Der ‚freie Handel‘ hat klare Regeln

Ohne die WTO würde im Welthandel das ‘Gesetz des Dschungels’ herrschen

“Wenn es die WTO nicht gäbe, müsste man sie erfinden“, hat WTO-Chef Roberto Azevêdo einmal gesagt. [1] Dabei hatte er vor allem das WTO-Schiedsgericht im Sinn. Dieses sorgt dafür, dass Handelsstreitigkeiten nicht zu Handelskriegen oder gar richtigen Kriegen ausarten. Die WTO tut aber noch viel mehr:

Was ist die WTO?

Die WTO ist eine internationale Organisation mit Sitz in Genf. Sie wurde 1995 gegründet als Nachfolgerin des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens Gatt. Derzeit sind 164 Länder Mitglied der WTO, die 98 Prozent des Welthandels unter sich ausmachen. [1] Die grössten Nicht-Mitglieder sind Algerien, Äthiopien, der Irak und der Iran.

Was ist die Grundidee der WTO?

Der WTO-Vertrag ist die Grundlage der multilateralen Handelsordnung und gibt die Leitplanken für den Welthandel vor: Kein Land darf einzelne Länder diskriminieren, indem es auf deren Güter höhere Zölle erhebt. Der niedrigste Zollsatz für ein bestimmtes Produkt etwa Nägel gilt folglich automatisch für alle Länder. Im WTO-Sprech ist dies die ‚Meistbegünstigungsklausel‘. Ausserdem gilt der Grundsatz der ‚Inländerbehandlung‘. Für ausländische Nägel dürfen daher keine anderen Vorschriften gelten als für Nägel aus dem Inland.

Trump Wähler? Beim WTO-Ministertreffen in Seattle im Jahr 1999 kam es zu schweren Krawallen von Globalisierungsgegnern. Heute steht die WTO von Seiten der US-Regierung unter Druck. (Foto: Steve Kaiser / Wikimedia)
Trump Wähler? Beim WTO-Ministertreffen in Seattle im Jahr 1999 kam es zu schweren Krawallen von Globalisierungsgegnern. Heute steht die WTO von Seiten der US-Regierung unter Druck. (Foto: Steve Kaiser / Wikimedia)

Was ist mit Freihandelsabkommen?

Freihandelsabkommen und Zollunionen zwischen zwei oder mehreren Ländern sind nur dann zulässig, wenn sie nahezu den gesamten Handel umfassen. Derartige Abkommen müssen bei der WTO angemeldet werden. Die ‚Meistbegünstigung‘ kann zudem zugunsten von Entwicklungsländern umgangen werden. So können viele Entwicklungsländer ‚Alles ausser Waffen‘ zollfrei in die EU exportieren.

Was tut die WTO?

Die WTO besteht aus drei Teilen: dem Verhandlungsarm, dem Schiedsgericht und der ‚Handelsaufsicht‘. Letztere analysiert regelmässig die Handelspolitik der Mitgliedsländer und gibt Empfehlungen ab. Damit hat die WTO dazu beigetragen, dass nach der Finanz- und Witschaftskrise 2008 nur wenige protektionistische Massnahmen ergriffen wurden.

Wo stehen die WTO-Verhandlungen?

Kurz nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 wurde in Doha (Katar) vereinbart, Verhandlungen aufzunehmen, um den Handel zwischen allen WTO-Mitgliedern weiter zu erleichtern. Die ‚Doha-Runde‘ hat sich aber im Jahr 2008 festgefressen. Seither gelten die Gegensätze zwischen Industrie- und Entwicklungsländern insbesondere beim Handel mit Agrarprodukten als nahezu unüberwindlich. Im Jahr 2013 ist es der WTO aber gelungen, ein kleineres Abkommen abzuschliessen. Mit diesem werden Zollformalitäten vereinheitlicht, um den Handel zu erleichtern. Damit dieses Abkommen in Kraft tritt, müssen es nur noch zwei weitere Länder ratifizieren. Unter dem Dach der WTO wurde zuletzt das Abkommen zum Handel mit Produkten der Informationstechnologie (ITA) aktualisiert. Damit können Computer etc. weitgehend zollfrei gehandelt werden. Kurz vor dem Abschluss steht ausserdem das Abkommen zu Umweltgütern (EGA). Dieses soll den zollfreien Handel mit Solarpaneelen und Windrädern ermöglichen.

Wie funktioniert die Streitbeilegung?

Fühlt sich ein Land diskriminiert, kann es vor der WTO klagen. Wenn der Kläger Recht bekommt, muss das angeklagte Land seine diskriminierende Regeln ändern. Dies geschieht in fast allen Fällen freiwillig. Falls nicht, erlaubt die WTO die Verhängung von Handelssanktionen wie Strafzöllen. Damit verfügt die WTO als einzige internationale Organisation über einen internen Mechanismus zur Streitbeilegung. Davon profitieren insbesondere kleine Länder, die ohne einen solchen Mechanismus kaum ihre Interessen vor grossen Staaten schützen könnten. Seit 1995 wurden über 500 Streitfälle vor das WTO-‚Gericht‘ gebracht und 350 Fälle entschieden.

