Da die Entwicklungsländer in Zukunft ebenfalls zu Emissionsziele verpflichtet werden, wollen sie ihre Prioritäten mitberücksichtigt wissen
Die Industriestaaten haben sich die Klimakonferenz in der peruanischen Hauptstadt Lima einfach vorgestellt: Man entscheidet, wie Emissionsziele festgelegt werden und geht nach Hause. Aber die Entwicklungsländer, die schließlich Teil des nächsten Klimaabkommens sein sollen, wollen mehr als das.
Der Chefunterhändler der USA hat guten Grund, genervt zu sein. Doch Todd Stern versucht die Fassung zu wahren. „Man sollte die Dinge nicht zu kompliziert machen“, sagt er auf der UN-Klimakonferenz in Lima. „Die Hauptsache ist doch, der Job wird erledigt.“
Eigentlich lief die Klimakonferenz in Lima für die Führungsnation unter den Industrieländern gut an, die USA hatten zusammen mit China ein spektakulären Coup gelandet und es sah so aus, als sei die Welt auf gutem Weg, im nächsten Jahr in Paris ein Klimaabkommen für alle zu schmieden. Aus Sicht von Stern geht es darum, die Treibhausgas-Emissionen zu senken. So war es schon beim Kyoto-Protokoll, dem sich die Industriestaaten verpflichtet haben: Es ging nur um die Emissionen.
Und die sollen, wenn es nach den USA geht, auch weiterhin im Mittelpunkt stehen. Geplant ist, dass die Länder bis Ende März nächsten Jahres ihre Klimaziele melden. Klimaziele, das sind für die Industriestaaten Emissionsziele. Doch den Entwicklungsländern geht das nicht weit genug: Sie verlangen, dass die Länder auch Maßnahmen zur Anpassung melden. Außerdem sollen die Industriestaaten erklären, mit wie viel Geld sie in Zukunft die Entwicklungsländer beim Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Wenn alle Länder, auch die ärmsten, einen Klimavertrag mit tragen sollen, dann müssen auch ihre Belange ernst genommen werden.
„Wenn wir über den Klimawandel reden, sprechen wir nicht über etwas, das in der Zukunft liegt“, sagt der Nepalese Radju Pandit Chhetri, der den Vorsitz der am wenigsten entwickelten Länder auf der Klimakonferenz berät. „Wir sprechen über etwas, das gerade passiert. Wir müssen uns jetzt anpassen.“ Durch das Abschmelzen der Gletscher entstünden in Nepal Seen, die schon mehrfach ausgebrochen sind und Schlammlawinen ausgelöst haben, unter denen Dörfer begraben wurden. Auch habe sich der Monsun verschoben, berichtet Chhetri. „Der Regen kommt nicht dann, wenn er kommen soll. Wir haben entweder sehr lange Dürren oder heftigen Regen.“ Die Folge: Die Ernten der Bauern werden zerstört. Das Tiefland wiederum leidet unter extreme Fluten.
Vom Westen erhofft sich Chhetri Hilfe – um dann die Probleme alleine lösen zu können. „Ein Abkommen, das primär auf Emissionsreduktionen abzielt, ist für uns nicht akzeptabel“, sagt der indische Umweltminister Prakash Javardekar. „Wir wollen die rechtliche Gleichstellung von Emissions- und Anpassungszielen.“
Wenn aber die März-Ziele nur die Emissionen beinhalten, dann befürchten die Entwicklungsländer, dass die Anpassung an den Klimawandel und die Finanzierung in Paris unter den Tisch fallen. Umgekehrt fürchten die Industriestaaten, dass die Formulierung der Klimaziele zu kompliziert wird, wenn man die Anpassung an den Klimawandel mitberücksichtigt. „Dann können viele Entwicklungsländer die Frist bis Ende März nicht einhalten“, sagt ein europäischer Diplomat. Die Industriestaaten sorgt aber noch etwas anders: Sie wollen keine Finanzzusagen für Jahre im Voraus machen. „Das lässt sich mit dem Budgetrecht der Parlamente nicht vereinbaren“, sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Ausserdem sehen die Industriestaaten nicht ein, warum nur sie Klimageld zur Verfügung stellen sollen. „Die scharfe Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bildet die heutige Welt nicht mehr ab“ sagt Hendricks Staatssekretär Jochen Flassbarth. Denn diese Unterscheidung spiegele die Welt des Jahres 1992 wieder, als die UN-Klimakonvention verabschiedet wurde.
Den Streit könnten die Verhandler, zu denen auch US-Außenminister Kerry am Donnerstag stößt, folgendermaßen lösen: „Anpassung und Finanzierung werden natürlich Teil des Abkommens von Paris sein“, sagt ein europäischer Delegierter. Falls sich die Entwicklungsländer nicht auf die Argumentation einlassen, bestehen mehrere Möglichkeiten: Es gibt überhaupt keine Einigung. Dann melden die Länder im März 2015 einfach, was sie wollen. „Das wäre das ‚worst case Szenario‘“ sagt Wendel Trio von CAN, einem Netzwerk von Umweltorganisationen.
Ein Kompromiss könnte darin bestehen, dass die Länder ihre Anpassungsziele bis März 2016 statt 2015 melden. Dadurch würde die Gefahr gebannt, dass die Länder wegen der Anpassungsziele die März-2015-Frist verpassen. „Wir haben diesen Vorschlag noch nicht eingebracht, aber für uns wäre das eine Option“, sagt ein europäischer Delegierter. Ideal wäre aber eine Überwindung der scharfen Trennung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. „Für uns ist der Sinn einer Unterscheidung: Jeder muss das tun, was er kann“, sagt Flassbarth.
Wenn die Verhandlungen stocken und sich die Länder nur wenig bewegen, dann frustriert das Radju Pandit Chhetri. „Die Länder versuchen, sich von ihren Verpflichtungen zu stehlen.“ Dennoch hat er seine Hoffnung in die Klimagipfel nicht aufgegeben: „Wenn wir das Problem nicht hier in Lima lösen, wo sollen wir es lösen?“, sagt er. mic mit Banjamin von Brackel
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