“Um TTIP zu retten muss man den Investorenschutz rauswerfen”

Der Widerstand gegen TTIP nimmt zu. Daher sollte die EU ein ‘TTIP Light’ Abkommen anstreben, fordert Prof. Sebastian Dullien

Prof. Sebastian Dullien
Prof. Sebastian Dullien

Sebastian Dullien, 39, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, Berlin. Dullien ist ausserdem Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations, einem paneuropäischen Think Tank. Dort hat er soeben eine neue Studie veröffentlicht ‚A Fresh Start for TTIP‘, in der er und seine beiden Co-Autoren einen Neustart für die Verhandlungen über TTIP fordern. [1]

 

 

Sie fordern einen Neustart bei den TTIP Verhandlungen. Warum ist das nötig?

Die EU Kommission ist damit gescheitert, TTIP der Bevölkerung zu verkaufen. In Deutschland und Europa wächst der Widerstand gegen TTIP. Insbesondere die Idee, den Investorenschutz und die Schiedsgerichte über TTIP einzuführen, ist schwierig. Das hat die Öffentlichkeit gemerkt. Den Leuten das wieder auszureden, ist mit einer PR Kampagne kaum noch möglich. Um TTIP zu retten muss man den Investorenschutz rauswerfen. Dazu braucht man einen Neustart.

Warum ist der Investorenschutz so problematisch?

Die Liste der Kritik ist lang. Die Schiedsgerichte sind intransparent. Es gibt keine Rechtsgrundlage, was Staaten machen dürfen und was nicht. Oft zweifelt man an der Unabhängigkeit der Schiedsgerichte, weil da Anwälte drin sitzen, die bereits die Firmen vertreten haben, um die es gerade geht. Ausserdem werden einheimische Unternehmen benachteiligt: Wenn eine einheimische und ein ausländische Firma unter die gleiche Regulierung fallen, dann muss die einheimische Firma den inländischen Gerichtsweg gehen, während die ausländische Firma über Schiedsgerichte gehen kann. Das addiert sich so. Dabei haben die Schiedsgerichte keinen nachweisbaren Nutzen: Die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz Unctad hat gezeigt, dass es keine nachweisbaren positiven Effekte auf die ausländischen Direktinvestitionen gibt.

Warum sind ausgerechnet die Deutschen gegen TTIP? Profitiert nicht gerade der ‚Exportweltmeister‘ von einem Freihandelsabkommen?

Deutschland würde mit am meisten von TTIP profitieren. Wenn es ein reines Freihandelsabkommen über Zölle gewesen wäre, dann hätte in Deutschland auch kein Hahn danach gekräht. Die Deutschen sind wegen der Schiedsgerichte kritisch. Das hat zwei Hintergründe. Beim NSA Skandal haben die Deutschen gesehen, dass deutsche und amerikanische Interessen nicht immer deckungsgleich sind. Ausserdem reagieren die Deutschen sensibel, wenn man die Autonomie der Kommunen, der Länder oder auch des Bundes angreifen möchte. Die Schiedsgerichte schüren diese Ängste insbesondere, da in den letzten Jahren zwei grosse Fälle gelaufen sind. Einmal mit dem Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg, wo die neue Landesregierung die Standards erhöht hat und Vattenfall dann auf Schadensersatz geklagt hat. Der zweite Fall ist der Atomausstieg, wo ebenfalls Vattenfall vor einem Schiedsgericht mehrere Milliarden an Kompensationen fordert. Das sind Fälle, wo der Durchschnittsdeutsche sagt: Das darf die Politik machen und es kann nicht sein, dass Unternehmen in solchen Fällen klagen und damit die Politik blockieren können.

Warum sind die Schiedsgerichte für die USA so wichtig?

Zum einen haben die Amerikaner eine ganze Reihe von Grosskonzernen, die international tätig sind. Die haben ein Interesse im Ausland ihre Interessen durchzusetzen. Zum anderen geht es den USA auch darum, einen Präzedenzfall im Hinblick auf China zu schaffen. China hat sich immer geweigert, von den USA geforderte Kompetenzen für Schiedsgerichte zu akzeptieren, und die USA hoffen, ihre Verhandlungsmacht zu erhöhen.

Sie fordern aber nicht nur die Schiedsgerichte aus TTIP rauszunehmen, sondern schlagen eine noch weitergehende ‚Verschlankung‘ von TTIP vor.

Wir wollen die Dinge drin haben, die man schnell regeln kann. Das sind die Zölle und einige Standards etwa im Autosektor. Da sieht einfach der Blinker anders aus, oder da muss der Crashtest zweimal gemacht werden. Das kann man schnell abhaken. Aber Bereiche, wo es vollständig andere Regulierungsphilosophien gibt wie bei Chemikalien, sollte man vorerst weglassen.