Was ist der Unterschied zu Schiedsgerichten wie in TTIP?

Viele Freihandelsabkommen sehen Schiedsgerichte zum Schutz von Investoren vor. Dort können also Unternehmen gegen Staaten klagen. Beim WTO-Schiedsgericht klagen aber nur Länder gegen Länder. Ausserdem kann das WTO-Gericht keine Geldstrafen verhängen.

Darf ein Land seine Zölle erhöhen?

Ja und Nein. Wenn ein Land der WTO beitreten will, meldet es an, welche Zölle es erheben will. Anschliessend verhandelt es mit allen anderen WTO-Mitgliedern so lange bis diese dem Beitritt zustimmen. Dann hinterlegt das Beitrittsland seine Zollsätze bei der WTO. Diese ‚gebundenen‘ Sätze darf es anschliessend nicht überschreiten. Meist liegen diese Maximalsätze aber deutlich über den tatsächlich erhobenen Zollsätzen. Ist dies der Fall kann ein Land also seine Zölle bis zum Maximalsatz erhöhen.

Was ist mit Dumping?

Wenn ein Unternehmen oder ein Land Produkte im Ausland zu einem Preis verkauft, der unter den Herstellkosten liegt, ist das ‚Dumping‘. Importländer können sich dagegen wehren, indem sie einen Anti-Dumping-Zoll erheben. Aktuell werden in vielen Ländern solche Zölle auf chinesische Stahlprodukte erhoben. Wegen des Rückgangs der Bautätigkeit herrscht in China eine Stahlschwemme, weswegen Stahl zu ‚Schleuderpreisen‘ exportiert wird. Das Exportland kann aber gegen die Anti-Dumping-Zölle vor der WTO klagen, was China im Fall von Stahl auch tut. Da die WTO Streitbeilegungsverfahren Jahre dauern, können aber auch ungerechtfertigte Anti-Dumping-Zölle lange bestehen.

Kann US-Präsident Donald Trump einen Zollsatz von 35 Prozent auf Autos aus Mexiko erheben?

Um einen Zoll auf Autos aus Mexiko zu erheben, müssen die USA erst aus der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta aussteigen. Dann gelten für den Mexiko-USA Handel wieder die WTO-Regeln. Eine Nutzung der Anti-Dumping-Klausel scheidet aber aus, da keiner der internationalen Autokonzerne seine Autos unter den Herstellkosten verkauft. Bleiben also die normalen Zölle: Im Moment erheben die USA für ‚Transportmittel‘ einen durchschnittlichen Zollsatz von 3,1 Prozent. [2 s. S. 175] Der maximal zulässige, ‚gebundene‘ Zollsatz liegt aber bei 25 Prozent. [2 s. S. 175] Bis zu diesem Satz, kann Trump den Zoll folglich erhöhen, vorausgesetzt er tut dies für alle Länder und nicht nur für Mexiko. Um 35 Prozent erheben zu können, müsste er den ‚gebundenen‘ Zollsatz erhöhen. Dies kann er nur mit der Zustimmung aller anderen Länder tun. Die Verhandlungen darüber würden sich erfahrungsgemäss jahrelang hinziehen und zuletzt wohl scheitern. Kurz: Um einen Zollsatz von 35 Prozent auf Autos aus Mexiko zu erheben, müssten die USA auch aus der WTO austreten. Das ist mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten möglich.

Was passiert mit Grossbritannien nach dem Brexit?

Die EU hat für alle ihre Mitglieder die ‚gebundenen‘ Zollsätze bei der WTO hinterlegt. Sollte England aus der EU austreten, ist unklar ob es die ‚gebundenen‘ Zollsätze der EU übernehmen kann. Es würde reichen, dass ein einziges Land Widerspruch einlegt. Dies könnte etwa Argentinien tun, um britische Zugeständnisse im Falklandkonflikt zu erzwingen. Ausserdem hat die EU mit einzelnen Ländern Importquoten ausgehandelt. So darf Neuseeland 230‘000 Tonnen Schaffleisch zollfrei in die EU exportieren. [3] Wie diese Quote aufgeteilt wird, müsste daher zwischen England, der EU und Neuseeland neu ausgehandelt werden. Unklar ist auch ob England die EU-Subventionen für die Landwirtschaft auf eigene Rechnung aber in gleicher Höhe weiterführen kann. Auch hier ist mit dem Widerspruch von anderen WTO-Mitgliedern zu rechnen. mic

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[1] WTO, 18.09.2015: Azevêdo: “If the WTO did not exist, it would have to be invented”

[2] WTO, 2016: World Tariff Profiles 2016 (PDF)

[3] Institute for Government, Stand 01.02.2017: Brexit Brief: 10 things to know about the World Trade Organization (WTO)