Eine EU-US Freihandelszone macht nicht nur wirtschaftlich Sinn
Ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU galt lange als unmöglich. Doch nun ist die wirtschaftliche Not so gross, dass Politiker beidseits des Atlantiks Verhandlungen aufnehmen wollen. Dabei ist der geopolitische Nutzen womöglich grösser als der wirtschaftliche. Ein North Atlantic Free Trade Area, kurz Nafta, könnte die Rolle der Nato übernehmen und den Westzen zusammenhalten.
Die EU Diplomatie hat am Dienstag einen grossen Erfolg gefeiert: US-Präsident Barack Obama hat in seiner Rede zur Lage der Nation Verhandlungen über ein EU-US Freihandelsabkommen angekündigt. Offensichtlich ist es den Europäern gelungen, ihre US Partner davon zu überzeugen, dass ein derartiges Abkommen tatsächlich möglich ist. Denn bei einem Handelsabkommen zwischen den beiden grössten Wirtschaftsblöcken der Welt geht es nicht primär um Zollsenkungen. Zölle für Industriegüter betragen meist nur wenige Prozente und können daher relativ leicht abgeschafft werden. Das wäre eine Fortschritt, insbesondere da dann auch Zollformalitäten wegfallen, aber noch keine Revolution. Das grösste Potential bei einem EU-US Abkommen liegt woanders: in der Vereinheitlichung von Vorschriften etwa für Lebensmittel, Medikamente oder Autos. Warum soll ein Auto, dass in Deutschland zugelassen ist nicht auch in den USA verkauft werden dürfen? Warum soll Fleisch oder ein Medikament, das in den USA alle Anforderungen erfüllt, nicht auch in Deutschland erhältlich sein?
Der Abschaffung der Hemmnisse im Handel mit Autos, Lebensmitteln und Medikamenten stehen nicht nur mächtige Interessengruppen sondern zum Teil auch gegensätzliche Rechtstraditionen entgegen. So gilt in der EU bei Lebensmitteln das Vorsichtprinzip. Hierzulande reicht es nicht, dass es bislang keine wissenschaftliche Beweise für die Schädlichkeit von gentechnisch veränderten Lebensmitteln gibt. Vielleicht gibt es ja eine Langzeitwirkung und überhaupt: Europäer wollen einfach keinen „Frankenfood“, Wissenschaft hin oder her. Umgekehrt gruseln sich die Amerikaner vor Käse aus Rohmilch: Da sind ja Bakterien drin! Hinzu kommt auf beiden Seiten des Atlantiks ein gerüttelt Mass an Überheblichkeit. So traut man dem anderen nicht zu, dass er neue Medikamente richtig testen kann. Um das Potential eines EU-US Freihandelsabkommen auch nur ansatzweise zu realisieren muss man sich also nicht nur mit grossen Lobbygruppen anlegen, sondern auch Flexibilität in vielen anderen Bereichen zeigen. Und genau deswegen war die US-Regierung bislang skeptisch. Dabei ist die EU bereits in Vorlage gegangen: Ab übernächster Woche darf Rindfleisch mit Milchsäure abgewaschen werden.
Diesen Schwierigkeiten bei der Aushandlung eines Freihandelsabkommens steht dessen Nutzen entgegen, die „unbegrenzten Möglichkeiten“ von denen US-Vizepräsident Joe Biden bei der Münchner Sicherheitskonferenz in der vergangenen Woche geschwärmt hat. Dieser Nutzen ist dreifach: wirtschaftlich, in Bezug auf internationale Standards und geopolitisch.
- Wirtschaft: Sowohl die USA als auch Europa stecken in einer Wirtschafts- und Finanzkrise und brauchen Wachstum. Gleichzeitig sind die beiden Wirtschaftsblöcke bereits heute eng miteinander verknüpft. Täglich werden Güter und Dienstleistungen im Wert von 2,7 Milliarden Dollar über den Atlantik gehandelt. Durch ein Freihandelsabkommen könnte der Handel um ein Fünftel gesteigert werden und gemäss einer Schätzung der EU Kommission bis zu zwei Millionen Arbeitsplätze in Europa schaffen. Aus diesem Grund sollen die Verhandlungen auch schnell abgeschlossen werden. Brüssel und Washington hoffen in zwei Jahren einen unterschriftsreifen Vertrag zu haben.
- Standards: Nach Obamas Rede freute sich der EU Botschafter in Washington, Joao Vale de Almeida: „Wir sind sehr glücklich. Gemeinsam haben wir viel mehr Einfluss.“ Die EU und die USA machen zusammen rund die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung aus. Wenn sich diese beiden Blöcke auf gemeinsame Normen und Standards einigen, kommt daran kein anderes Land vorbei. Selbst wenn China die USA beim Bruttoinlandsprodukt überholt, würde der Westen noch die Standards setzen.
- Geopolitik: Während des kalten Krieges fand die europäisch-amerikanische Allianz ihren Ausdruck in der Nato. Die Gefahr war militärischer Natur und das zentrale Bündnis ein Verteidigungspakt. Heute befindet sich die Nato in einer Sinnkrise und die USA konzentriert sich immer mehr auf die Sicherheit im Pazifik. Damit besteht die Gefahr, dass sich Amerika und Europa entfremden, die mächtigste Allianz der Welt verkümmert. Ein gemeinsames Freihandelsabkommen, ein Trans-Atlantic Free Trade Area, kurz Tafta, kann hier eine neue Grundlage für die transatlantische Zusammenarbeit liefern.
Ein EU-US Freihandlesabkommen wäre somit ein deutliches Zeichen, dass mit dem Westen noch zu rechnen ist und die Niedergangsapologeten Unrecht haben, sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch. Insofern lohnt es sich auch, bei der einen oder anderen EU Verordnung Flexibilität zu zeigen und sicherzustellen, dass Europas Platz in der Welt nicht von der Agrarlobby entschieden wird. mic
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