Bildung für Mädchen und Zugang zu Verhütungsmitteln sind die wirksamste Massnahme
Erneuerbare Energien zur Stromerzeugung reichen nicht, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Wenn man alle Möglichkeiten zum Klimaschutz betrachtet, zeigen unerwartete Massnahmen grosses Potential.
„Wenn man auf einen Abgrund zurast, dann ist es nicht sinnvoll abzubremsen und langsam über die Klippe zu fahren, sondern das einzig sinnvolle ist anzuhalten und umzukehren.“ [1] So erklärt Paul Hawken die Logik hinter dem Projekt und Buch ‚Drawdown‘ (auf deutsch in etwa ‚Absenken‘). [2] Konkret geht es um das Absenken der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre. Für CO2 liegt diese derzeit bei 410 CO2-Molekülen pro eine Million ‚Luftteilchen‘, also bei 411 ppm (parts per million). Zu Beginn der industriellen Revolution lag dieser Wert bei 280 ppm. Um das Klima zu stabilisieren, muss die CO2-Konzentration also sinken – Jahr für Jahr bis ein Wert unter 350 ppm erreicht ist. Hawken glaubt, dass die Menschheit die Trendumkehr von einer steigenden zu einer sinkenden Konzentration in den nächsten 30 Jahren schaffen kann und er hat die Zahlen, um das zu beweisen.

Im Rahmen des ‚Drawdown‘ Projekts haben Wissenschaftler das Potential von über hundert verschiedenen Massnahmen eruiert und eine Rangliste der wirksamsten erstellt (siehe Tabelle 1). Auf Platz 1 der Einzelmassnahmen liegt eine Gruppe von Kühlmitteln, die Fluorkohlenwasserstoffe (FKWs). Diese ersetzen die ozonschädlichen FCKWs in Klimaanlagen und Kühlschränken. Hier gibt es eine gute Nachricht: Im Rahmen des Montreal-Protokolls zum Schutz der Ozonschicht werden seit letztem Jahr auch FKWs nach und nach abgeschafft.
Die zehn besten Einzelmassnahmen
Rang | Massnahme | Potential in Mrd. Tonnen CO2 |
---|---|---|
1 | Kühlmittelmanagement (FKWs) | 89.7 |
2 | Windkraft an Land | 84.6 |
3 | Weniger Lebensmittelverschwendung | 70.5 |
4 | Weniger Fleischkonsum | 66.1 |
5 | Wiederaufforstung tropischer Regenwälder | 61.2 |
6 | Bildung für Mädchen | 59.6 |
7 | Verhütungsmittel / Familienplanung | 59.6 |
8 | Grosse Solarkraftwerke | 36.9 |
9 | Mehr Wald als Weide nutzen (Hutewälder) | 31.2 |
10 | Kleine Solaranlagen | 24.6 |
Total | 584 |
Das absolut grösste Potential hat aber eine Kombination von zwei Massnahmen, die sonst nur selten mit Klimaschutz in Verbindung gebracht werden: Bildung für Mädchen und Zugang zu Verhütungsmitteln zur Familienplanung. Je länger Mädchen in die Schule gehen, desto später heiraten sie und desto weniger Kinder bekommen sie. Die Unesco schätzt, dass sich mit einer zusätzlichen Investition von 39 Milliarden Dollar pro Jahr sicherstellen lässt, dass alle Mädchen weltweit in die Schule gehen. [3] Dann kommt die Familienplanung: 214 Millionen Frauen, die eine Schwangerschaft vermeiden wollen, haben keine modernen Verhütungsmittel, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. [4] Dieses Problem lässt sich mit 9,4 Milliarden Dollar pro Jahr lösen. [5] Bis zum Jahr 2050 lässt sich mit der Kombination dieser beiden Massnahmen der Zuwachs der Weltbevölkerung um eine Milliarde Menschen reduzieren. Dadurch werden CO2-Emissionen von knapp 120 Milliarden Tonnen verhindert. [6] Das ist mehr als die globalen Emissionen der letzten drei Jahre.
