Die Schweiz hätte im Klimaabkommen von Cancun gerne strengere Klimaschutzregeln verankert
Bruno Oberle ist der Direktor des Bundesamtes für Umwelt, Bafu. Bei den Klimaverhandlungen in Cancun war er, nach Abreise von Bundespräsidentin Doris Leuthard, der „ministrielle Vertreter“ der Schweiz.
Was ist in Ihren Augen die wichtigste Errungenschaft im „Abkommen von Cancun“?
In der Klimakonvention ist eine Welt abgebildet, wie sie vor 20 Jahren war: Mit einer kleinen Zahl westlicher, entwickelter Länder, die liefern müssen, die auch Technik und Geld bereitstellen müssen, und dann einer grosse Zahl von Entwicklungsländern. Die Welt ist 20 später aber eine ganz andere: Wir haben ehemalige Entwicklungsländer, die zu den grössten Industrienationen der Welt gehören und die auch nicht mehr so arm sind. Natürlich gibt es in Indien immer noch sehr viele arme Menschen. Aber wir haben dort jetzt auch eine Mittelschicht, die den gleichen Lebensstandard wie wir in Europa hat. Das sind ein paar hundert Millionen Menschen. Und China ist die Werkstatt der Welt, mit entsprechenden technischen und finanziellen Möglichkeiten. Und dann die USA, die, obwohl industrialisiert, nicht im Kyoto Protokoll sind. Das kann auf die Länge nicht funktionieren. Man musste einen Weg finden, wie man eine Aktualisierung dieses Systems aufs Papier bringt. Und wir haben hier einen ersten Schritt dazu gemacht. Wir haben jetzt für beide Gruppen sehr ähnliche Formulierungen gefunden, mit denen die jeweiligen Verpflichtungen beschrieben werden. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, in die Richtung eines einzigen, einheitlichen Abkommens für alle Länder.Und dadurch, dass man sich hier geeinigt hat, konnte das gesamte Paket verabschiedet werden und als Gesamtpaket ist es dann doch beeindruckend. Das ist eine solide Basis für die Arbeit der nächsten Jahre.
Und was ist das schwächste Element?
Wir wollen natürlich mehr. Wir wollen ein internationales, rechtlich verbindliches Abkommen. Man hat jetzt das Zwei-Grad-Ziel festgelegt. Und man hat gesagt, dass man prüft, ob es nicht 1,5 Grad sein sollten. Die Fragen, in welchem Jahr die Emissionen ihren Höhepunkt erreichen sollen und wie hoch sie im Jahr 2050 noch sein dürfen, hat man aber nicht beantwortet. Diese Zahlen standen ursprünglich im Text, aber das haben China und die USA dann gemeinsam rausverhandelt. Jetzt steht einfach, bei der nächsten Verhandlungen wird wieder darüber geredet.
Was war der bedeutendste Beitrag der Schweiz bei den Verhandlungen?
Unter Finanzierung stammt die institutionelle Architektur und der Ablauf, wie man zum Green Fund kommt, von uns. Ich denke das ist der grösste Einzelbeitrag den wir geliefert haben. Das hat dann die Tür aufgestossen um hier zu einer Einigung zu kommen. Wir haben die entsprechenden Vorschläge vor drei Monaten bei den Klimaverhandlungen in Tianjin zum ersten Mal auf den Tisch gelegt und in der Zwischenzeit, dann ein bischen dafür geworben. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Schutz der Tropenwälder. Die forstwirtschaftlichen Innereien dieses Systems sind ‚Swiss Made’.
Und dann haben Sie persönlich, doch auch bei der Frage über die Behandlung von Carbon Capture und Storage (CCS) vermittelt, oder?
Das war ein Auftrag der Konferenzpräsidentschaft. Sowas erledigt man einfach. Das hat man in anderthalb Tagen getan. Die beiden anderen Elemente hingegen benötigten eine lange Vorbereitung.
Am Schluss konnte das Abkommen von Cancun nur mit einem Verfahrenstrick verabschiedet werden. Ist das nicht ein Schönheitsfehler?
