RWE verlangt 1,2 Milliarden Euro Entschädigung pro Gigawatt
Nach dem Kohlekompromiss geht das Feilschen los: Aus RWE Sicht wird der Konzern quasi enteignet und hat Anspruch auf Entschädigung. Ob die Kohlemeiler tatsächlich noch etwas wert sind, ist aber nicht sicher.
Die Kohlekommission hat in ihrem Bericht empfohlen, mit den Betreibern von Kohlekraftwerken „einvernehmliche Vereinbarungen“ auszuhandeln, die auch „Entschädigungsleistungen“ enthalten. Der Energiekonzern RWE hat im Februar hierzu eine erste Zahl genannt: RWE erwartet Kosten von mindestens 1,2 Milliarden Euro pro Gigawatt an Kraftwerkskapazität. [1] Dies beinhalte im Fall der Braunkohlemeiler auch die Tagebaue. RWE bezieht sich dabei auf die Zahlungen für die Kraftwerke, die im Jahr 2015 in die Marktstabilisierungsreserve überführt wurden. Damals erhielten die Betreiber 1,6 Milliarden Euro für 2,73 Gigawatt an Kapazität, also 586 Millionen pro Gigawatt. Die EU-Kommission genehmigte damals den Deal und konnte keinen Hinweis auf illegale Staatbsbeihilfe finden.
Ob eine Entschädigung rechtlich überhaupt erforderlich ist, gilt als umstritten. Für abgeschriebene Kraftwerke sei eine Entschädigung nicht erforderlich, sagt ein Gutachten des Thinktanks Agora Energiewende aus dem vorletzten Jahr. [2] Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kommt ebenfalls zum „Ergebnis, dass eine gesetzlich angeordnete Stilllegung von Kohlekraftwerken grundsätzlich auch ohne Entschädigungsleistung möglich ist“. [3] Ausnahmen könne es nur bei „unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen“ geben, für die der Bericht der Kohlekommission aber „keine Hinweise“ enthalte. Ein von RWE in Auftrag gegebenes Gutachten kommt dafür zum gegenteiligen Ergebnis: Ein politisch verfügter Ausstieg ohne Entschädigung sei „insgesamt verfassungswidrig“. [1]
Doch zurück zur Bewertung der Kohlekraftwerke. Hier gibt es mehrere Optionen: Zum einen könnte man die Betreiber mit dem Buchwert der Anlagen entschädigen. Dann müssten sie keine Abschreibungen wegen des Kohleausstiegs vornehmen. Da Kraftwerke in der Regel über 40 Jahre abgeschrieben werden, dürfte der Buchwert aber bei den meisten Meilern nahe Null liegen. Der genauen Buchwert wollte RWE auf Anfrage aber nicht mitteilen. Dies sei „Geschäftsgeheimnis“. Ein anderer Ansatz ist die Marktkapitalisierung der Betreiber, in denen der „Wert“ der Kraftwerke ja enthalten sein müsste. RWE war am Dienstag an der Börse 13,3 Milliarden Euro wert. Darin enthalten sind elf Gigawatt Braunkohle- und gut drei Gigawatt Steinkohlekraftwerke. [4] Daher wäre es für den deutschen Staat billiger, RWE zu übernehmen, als pro Gigawattstunde 1,2 Milliarden Euro zu bezahlen. Nach Stilllegung aller Kohlemeiler könnte der Staat die Rest-RWE zudem wieder an die Börse bringen.
Eine dritte Möglichkeit zur Bewertung ist der Gegenwartswert aller zukünftigen Gewinne eines Kraftwerks. Diese Gewinne hängen von vier Faktoren ab: Dem Strompreis auf der Einnahmenseite sowie den Betriebskosten, dem Preis für Kohle und dem Preis für CO2-Zertifikate im EU-Emissionshandelssystem auf der Kostenseite. Das Beratungsunternehmen Energy Brainpool hat im Auftrag von Greenpeace Energy ausgerechnet, was die einzelnen RWE- Braunkohlemeiler im rheinischen Revier wert sind. [5] Diese haben eine Kapazität von 9,5 Gigawatt und deren Abschaltung müsste aus RWE Sicht mit 11,4 Milliarden Euro entschädigt werden. Wenn man die erwarteten Gewinne aus deren Betrieb betrachtet, kommt man allerdings auf einen Wert von 1,3 Milliarden im Jahr 2020, der anschliessend schnell fällt. Insbesondere wegen steigender Kosten für CO2-Zertifikate liegt der Gegenwartswert dieses Kraftwerksparks im Jahr 2022 nur noch bei 673 Millionen Euro. Viele Kraftwerke werden in den nächsten Jahren schlicht unrentabel. Am längsten lassen sich die beiden Kraftwerksblöcke Neurath F und G rentabel betreiben: Diese werden erst ab dem Jahr 2029 defizitär.
Eine vierte Option zur Ermittlung des Werts der Kraftwerke ist schliesslich ein Blick auf den Markt. Hier ist insbesondere der Verkauf von Vattenfalls Kohlegeschäft in Deutschland von Interesse: Im Jahr 2016 „verkaufte“ Vattenfall vier Braunkohlekraftwerke mit 7,6 Gigawatt Kapazität und fünf Tagebaue an den tschechischen Konzern EPH. Um das Geschäft zu ermöglichen, zahlte Vattenfall 1,7 Milliarden Euro an EPH für die Renaturierung der Tagebaue. [6] Bei diesem Geschäft lag der „Wert“ der Kohlemeiler folglich im negativen Bereich. mic
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[1] Handelsblatt, 28.02.2019: Der Kampf um Milliardenentschädigungen beim Kohleausstieg beginnt
[2] Agora Energiewende, Oktober 2017: Ein Kohleausstieg nach dem Vorbild des Atomausstiegs?
[3] Bundestag, 19.02.2019: Stilllegung von Kohlekraftwerken ohne Entschädigung (PDF)
[4] Umweltbundesamt, Stand 05.03.2019: Datenbank “Kraftwerke in Deutschland”
[6] Handelsblatt, 21.07.2016: Deutsche Braunkohle kostet Schweden Milliarden