Letztlich können nur die Märkte Italiens Regierung von ihren Schuldenplänen abbringen, glaubt Oliver Landmann
Oliver Landmann, 66, ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Freiburg im Breisgau.
Warum sind die Märkte wegen Italiens Staatshaushalt so nervös?
Oliver Landmann: Italien sucht die totale Konfrontation zur EU-Kommission. Ausgang ungewiss. Dabei geht es nicht nur um eine mögliche Insolvenz Italiens, die mir eher unwahrscheinlich erscheint. Sondern im Raum steht auch die Frage, ob Italien im Euro bleibt. Hierzu hat die neue Regierung höchst widersprüchliche Signale ausgesandt und damit Unsicherheit erzeugt. Vergleichen Sie Italien einmal mit Belgien. Belgien hat auch den Euro und fast so hohe Schulden wie Italien. Darüber regt sich kein Mensch auf, weil für Belgien ein Euroausstieg nicht zur Diskussion steht. Belgien hält sich auch brav an alle Regeln.
Das Problem ist also nicht die Schuldenquote von über 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)?
Das Verschuldungsniveau als solches ist nicht das zentrale Problem. Das zentrale Problem ist die Wachstumsschwäche des Landes und die Tatsache, dass die Politik nichts dagegen unternimmt. Dies bereitet mehr Sorge als der Schuldenstand.
Italiens Regierung peilt ein Defizit in Höhe von 2,4 BIP-Prozenten an und nicht wie zuvor mit der EU vereinbart von 0,8 BIP-Prozenten. Ist ein solcher Impuls nicht sinnvoll angesichts des anämischen Wachstums in Italien?
Ein Nachfrageimpuls brächte für den Moment eine gewisse Belebung, aber er würde das eigentliche Problem nicht lösen. Italien steckt nicht in einer akuten konjunkturellen Krise, sondern hinkt seit zwanzig Jahren mit seinem Produktivitätswachstum dem restlichen Europa hinterher. Man könnte ein höheres Defizit rechtfertigen, wenn die Ausgaben in Investitionen fliessen würden, etwa in die Infrastruktur. Aber das passiert nicht. Die Ausgabenpläne sind rein konsumtiv. Es werden Wahlgeschenke an die Wähler der beiden Regierungsparteien verteilt. Das ist gut für die Umfragewerte der Regierung, aber nicht für die Wachstumskräfte Italiens.
Letztlich geht es doch um die Frage: Was ist der Multiplikator von Staatsausgaben? Um wie viel wächst das BIP, wenn der Staat einen Euro mehr ausgibt?
Multiplikatoren sind hoch, wenn die Wirtschaft stark unterausgelastet ist und die Zinsen bei Null verharren wie in der Eurozone in den Jahren zwischen 2010 und 2014. Inzwischen befinden sich selbst Länder, die damals von der Krise härter betroffen waren als Italien, wieder deutlich im Aufwind. Die Frage ist also eher: Warum nimmt Italien an diesem Aufschwung nicht teil? Die Fiskalpolitik war in den letzten Jahren in Italien nicht restriktiver, als sie es im Durchschnitt der Eurozone war. Die Gründe scheinen daher eher anderswo zu liegen.
Ist der Euro Schuld an der Wachstumsschwäche? Früher haben die Italiener einfach alle paar Jahre die Lira abgewertet.
Der Euro wird jetzt zum Sündenbock gemacht. Richtig ist natürlich, dass der Ausweg über die Abwertung nicht mehr existiert. Italien tat sich von Anfang an schwer damit, sich an die tiefe Inflation anzupassen, die der Euro mit sich brachte. Vor allem die italienischen Lohnstückkosten sind in den ersten zehn Jahren der Währungsunion weit überdurchschnittlich gestiegen. Da hat sich ein Problem aufgebaut, das bis heute nicht bewältigt ist, und das man nun nicht mehr per Abwertung beheben kann.
Die EU-Kommission hat Italiens Budget zur Überarbeitung zurück nach Rom geschickt. Ist damit das Problem gelöst?
Nein, die Fronten sind im Moment völlig verhärtet. Man muss aber auch sagen, dass die Defizit- und Verschuldungsregeln der Währungsunion von Anfang an eine Missgeburt waren. Seit sie von Deutschland und Frankreich schon kurz nach Einführung des Euro ungestraft verletzt wurden, war zudem klar, dass sie ein Papiertiger sind. Italien sitzt allein schon wegen seiner Größe am längeren Hebel als die EU-Kommission. Gefährlicher als die Drohungen der Kommission sind für Italien diejenigen der Kapitalmärkte.
Was die Märkte von Italiens Solidität halten, kann man am Zinsaufschlag ablesen, den Italien im Vergleich zu Deutschland zahlen muss, dem „Spread“. Ab welchem Spread wird es für Italien kritisch? Bei 3,5 Prozent? Bei 4 Prozent?
Jeder Basispunkt (Hundertstel Prozent), um den der Spread steigt, ist eine schlechte Nachricht für Italien. Das Zinsniveau ist in Italien im Verhältnis zum Wachstum schon jetzt zu hoch. Unter diesen Bedingungen ist es sehr, sehr schwierig, die Verschuldung zu senken. Die Geschichte zeigt, dass Schuldenabbau immer nur mit einem starken Wirtschaftswachstum gelungen ist. Höhere Defizite sind kein Ausweg aus dieser Falle. Italien kann sich nicht wie der Baron von Münchhausen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
Was sind die drei wichtigsten Reformen, die Italien angehen müsste, um die Produktivität zu verbessern?
Die Probleme beginnen schon im öffentlichen Sektor. Indikatoren für die Effizienz der Regierungsführung, der öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege fallen in allen internationalen Vergleichen deutlich aus dem Rahmen und wirken sich unmittelbar auch negativ auf die Produktivität des privaten Sektors aus. Hier ist der Handlungsbedarf offensichtlich.
Während Deutschland die Flexibilität seines Arbeitsmarktes der Tatsache verdankt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber dezentral Lösungen finden, die den jeweiligen lokalen Gegebenheiten gerecht werden, leidet Italien seit Jahren darunter, dass die wesentlichen Eckpfeiler der Arbeits- und Lohnbedingungen zentral festgelegt werden. Dies erschwert sowohl die Ausrichtung der Arbeitskosten an der Produktivität als auch die Anpassung an einen Strukturwandel, der sich durch die Globalisierung und zunehmend auch durch die Digitalisierung beschleunigt hat. Die Flexibilisierung, die die Vorgängerregierung von Matteo Renzi auf den Weg gebracht hatte, sind teilweise bereits wieder rückgängig gemacht worden.
Besonders rächen sich jetzt auch die Versäumnisse bei der Sanierung des italienischen Bankensystems, in dessen Bilanzen ein hoher Anteil der italienischen Staatsanleihen lagert, und dem daher durch die nervöse Reaktion der Märkte eine erneute Krise droht. Darunter leidet die Kreditvergabe an Unternehmen mit Wachstumspotenzial.
Sehen Sie einen Ausweg aus der aktuellen Krise – einen Weg wie die EU-Kommission und Italiens Regierung da ohne Gesichtsverlust rauskommen?
Schwierig. Es sieht nicht danach aus, dass Italien nachgeben wird. Der Handlungsspielraum der EU-Kommission ist faktisch nicht so groß, wie die Rhetorik der letzten Tage glauben macht. Der Wachstumsschub, der das Problem entschärfen würde, ist nicht in Sicht. Im Moment fällt es eher schwer, optimistisch zu sein. mic
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