Breiter Konsens aller Parteien für den Atomausstieg
Kaum ein Konflikt in Deutschland wurde so verbittert ausgetragen wie der Streit um die Kernenergie. Doch nun kann der Ausstieg allen Parteien nicht schnell genug gehen. Dieser Konsens kann eine enorme gesellschaftliche Dynamik auslösen. Und das ist auch nötig.
Am Mittwoch war es schliesslich soweit: FDP Generalsekretär Christian Lindner fordert, dass die derzeit per Moratorium abgeschalteten Kernkraftwerke nie wieder hochgefahren werden. Die FDP will also noch nicht mal die in Kabinett verabredete Sicherheitsüberprüfung der Meiler und die Neubewertung des Restrisikos durch eine Ethikkommission abwarten. Damit versucht die FDP ihren Koalitionspartner CDU beim Atomausstieg links zu überholen. Plötzlich kann allen der Atomausstieg nicht mehr schnell genug gehen. Damit ist der deutsche Atomkonflikt Geschichte. Die Gegner der Kernenergie haben sich schliesslich durchgesetzt und die (ehemaligen) Befürworter haben bedingungslos kapituliert. Der grösste gesellschaftliche Konflikt der vergangenen 40 Jahre ist vorbei. Es herrscht wieder Eintracht im Land: In Zukunft soll erneuerbare Energien dafür sorgen, dass in Deutschland nicht das Licht ausgeht.
Die Überwindung dieses Konflikts und die Erreichung eines Konsenses über die zukünftige Energieversorgung kann enorme gesellschaftliche Kräfte freisetzen. Wo sich noch vorgestern zwei Lager unversöhnlich gegenüber standen, ziehen plötzlich alle am gleichen Strang. Noch nicht mal hinsichtlich der Vereinigung der beiden Deutschland nach dem Fall der Mauer, war der Konsens ähnlich breit. Damals hat der damalige SPD Vorsitzende Oskar Lafontaine versucht den Vereinigungsprozess zu verlangsamen und womöglich gar zu hintertreiben. Doch ein breiter Konsens ist auch dringend erforderlich, wenn der Umbau der deutschen Energieversorgung gelingen soll. Denn diesmal stimmen nicht nur Parlamente über die entsprechenden Gesetze ab, sondern die Bürger müssen auch selber mitmachen: In einem Land, wo schon der Bau eines Verkehrskreisels jahrelange Auseinandersetzungen provozieren kann, bricht ein neues Zeitalter der grossen Infrastrukturprojekte an: Gigantische Off-Shore Windparks, mächtige Leitungsmasten, tausende Windräder im noch wenig „verspargelten“ Süddeutschland, Stauseen, ICE und andere Bahnstrecken, Gaspipelines, Biogasanlagen und vieles anderes mehr werden das Landschaftsbild massgeblich verändern und manchen seinen Garten kosten. Deutschland macht sich an einen Radikalumbau der Industriegesellschaft und viele werden ihren eigenen Vorteil dem Vorteil des Gemeinwesens unterordnen müssen. Damit dies gelingt bedarf es eines breiten gesellschaftlichen Konsenses, ja einer gesellschaftlichen Dynamik, wie sie Deutschland wohl seit dem Wirtschaftwunder nicht mehr erlebt hat.
In dieser Situation ist die Kanzlerin gefragt: Die sonst Visionen eher abgeneigte Angela Merkel muss einen stimmigen Zukunftsentwurf zeichnen und die Menschen für die Veränderungen begeistern. Sie muss wieder Klimakanzlerin sein. Das ist ihre Chance Deutschland ihren Stempel aufzudrücken und nicht nur als eine Kanzlerin in die Geschichte einzugehen, die das Land anständig verwaltet hat. Dabei trifft es sich gut, dass sie sich dadurch auch eine neue Koalitionsmöglichkeit eröffnet – mit den Grünen. Denn wie schon in Baden-Würtemberg werden die Grünen nun wohl vermehrt die Führungsrolle im „linken“ Lager übernehmen. Die SPD hat im 20. Jahrhundert massgeblich dazu beigetragen, den Konflikt zwischen Arbeit und Kapital zu überwinden. Dort konnte mit der Sozialen Marktwirtschaft schliesslich ein Kompromiss gefunden werden. Doch das ist lange her und zumindest zeitweise wird nun wohl das energiepolitische Know-How der Grünen, diesen einen Vorteil gegenüber den Genossen verschaffen. Aber das sind Details. Was zählt ist: der Atomkonflikt ist endlich vorbei und es herrscht Konsens in welche Richtung die Reise nun gehen soll. Zukunft, wir kommen. mic
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