wird.
Die Entscheidung über Klimaneutralität bis 2050 ist wirklich entscheidend. Das schafft den Rahmen für die anderen Strategien, die ausgearbeitet werden müssen. Es wäre auch ein wichtiges Signal für die Klimakonferenz in Madrid.
Was ist das Beste am Green Deal?
Das Beste ist, dass der Plan wirklich umfassend ist. Um die Klimakrise zu lösen, muss das Klima in allen Bereichen berücksichtigt werden. Der Green Deal beinhaltet daher eine Industrie-, Transport- und Landwirtschaftsstrategie. Steuern und Finanzen werden betrachtet. Der Green Deal erkennt an, dass alles mit allem verknüpft ist.
Und was ist das Schlechteste?
Der schwächste Punkt ist der Zeitplan für das Klimaziel bis 2030. Wir wissen, dass die Klimakonferenz nächstes Jahr in Glasgow kurzfristig die letzte Chance ist, weltweit die Klimaziele zu erhöhen. Doch die EU-Kommission will ihren Vorschlag für das 2030-Ziel erst im Sommer vorlegen. Damit wird es schwierig für die EU-Mitgliedsländer, vor der Klimakonferenz zu einer Übereinkunft zu kommen, geschweige denn vor dem EU-China-Gipfel im September. Wenn die EU zu diesem Gipfel nicht mit einem neuen 2030-Ziel kommt, dann ist auch China nicht dazu herausgefordert.
Zum Gipfel in Leipzig kommt Chinas Präsident Xi Jinping. Das ist ungewöhnlich, weil normalerweise nur Chinas Ministerpräsident Li Keqiang kommt. Außerdem ist der Gipfel kurz vor der UN-Artenschutz-Konferenz in China. Dort will China zeigen, dass es ein respektabler Akteur auf der Weltbühne ist. Wenn die EU China also mit einem neuen Ziel herausfordert, dürfte Peking in diesem Moment sehr offen dafür sein, das eigene Ziel auch zu erhöhen.
Wie sähe also der ideale Zeitplan aus?
Wir wollen den Vorschlag in den ersten 100 Tagen der neuen EU-Kommission, also im März. Das hat Ursula von der Leyen im Juli auch zugesagt. Dann könnten die EU-Länder ihn im Juni absegnen.
Was hält die Kommission davon ab?
Bevor die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag machen kann, muss das EU-„Klimaministerium“ eine Folgenabschätzung erstellen. Dieses ist aber das kleinste Ressort in der EU-Kommission und hat nur wenige Ressourcen. Für mich ist das aber kein Argument. Wenn etwas politisch wichtig ist, muss die EU-Kommission die nötigen Ressourcen bereitstellen. Die Folgenabschätzung könnte bis März gemacht werden, insbesondere da einige Arbeiten bereits begonnen haben.
Im Green Deal steht, dass die Emissionen in der EU bis zum Jahr 2030 um 50 oder 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken sollen. Die Umweltorganisationen verlangen aber minus 65 Prozent. Gibt es noch eine Gelegenheit, das Ziel zu erhöhen, nachdem die EU-Kommission ihren Vorschlag gemacht hat?
Ja, die gibt es im Gesetzgebungsprozess: Erst schlägt die EU-Kommission das Gesetz vor. Dann müssen die Länder eine einstimmige Position dazu entwickeln. Daraufhin geht das Gesetz ins Europaparlament mit all‘ seinen Komitees. Das ist ein langer Prozess bis dann darüber abgestimmt wird. Anschließend geht das Gesetz in den Vermittlungsausschuss zwischen dem Europaparlament und den EU-Ländern. Das kann auch nochmal Monate dauern.
Im Moment ist die Mehrheit im Parlament für minus 55 Prozent, aber es gibt die beiden grünen Fraktionen, die minus 65 Prozent fordern. Außerdem wird das auch in der sozialdemokratischen Fraktion diskutiert. Ich würde im Moment nicht darauf wetten, dass das Parlament minus 65 Prozent beschließt, aber es könnte passieren, denn der ganze Prozess wird erst im Jahr 2021 abgeschlossen sein.
Die Bundesregierung hält sich beim Klimaschutz zurück, weil sie Angst vor einer Gelbwesten-Bewegung wie in Frankreich hat. Stimmt beim Green Deal die Balance zwischen Klimaschutz und sozialen Anliegen?
Der Green Deal berücksichtigt das, aber meines Erachtens nicht ausreichend. Es gibt ein Problem in der EU: Sozialpolitik liegt in der Verantwortung der Mitgliedsländer und der EU-Einfluss ist begrenzt. Die EU-Kommission will aber einen Just Transition Fund (JTF) schaffen. Die Idee für den JTF stammt aus dem Europaparlament. Dieses wollte fünf Milliarden Euro für die Kohleregionen beiseitelegen. Das wurde nie umgesetzt, aber die Idee waberte weiter durch Brüssel. Jetzt schlägt die Kommission 100 Milliarden für zehn Jahre vor. Dieses Geld würde zum Teil aus dem Budget für Kohäsion, zum Teil von der Europäischen Investitionsbank und zum Teil von den Kapitalmärkten kommen. Das sind also auch Kredite. Die Tatsache, dass die Summe von fünf auf 100 Milliarden gestiegen ist, zeigt aber, dass die Kommission das sehr ernst nimmt.
Der Green Deal sieht die Einführung einer Art von Kohlenstoff-Zoll auf Importe vor, um europäische Industrien mit hohen Emissionen zu schützen. Ist das sinnvoll?
Erstmal ist das eine Frage der Machbarkeit, einerseits geopolitisch, wo China bereits sagt, dass es nicht glücklich mit dieser EU-Idee ist, und andererseits hinsichtlich der technischen Machbarkeit. Für uns ist dieser Vorschlag nicht die erste Priorität und auch die EU zieht es vor, kein derartiges Instrument einzuführen, wenn es genug Fortschritte bei der Klimakonferenz in Glasgow gibt. Die Gefahr, dass Industrien mit hohen Emissionen abwandern, ist zudem nicht so gross, wie sie oft dargestellt wird.
Gab es je etwas Vergleichbares zum Green Deal in der EU-Geschichte?
Nein, nicht in dieser Größenordnung. So etwas gab es noch nie.
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