Es braucht wohl tatsächlich einen Aufstand, um die Klimakrise zu stoppen
Für sich das Recht auf Rebellion zu reklamieren ist ungewöhnlich und gefährlich, denn andere Gruppen könnten sich das zum Vorbild nehmen. Angesichts des Versagens der Parteiendemokratie angesichts der Klimakrise bleibt aber wohl keine andere Wahl.
Die Vertreter von Extinction Rebellion (XR), dem selbsternannten Aufstand gegen das Aussterben, sind stets höflich und respektvoll. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen, denn es handelt sich tatsächlich um einen Aufstand. Die Rebellen reklamieren für sich das Recht auf Rebellion. Dieses beruht auf dem Naturrecht: In einem imaginären Urzustand liegen alle Rechte beim Einzelnen. Dieser tritt dann einen Teil dieser Rechte an den Staat ab. Im Gegenzug verpflichtet sich dieser im „Gesellschaftsvertrag“ das Leben und die Freiheiten der Menschen zu schützen. Aus Sicht von XR hat der Staat diesen Vertrag gebrochen, weil er zu wenig gegen die Klimakrise unternimmt. Folglich fallen alle Rechte an den Einzelnen zurück und diese haben das Recht das System zu stürzen.
XR will den Staat aber nicht zerstören, sondern die repräsentative Demokratie ergänzen durch eine „Bürgerversammlung“ als dritter Parlamentskammer. In dieser sitzen zufällig ausgewählte Bürger wie in einem Geschworenengericht. Weil diese Bürger nicht wie Politiker wiedergewählt werden können, haben sie die Möglichkeit mutigere Entscheidungen zu treffen. Das hat in Irland funktioniert: Dort hat eine Bürgerversammlung beschlossen, das Abtreibungsverbot aufzuheben, was dann in einer Volksabstimmung bestätigt wurde. Dies hätten sich Berufspolitiker nie getraut, aus Angst vor der katholischen Kirche. Doch derartige Bürgerversammlungen sind weder in Grossbritannien noch in Deutschland derzeit vorstellbar. Daher nimmt XR das Recht auf Rebellion in Anspruch und versucht den Staat durch massenhaften, strikt gewaltfreien, zivilen Ungehorsam zu Verhandlungen zu zwingen.
Dieses Mittel hat sich bewährt etwa bei der Überwindung der Rassentrennung in den USA oder beim Unabhängigkeitskampf Indiens. Das Recht auf Rebellion für sich zu reklamieren, ist aber auch gefährlich: So könnten etwa rechtsextremistische Gruppen ebenfalls behaupten, der Staat habe den Gesellschaftsvertrag gebrochen. Zudem ist jede Selbstermächtigung in einem demokratischen Rechtsstaat wie Grossbritannien oder Deutschland undemokratisch, schliesslich bestünde ja auch die Möglichkeit, einer Partei beizutreten und das System von innen heraus zu reformieren. Diesen Ansatz haben die 68er verfolgt und haben mit ihrem „Marsch durch die Institutionen“ durchaus Erfolg gehabt.
Doch dafür reicht aus XR-Sicht die Zeit nicht mehr. Gemäss dem Weltklimarat müssen die Emissionen in den kommenden elf Jahren weltweit und damit auch in Deutschland halbiert werden, um das 1,5-Grad-Ziel mit Münzwurfwahrscheinlichkeit zu erreichen. Das bedeutet, dass die deutschen Emissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken müssen und nicht nur um 55 Prozent wie von der Bundesregierung angestrebt. Hinzu kommt, dass mit dem deutschen Klimapaket selbst das zweite Ziel verfehlt wird. Ähnlich sieht es in anderen Ländern aus. Die XR-Analyse ist daher (noch) richtig, dass das bestehende politische System nicht in der Lage ist, angemessen auf die Klimakrise zu reagieren.
Nun lässt sich natürlich argumentieren, es seien ja noch elf Jahre Zeit und das System werde diese nutzen, um doch noch auf den Zielpfad einzuschwenken. Dafür gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte, im Gegenteil: Die Bundesregierung ist dabei, ihr eh schon schwaches Klimapaket weiter aufzuweichen. Es ist hart aber wahr: Die Parteiendemokratie scheint an der Klimakrise zu scheitern – mit absehbar katastrophalen Folgen bis zum Ende der menschlichen Zivilisation. Da diese Folgen unumkehrbar sein werden, unterminiert der Staat seinen Legitimation, den Gesellschaftsvertrag. Daraus das Recht auf einen Aufstand abzuleiten ist gefährlich, erscheint aber zunehmend als die letzte Chance, um diesen Wahnsinn noch zu stoppen. mic
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