Ich finde nicht, dass es ein Trick war. Todd Stern, der Chef der US Delegation, hat es auf den Punkt gebracht: Vielleicht müssen wir nicht von „Konsens“ sprechen, sondern von „General Agreement“. Es gab nie einen Beschluss, welche Mehrheiten erfoderlich sind. Es gelten einfach die normalen UNO Regeln. Diese verlangen normalerweise Konsens, aber unter Umständen auch General Agreement. Das heisst: es gibt eine überwältigende Mehrheit, die nur von einem oder einzelnen Ländern nicht mitgetragen wird. Dann werden die Abweichungen im Protokoll festgehalten, damit sich diese Staaten dann auch morgen und übermorgen darauf berufen können: ‚Wir haben schon immer gesagt, dass wir dagegen sind.’
Aber ist das nicht eine Schwäche des Systems, dass immer eine 99 Prozent Mehrheit erfoderlich ist?
Es ist eine Eigenheit des Systems. Man kann sie als Schwäche oder Stärke bezeichnen. Man muss halt lange die Köpfe zusammenstecken, bis man eine 95 oder 99 Prozent Mehrheit bekommt. Man darf nicht vergessen, wir sind auch ein Kleinstaat. Das könnte uns auch einmal passieren. Man darf aber nicht übersehen, dass Bolivien diese Aussenseiterrolle mit Beharrlichkeit gesucht hat. Man hat sie immer wieder angehört. Man hat ihre Argumente soweit wie möglich aufgenommen. Man hat auch gewisse unsinnige Argumente berücksichtigt, weil man allen etwas abnehmen muss. Es hat in ihren Augen nicht gereicht, aber ich würde sagen, es würde in ihren Augen auch nie reichen. Sie nehmen eine ziemlich fundamentalistische Haltung ein. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass sie nur opponieren, um ein bischen Aufmerksamkeit zu bekommen, aber manchmal sieht es so aus.
Die Konferenzpräsidentin, die mexikanische Aussenministerin Patricia Espinosa hat stehende Ovationen bekommen. Zu Recht?
Die Präsidentschaft war herausragend. Der strategische Entscheid, auf alle zuzugehen. Diese Offenheit bis zum Schluss. Das war eine ausserordentliche Anstrengung und letzlich entscheidend. Das Argument Boliviens, man hätte sie nicht angehört, stimmt einfach nicht. Das war auch der Grund warum sich Venezuela und Kuba schliesslich zurückgezogen haben. Und dann die Taktik der letzten fünf Tage. Die Entscheidung, einen eigenen Vorschlag zu machen. Das war Hochrisiko, politischer Mut. Aber es hätte auch in einem Desaster enden können. Und schliesslich das Alltagsmanagement. Das war immer überdurchschnittlich bedacht.
Welche Länder haben am meisten zum Erfolg beigetragen?
Einzelne Delegationen zu nennen, ist immer schwieriger. Aber Indien kann man schon erwähnen. Sie haben wirklich einen grossen Schritt gemacht und der indische Umweltminister Jairam Ramesh musste dafür von seinen Kollegen aus den Entwicklungsländern zum Teil ja auch harte Kritik einstecken. Aber auch Brasilien hat flächendeckend sehr konstruktiv mitgearbeitet.
Und was ist mit China und den USA?
China war zumindest nicht im Weg und die USA sind nicht gross aufgefallen. Aber sie können auch gar nichts sagen. Sie sind technologisch 20 Jahre hinter Europa zurück. Bei den Klimaverhandlungen vor einem Jahr in Kopenhagen haben sie zumindest noch Geld mitgebracht. Aber jetzt haben sie auch kein Geld mehr. Aber sie waren fair und haben den Fortschritt nicht verhindert. Sie sind oft auf weniger ehrgeizige Vorschläge der Entwicklungsländer aufgesprungen. Man könnte schmunzeln und sagen: Sie haben sich fast wie ein Entwicklungsland verhalten. Aber nur fast.
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