Verhandlungstext hat sich in Länge knapp verfünffacht
Statt mehr Klarheit im Verhandlungstext wächst die Unklarheit. Konferenzbeobachter prophezeihen eine ‘Nacht der Tränen’, ein kalkuliertes ‘an-die-Wand-fahren’, damit die Klimakonferenz auf anderen Verhandlungswegen doch noch zum Ergebnis kommt.
Der Verhandlungstext geht auf wie ein Hefekuchen. Zu Beginn der Klimaverhandlungen in der peruanischen Hauptstadt Lima hatte der Text 12 Seiten. Am Montag der zweiten Woche war er auf 18 Seiten angewachsen. Immer mehr Länder wollten Sonderwünsche eingeflochten haben. Nun ist der Text auf 52 Seiten angeschwollen. „Die Länder versehen jeden Paragrafen mit Ausnahmen, von denen sie zu profitieren hoffen“, sagt Liz Gallagher vom Umwelt Think Tank E3G. „Mittlerweile haben wir bis zu zehn verschiedene Optionen pro Paragraf“, sagt auch Wendel Trio von CAN, einem Netzwerk von Umweltorganisationen. Da wundert es nicht, dass Jochen Flassbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium meint: „Die Verhandlungen sind sehr langsam.“ Dabei hat man von den ursprünglich zwei Texten, den einen bereits weggelegt, um erst nächstes Jahr weiter darüber zu diskutieren. Doch der andere muss in Lima verabschiedet werden. Um das Procedere zu beschleunigen wird der Text in zwei Gruppen diskutiert: Die erste ist für die Pragrafen 1 bis 22 und die zweite für den Rest verantwortlich. Aber es hilft alles nichts. „Die Methode, Satz für Satz im Plenum mit allen Ländern zu verhandeln, funktioniert nicht“ sagt Trio.
Der einzige der die Verhandlungsmethode ändern kann ist der Präsident der der UN-Klimakonferenz, der peruanische Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal. Doch das ist ein Risiko: Die Satz-für-Satz Methode haben die Entwicklungsländer Ende der ersten Woche gegen Opposition der Industriestaaten durchgesetzt und dies als prozeduralen Sieg verkauft. Trio glaubt daher, dass Pulgar-Vidal auf das „klassische Kollaps Szenario“ setzen wird. Bei allen Klimakonferenzen kommt irgendwann der Punkt, wo sich die Länder komplett festgefressen haben und ein Scheitern der Konferenz droht. Trio glaubt dass, Pulgar-Vidal den Kollaps nun provozieren wird: „Heute wird bis spät in die Nacht oder sogar die ganze Nacht verhandelt“, erwartet Trio. „Und morgen stellt man dann fest, dass es so nicht weitergehen kann.“
Dies gibt Pulgar-Vidal die Möglichkeit, die Verhandlungsmethode zu ändern. Hier stehen zwei Alternativen zur Satz-für-Satz Methode zur Verfügung: Zum einen könnte Pulgar-Vidal eine Gruppe der ‚Freunde des Präsidemten‘ damit beauftragen, einen Kompromisstext auszuarbeiten. Das Problem mit diesem Ansatz sei aber, dass dann alle Länder ‚Freunde des Präsidenten‘ sein wollen, sagt Trio. Die andere Alternative hat sich bereits bei den Klimaverhandlungen vor vier Jahren in Cancun, Mexiko, bewährt. Dort haben immer zwei Minister, einer aus einem Entwicklungsland und einer aus einem Industriestaat, einen thematischen Auftrag bekommen, etwa den Waldschutz oder die Finanzierung.
Dieser Ansatz könnte auch in Lima funktionieren. „Bei einem Treffen der Cartagena Gruppe war ich erstaunt wie nah die Positionen bei einander liegen“ sagt Flassbarth. Die Cartagena Gruppe ist eine informelle Gruppierung, der sowohl Industrie- als auch Entwicklungsländer angehören. Zudem sehen einige Entwicklungsländer, dass sie ihre Forderungen nicht immer weiter nach oben schrauben können: „Wir erwarten möglicherweise zuviel von den Industriestaaten, weil heute alle Länder mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben“ sagt der Umweltminister von Bangladesch Anwar Hossai Manju. „Es geht nicht darum etwas Bestimmtes von einem Land oder einer Organisation zu erwarten. Unser Ansatz ist: Lasst uns die Hand in die eigene Tasche stecken und schauen, was wir machen können. Kein Land kann alles machen.“ Derart pragmatische Worte sind bei Klimaverhandlungen selten. Donnerstag wird zeigen, ob nach einer ‚Nacht der Tränen‘ Leute wie Maju die Oberhand gewinnen und die Zahl der Textseiten wieder abnimmt. mic
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