Der Bericht des Weltklimarats IPCC zum 1,5-Grad-Ziel wird in die Geschichtsbücher eingehen – entweder als der Weckruf, der die Menschheit endlich dazu gebracht hat, die Klimakrise ernst zu nehmen, oder als die letzte Chance, die ebenfalls verpasst wurde. Der Bericht zeigt, wie gravierend der Unterschied einer Erwärmung um 1,5 oder um 2 Grad ist. Zwischen diesen beiden Werten könnten zudem die Kipppunkte liegen, deren Erreichung dafür sorgt, dass die Erwärmung sich selbst verstärkt. In diesem Fall würde der Welt eine „Heisszeit“ mit fünf Grad höheren Temperaturen drohen und das Ende der menschlichen Zivilisation.
Um dieses Szenario abzuwenden, hat die Menschheit nur noch zwölf Jahre Zeit: Bis zum Jahr 2030 müssen die globalen Emissionen um 45 Prozent sinken. Geschieht dies nicht, ist das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen. Vor diesem Hintergrund wirkt die aktuelle Debatte um den Kohleausstieg in Deutschland surreal. Dank einer Kommission sollen „Strukturbrüche“ in einigen kleineren Regionen verhindert werden. Gleichzeitig spielt der ultimative Strukturbruch, eine Heisszeit, nur eine untergeordnete Rolle. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste Deutschland seine Emissionen bis 2030 um rund 70 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken und nicht nur um 55 Prozent wie bislang geplant. Das ist aber nur mit einem kompletten Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 möglich, da die anderen Sektoren wie Verkehr und Industrie nicht so schnell umgestellt werden können. Die Fragestellung der Kohlekommission sollte daher lauten: Wie können wir schnellstmöglich aus der Kohle aussteigen und was müssen wir für besonders betroffene Regionen tun?
Der Kohleausstieg reicht allerdings nicht aus. Die Fixierung auf Energie kann vielmehr nur eine erste Phase im Kampf gegen die Klimakrise sein. Der IPCC-Bericht zeigt, dass wir der Atmosphäre CO2 entziehen müssen, durch Aufforstung und BECCS. Bei letzterem verbrennt man Pflanzen (Bioenergie BE) zur Energieerzeugung und verpresst das dabei anfallende CO2 im Boden (CCS). Um das in grossem Stil machen zu können, wird die Menschheit um den Anbau von Energiepflanzen nicht herumkommen. Gleichzeitig muss die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Ausserdem muss bis zur Hälfte des Planeten unter Schutz gestellt werden, um das Massaker an Tier und Pflanzenarten zu stoppen. Damit ergibt sich für den Boden eine dreifache Nutzungskonkurrenz. In der zweiten Phase beim Kampf gegen den Klimawandel, geht es daher um die menschen-, arten- und klimagerechte Optimierung der globalen Bodennutzung.
Um das Erdsystem langfristig zu stabilisieren ist schliesslich eine Bewusstseinsänderung erforderlich: Wir leben nun in der geologischen Epoche des Anthropozäns, also im Zeitalter des Menschen. Dieser Begriff hat vor allem auch einen verantwortungsethischen Aspekt: Im Anthropozän hat der Mensch die Verantwortung für das Wohlergehen allen Lebens übernommen. Aus Sicht des Wissenschaftsmagazins ‚Anthropocene Review‘ heisst das: „Dies hat den Effekt, dass der Gegensatz zwischen Mensch und Natur eingerissen wird.“ [1] Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, darf sich der Mensch also nicht länger im Gegensatz zur „Natur“ definieren, die es zu unterjochen gilt. Er muss sich vielmehr als Teil eines Erdsystems verstehen, als Teil eines kollektiven Ganzen, eines Meta-Organismus. Dann wird klar, dass die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nur möglich ist, wenn auch den Bedürfnissen aller anderen Teile dieses Meta-Organismus Sorge getragen wird. Für den Kampf gegen den Klimawandel bedeutet dies konkret: Kurzfristig mögen technische, wirtschaftliche und politische Fragen im Vordergrund stehen. Langfristig wird aber eine philosophische Frage entscheidend sein: Was sind wir? mic
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