Pharmafirmen investieren zu wenig in Antibiotikaforschung, obwohl herkömmliche Mittel Wirkung verlieren
Antibiotika verlieren ihre Wirkung, weil immer mehr Bakterien gegen immer mehr Antibiotika resistent werden. Doch Pharmafirmen haben kaum einen Anreiz neue Wirkstoffe zu entwickeln, deren Einsatz minimiert wird. Eine Milliardenprämie könnte heir Abhilfe schaffen.
Viele Krankheiten haben ihren Schrecken verloren wie die Pest. Grund dafür sind Antibiotika. Doch das muss nicht so bleiben, denn Bakterien entwickeln sich fort und werden gegen immer mehr Antibiotika resistent. Gleichzeitig werden immer weniger neue Antibiotika entwickelt, da sich dies für die Pharmakonzerne nicht lohnt. Derzeit ist das Problem noch überschaubar: Weltweit sterben 700‘000 Menschen an Infektion, die durch multi-resistente Mikoorganismen hervorgerufen wurden. Doch immer mehr Bakterien werden gegen immer mehr verschiedene Antibiotika resistent. Eine Studie der englischen Regierung schätzt, dass im Jahr 2050 weltweit 10 Millionen Menschen an solchen Infektionen sterben werden. [1] Wenn Antibiotika ihre Wirkung verlieren, werden zudem viele gängige medizinische Eingriffe zu einem unkalkulierbaren Risiko: Kaiserschnitte, der Ersatz von Hüftköpfen oder die Chemotherapie bei Krebserkrankungen könnten zu gefährlich werden.
Doch so weit muss es nicht kommen sagt der Autor der Studie, Lord Jim O’Neill, der in seiner Zeit als Chef der US-Investmentbank Goldmann Sachs das Länderkürzel BRIC erfunden hat (Brasilien, Russland, Indien und China). Wie es sich für einen Ökonomen gehört, ordnet er die erfoderlichen Massnahmen nach Angebot und Nachfrage: Die Nachfrage nach Antibiotika muss minimiert und das Angebot an neuen Antibiotika maximiert werden, um dem Problem der multi-resistenten Bakterien Herr zu werden. Zuerst zur Nachfrage: Das naheliegendste ist hier Infektionserkrankungen zu vermeiden durch bessere Hygiene, namentlich Händewaschen, und Impfkampagnen. Weiter fordert er eine bessere Diagnostik, damit nicht Antibiotika gegen Erkrankungen etwa der Atemwege eingesetzt werden, die durch Viren hervorgerufen wurden. Die wichtigste Massnahme ist aber eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Landwirtschaft. Gibt man gesunden Tieren Antibiotika, wachsen diese schneller. In der EU ist dies seit 2006 verboten, in den USA aber erlaubt. 70 Prozent (nach Gewicht) der in den USA verbrauchten Antibiotika landen denn auch in der Tierzucht. Dies hat zwei Folgen: In den Tieren entwickeln sich immer mehr multi-resistente Keime und in der Gülle sind immer mehr Antibiotika. Wird die Gülle auf Felder ausgebracht, entwickeln sich auch im Boden multi-resistente Bakterien. Hinzu kommt, dass in der Tierzucht einige Mittel legal sind, die für Menschen als letztes Mittel gegen multi-resistente Keime gelten. Dazu gehört etwa Colistin, das bei Menschen nur im Notfall eingesetzt wird, weil es die Nieren schädigt.
Nun zum Angebot an neuen Antibiotika: Damit ein Pharmakonzern mit einem neuen Medikament Geld verdienen kann, muss er viel davon verkaufen. Bei Antibiotika ist aber das Ziel, deren Einsatz zu minimieren. Im Extremfall würde man sogar auf den Einsatz eines neuen Mittels komplett verzichten, um ein Notfallmittel zur Hand zu haben, wenn alle herkömmlichen Wirkstoffe ihre Wirkung verloren haben. O’Neill schlägt daher eine Prämie für die Entwicklung neuer Antibiotika vor. Entwickelt eine Pharmafirma ein Mittel etwa gegen multi-resistente Tuberkulose oder Gonorrhoe (auch Tripper, eine Geschlechtskrankheit) bekommt sie rund eine Milliarde Dollar, unabhängig davon ob das Mittel eingesetzt wird. Die Pharmaindustrie begrüsst diesen Vorschlag. [2] Im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos haben 85 Pharmafirmen und Branchenverbände ihre Unterstützung für eine „Abschlagszahlung“ kund getan. Aus Sicht von O’Neill liegt der Vorteil darin, dass das Forschungsrisiko bei den Firmen verbleibt und diese nur im Erfolgsfall Geld bekommen. Insgesamt schätzt O’Neill die Kosten der vorgeschlagenen Massnahmen auf drei bis vier Milliarden Dollar pro Jahr. Dies entspricht etwa 0,05 Prozent der Gesundheitsausgaben der G20 Länder. Betrachtet man diese Summe als Versicherungsprämie gegen eine Pestepidemie, ist das gut investiertes Geld. mic
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[1] Jim O-Neill et al., Mai 2016: Tackling drug-resistant infections globally (PDF)