In Europa gilt im Chemiebereich das Vorsichtsprinzip. Wenn nicht nachgewiesen ist, dass etwas unschädlich ist, dann darf man das nicht auf den Markt bringen. Die Amerikaner sind da weniger strikt. Das liegt aber auch am amerikanschen Haftungsrecht. Wenn eine amerikanische Firma ein schädliches Produkt auf den Markt bringt, dann muss sie richtig viel zahlen. Das zeigt, dass man nicht Regulierungen von einem Land ins andere übernehmen kann, ohne sich die anderen gesetzlichen Regelungen anzugucken.

Sie möchten, dass TTIP ein ‚lebendes Abkommen‘ wird. Was ist das?

Bei einem ‚Lebenden Abkommen‘ werden Verfahren definiert, wie Standards in der Zukunft harmonisiert werden können. Diese Verfahren müssten natürlich einer demokratischen Kontrolle unterliegen. Aber mit diesen Verfahren könnte man dann auch eine Harmonisierung in den anderen Bereichen vorantreiben. Das würde erlauben, dass man TTIP schnell abschliesst, möglichst vor den Präsdentschaftswahlen in den USA.

Lohnt sich TTIP überhaupt noch, wenn man viele Bereiche wieder rausnimmt?

TTIP bringt nicht so viel wie man ursprünglich gedacht hat. Mit unserem Vorschlag steigt das BIP vielleicht um 0,1 bis 0,3 Prozent. Das ist wirklich nicht viel. Andererseits, wenn es nur um den Abbau von Zöllen geht, dann tut das nicht weh. Es gibt einige Branchen, die davon profitieren, nicht zuletzt in den Krisenländern. So sind italienische Lederschuhe mit relativ hohen Zöllen behaftet. Wenn man diese Zölle abbaut, kommt das direkt den italienischen Schuhproduzenten zu gute. Oder die Textilproduktion in Portugal. Da gibt es Zölle, die auch relativ hoch sind. Da man mit TTIP schon mal angefangen hat, kann man diese Vorteile auch mitnehmen.

Es heisst immer TTIP hätte vor allem auch strategische Bedeutung. Es sei das Gegenstück zur Nato.

TTIP hat ein ganz wichtige strategische Bedeutung. Wenn man ehrlich ist, dann ist das der wichtigere Grund, warum man mit TTIP überhaupt angefangen hat. Derzeit verhandeln die USA mit einigen Ländern rund um den Pazifik ein weiteres Freihandelsabkommen (siehe unten). Wenn es den USA gelingt dieses Abkommen abzuschliessen, während TTIP scheitert, besteht die Gefahr, dass Europa abgehängt wird. Um das zu vermeiden reicht aber auch ein eher enges TTIP.

Ist es möglich TTIP noch vor den US Präsidentschaftswahlen im November 2016 abzuschliessen?

In Brüssel wird mit Hochdruck verhandelt und EU Komission hofft, noch vor den Wahlen zu einem Abschluss zu kommen. Nur wenn die Schiedsgerichte drin bleiben, dann besteht das Problem, dass es ein ‚gemischtes Abkommen‘ ist, und alle 28 Parlamente der EU Länder zustimmen müssen. Das könnte Verzögerungen geben oder das Vorhaben ganz scheitern lassen. Wenn man ein einfacheres Abkommen hat, sehe ich keinen Grund, warum man das nicht noch dieses Jahr ratifizieren könnte.

 

Die Konkurrenz zu TTIP

Zwölf Länder rund um den Pazifik verhandeln seit mehreren Jahren über die Transpazifische Partnerschaft TPP. Gemäss Michael Froman, dem US-Handelsbeauftragten, steht ein Abschluss in „einer kleinen Zahl von Monaten“ bevor. [2] Damit entstünde eine Freihandelszone, die 40 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung abdeckt und die USA, Japan, Kanada, Mexiko, Australien, Neuseeland, Chile, Peru, Brunei, Malaysia, Singapur und Vietnam umfasst. Die schwierigsten verbleibenden Fragen müssen von den USA und Japan bilateral geklärt werden: der Handel mit Autos und Agrarprodukten. Mit der Wiederwahl des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe im Dezember 2014, hat dieser in den Augen vieler Beobachter das Mandat der Wähler, der japanischen Bauernlobby Zugeständnisse abzutrotzen. Gleichzeitig arbeitet das von Republikanern dominierte US-Parlament an einem Gesetz, das Handelsabkommen erleichtert. Erhält US-Präsident Barack Obama die sogenannte ‚Autorität zur Förderung des Handels‘ (TPA), kann das US-Parlament ein Handelsabkommen nur noch annehmen oder verwerfen und nicht wie andere Gesetze abändern. Aus Sicht von Froman ist das Jahr 2015, denn auch ein „kritisches Jahr für den Handel“ – mit oder ohne TTIP. [2] mic

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[1] ECFR, Februar 2015: AFresh Start for TTIP

[2] Bridges, 05.02.2015: TPP Talks See Progress in New York as Officials Suggest Deal Within Months