Um den ‚Drawdown‘ zu erreichen, reicht es aber nicht, Emissionen zu vermeiden, sondern der Luft muss CO2 entzogen werden. Technisch ist dies derzeit nicht möglich: „Die einzige, bekannte Methode um das zuverlässig zu tun, ist Photosynthese“, sagt Hawken. [7] Die Hälfte der 20 wirksamsten Massnahmen betrifft denn auch die Landnutzung. Das grösste Potential hat die Wiederaufforstung tropischer Regenwälder gefolgt von der Nutzung von Wäldern als Weide (Hutewald) (siehe Tabelle 2). Insgesamt lässt sich mit diesen zehn Änderungen in Land- und Forstwirtschaft die CO2-Last der Atmosphäre bis zum Jahr 2050 um 250 Milliarden Tonnen verringern sowohl durch die Vermeidung von Emissionen als auch durch die Speicherung von Kohlenstoff in Pflanzen und Böden. Um dies zu erreichen muss allerdings die Landnutzung auf knapp 20 Millionen Quadratkilometern oder rund 12 Prozent der Landfläche des Planeten für den Klimaschutz optimiert werden.
Die zehn besten Massnahmen zur Bodennutzung (plus Bonusmassnahme)
Rang | Massnahme | Fläche in Millionen km2 | Potential in Mrd. Tonnen CO2 |
---|---|---|---|
5 | Wiederaufforstung tropischer Regenwälder | 1.76 | 61.2 |
9 | Mehr Wald als Weide nutzen (Hutewälder) | 0.82 | 31.2 |
11 | Regenerative Landwirtschaft (Anreicherung des Bodens mit Kohlenstoff) | 3.64 | 23.1 |
12 | Wiederaufforstung in gemässigten Breiten | 0.95 | 22.6 |
13 | Schutz von Sumpfgebieten | 2.43 | 21.6 |
14 | Mehr tropische Fruchtbäume | 0.62 | 20.2 |
15 | Anpflanzung neuer Wälder | 0.83 | 18.1 |
16 | Konservierende Landwirtschaft (Bewahrung des Kohlestoffs in Böden) | 3.33 | 17.4 |
17 | Mischkulturen mit Bäumen | 1.04 | 17.2 |
19 | Kontrolliertes Weiden | 3.64 | 16.3 |
Total der zehn besten Boden-Massnahmen | 19.06 | 248.9 | |
23 | Wiederherstellung von Landwirtschaftsland | 1.72 | 14.1 |
Noch werde die Landnutzung aber „nur am Rande“ berücksichtigt, beklagt Hawken gegenüber dem US-Nachrichtenportal Vox. [7] So ignoriere der Weltklimarat etwa die Wiederherstellung von Landwirtschaftsland – „mehr als 10 Millionen Quadratkilometer an aufgegebenem Land weltweit. Wir wissen wie man dieses Land regenerieren kann. Kostest das etwas? Ja, klar, aber es ist eine grosse Senke.“
Bei den Klimaverhandlungen läuft die Bodennutzung unter dem Akronym ‚LuluCF‘ und ist ein Nebenthema. Es ist Ländern sogar freigestellt, ob sie die Böden in ihren Klimaplänen berücksichtigen wollen. Der Grund ist einfach: Die Datenlage ist dünn und Umweltorganisationen befürchten, dass Länder ihre Emissionen mit Hilfe von LuluCF kleinrechnen. Um die Klimakatastrophe abzuwenden, reichen erneuerbare Energien aber nicht aus. Daher lohnt es sich den Blick zu weiten, nicht zuletzt auf Bildung für Mädchen und Hutewälder. mic
Nachtrag: Das Project Drawdown gibt es seit diesem Jahr auch in Europa. Getragen wird der Europa-Ableger von der Deutschen Energioeagentur (dena), der European Climate Foundation (ECF) und dem Forschungskonsortium EIT Climate-KIC. [8]
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite
[1] Eco-Business, 14.03.2018: How to change the climate story: Paul Hawken
[2] Das Buch liegt nur auf englisch vor und hat den Titel: ‚Drawdown: The Most Comprehensive Plan Ever Proposed to Reverse Global Warming‘
[3] Drawdown, Stand 16.03.2018: Educating Girls
[4] WHO, Stand 16.03.2018: Family planning/Contraception – Factsheet
[6] Drawdown, Stand 16.03.2018: Family Planning
[8] Drawdon Europe, 17.04.2018: Drawdown: Europe takes a new perspective on climate protection