Die CO2-Intensität des EZB-Portfolios liesse sich um 44 Prozent reduzieren
In einem verzerrten Markt, ist ein „marktneutraler“ Ansatz nicht wirklich neutral. Das ist das Dilemma der Europäischen Zentralbank (EZB) beim Kauf von Anleihen, denn im Markt sind CO2-intensive Firmen übergewichtet.
Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte ihre Bilanz zugunsten der Klimapolitik hebeln. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. [1] Dabei gibt es zwei Ansatzpunkte: Zum einen besass die Bank im September 2018 Anleihen im Wert von 2613 Milliarden Euro, die sie im Rahmen des „Asset Purchase Programms“ (APP) gekauft hat. Knapp 70 Prozent davon sind Staatsanleihen und der Rest Anleihen von Banken und Firmen. Zum anderen hatte die EZB Anleihen für 1596 Milliarden Euro in ihren Tresoren, die Banken als Sicherheit für Kredite hinterlegt hatten. Hier entfielen mehr als 80 Prozent auf Bank- und Firmenanleihen. Damit ist die EZB in Kontrolle eines erheblichen Teils der Marktkapitalisierung der verschiedenen Anleihentypen: 32 Prozent aller Staatsanleihen, 45 Prozent aller Bankanleihen und 15 Prozent aller Unternehmensanleihen. [1 s. S. 14] Diese Marktmacht solle die EZB bei Bank- und Firmenanleihen nutzen, fordert Bruegel.
Bei den Anleihen, die die EZB im Rahmen des APP hält, ist schnell erklärt, wie das gehen könnte. Die EZB ist „marktneutral“ und kauft einfach einen bestimmten Prozentsatz aller Anleihen auf dem Markt. Damit sei das EZB-Portfolio aber nicht „klimaneutral“ moniert Bruegel, denn „CO2-intensive Firmen, wie Ölkonzerne, Autohersteller oder Fluglinien sind typischerweise kapitalintensiv“. [1 s. S. 5] Auf dem Markt seien daher Anleihen von CO2-intensiven Firmen „übergewichtet“. „Ein marktneutraler Ansatz führt somit dazu, dass das EZB-Portfolio relativ CO2-intensiv ist“. Das moniert auch Markus Trilling vom Klimanetzwerk CAN: Mit dem APP „stockt die EZB die Bilanzen von CO2-intensiven Branchen auf“. Bruegel fordert daher, dass die EZB die CO2-Intensität der Schuldnerfirmen beim Kauf von Anleihen berücksichtigt. Dies würde dazu führen, dass die EZB weniger Anleihen von Ölkonzernen und mehr von Pharmaherstellern kauft. Dadurch steigen die Kapitalkosten für erstere und sinken für zweitere.
Bei den Anleihen, die Banken bei der EZB als Sicherheit hinterlegen, ist der Mechanismus etwas komplizierter: Wenn eine Geschäftsbank der EZB eine Anleihe im Wert von 100 Euro andient, bekommt sie dafür einen Kredit. Wie hoch dieser ist, hängt von der Restlaufzeit der Anleihe und der Bonität des Schuldners ab. Je nachdem bekommt die Bank daher zwischen 99,50 und 66 Euro. [1 s. S. 12] Hier lässt sich nun ebenfalls ein Klimafaktor einbauen, indem die CO2-Intensität des Schuldners mitberücksichtigt wird. Dies hätte zur Folge, dass eine Geschäftsbank für die Anleihe eines Ölmultis weniger Kredit bekommt als für die Anleihe einer Pharmafirma. Aus Sicht der Bank werden dadurch die Anleihen von Ölkonzernen unattraktiver und diese müssen daher höhere Zinsen bezahlen.
Doch wie gross wäre dieser Effekt? Hierzu hat die EZB im Jahr 2011 einen „Praxisversuch“ unternommen: Damals begann die EZB, bestimmte Firmenanleihen im Rahmen des APP zu kaufen. Das kam für den Markt unerwartet. In der Folge sank die Rendite dieser Anleihen um 0.07 Prozentpunkte oder um sieben „Basispunkte“. Würde die EZB nun die Anleihen von besonders CO2-intensiven Firmen in ihrem Portfolio um die Hälfte und Anleihen von mittel CO2-intensiven um ein Viertel reduzieren, hätte das den gegenteiligen Effekt wie beim „Praxisversuch“: Die Kapitalkosten für besonders CO2-intensive Firmen würden um 3.5 Basispunkte und für mittel-intensive Firmen um 1.75 Basispunkte steigen. [1 s. S. 17] Dadurch erhielten Firmen mit geringer CO2-Intensität einen Vorteil bei der Finanzierung. Ausserdem würde die CO2-Intensität des EZB-Portfolios um 44 Prozent sinken, weil in diesem klimafreundliche Schuldner nun stärker vertreten sind.
Hinzu kommt ein indirekter Effekt so Bruegel: „Anstrengungen der Zentralbank ihre Geldpolitik grüner zu machen, hätten einen starken Signaleffekt für andere Marktteilnehmer.“ [1 s. S. 16] Dirk Schoenmaker, der Autor der Bruegel-Studie, glaubt sogar, dass der indirekte Effekt „stärker“ als der direkte Effekt sein könnte. Diese Effekte liessen sich zudem zum Nulltarif haben, sagt Schoenmaker. Durch die Umstellung des EZB-Portfolios entstünden „keine zusätzlichen Kosten“.
Trotzdem will die EZB an ihrem marktneutralen Ansatz festhalten. Aus ihrer Sicht sind CO2-intensive Firmen am Markt übergewichtet, weil ein CO2-Preis fehlt, der die externen Kosten von Emissionen korrekt widerspiegelt. Somit sei es Aufgabe der Politik einen solchen Preis einzuführen und nicht Aufgabe der EZB, die Marktverzerrung wegen des fehlenden CO2-Preises nachträglich auszugleichen. Bruegel konzediert, dass ein CO2-Preis die „erstbeste Lösung“ wäre, „in unserer zweitbesten Welt“ stelle sich die Sache aber anders dar: „Nichts zu tun, ist eine Entscheidung, die die EU-Klimapolitik unterminiert.“ [1 s. S. 5] mic
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite