Der Kern der Verhandlungen sind die Emissionsreduktionen und das Geld
Für Franz Xaver Perrez, den Chef der Schweizer Delegation bei den Klimaverhandlungen, ist das Prinzip des Kyoto Protokolls, dass nur die Industriestaaten ihre Treibhausgase reduzieren müssen, nicht mehr zeitgemäss. Ein Erfolg bei den Verhandlungen ist für ihn nur möglich, wenn ein Ausgleich zwischen drei Elementen gefunden wird: den Emissionsreduktionen in den Industrie- und Entwicklungsländern, den Finanzen und den Kontrollmechanismen.
mic: Die Einschätzungen über den Stand der Verhandlungen sind sehr unterschiedlich, schwanken zwischen Optimismus und Pessimismus. Wie sehen Sie das?
Franz Xaver Perrez: Es ist tatsächlich nicht immer einfach, optimistisch zu bleiben. Aber ich habe das Gefühl, in den letzten Monaten ist wieder Bewegung in die Verhandlungen gekommen. An der Klimakonferenz in Kopenhagen vor einem Jahr sollte ein neues, umfassendes Klimaregime verabschiedet werden. Das war nicht möglich, der politische Widerstand war einfach zu gross. Gemessen an den hohen Erwartungen war das Ergebnis von Kopenhagen ein Misserfolg, und nach einem solchen Misserfolg ist es schwierig, wieder auf die Beine zu kommen.
Das muss jetzt aber schnell gehen, denn die erste Verpflichtungsperiode des Kyoto Protokolls läuft Ende 2012 aus. Besteht noch eine Chance eine zweite Verpflichtungsperiode zu verabschieden, sodass keine Lücke entsteht?
Dafür ist die Zeit schon abgelaufen. Selbst wenn wir in Cancun eine zweite Verpflichtungsperiode für das Kyoto Protokoll beschliessen würden, würde diese kaum 2013 in Kraft treten. Der Ratifizierungsprozess dauert zu lange. Aber das ist eigentlich nicht so schlimm. Das Hauptproblem liegt nicht in einer allfälligen Lücke zwischen den beiden Verpflichtungsperioden. Das Hauptproblem ist die Ungewissheit, ob überhaupt ambitionierte Emissionsreduktionen beschlossen werden. Ob diese im Rahmen einer zweiten Verpflichtungsperiode oder in einer anderen Form beschlossen werden, ist aber weniger wichtig.
Die Entwicklungsländer befürchten, dass die Industriestaaten darauf setzen, dass das Kyoto Protokoll ausläuft.
Die Einschätzung, die Industrieländer würden auf ein Auslaufen des Kyoto Protokolls setzen, um sich neuen Verpflichtungen zu entziehen, ist meines Erachtens falsch. Die Industrieländer, die das Kyoto Protokoll ratifiziert haben, sind grundsätzlich zu weitergehenden Verpflichtungen bereit. Sie erwarten aber, dass neu auch die Schwellenländer konkrete Verpflichtungen eingehen. Gemäss Kyoto Protokoll sind nur die Industrieländer zur Reduktion von Treibhausgasen verpflichtet. Dieser Ansatz macht fast 20 Jahre nach Verabschiedung der Klimakonvention keinen Sinn mehr. Die Industrieländer, die Kyoto ratifiziert haben, machen heute nur noch etwa ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen aus. Kyoto alleine ist daher nicht mehr ausreichend. Um das Klimaproblem in den Griff zu bekommen, müssen auch die grossen Entwicklungsländer zur Reduktion der Emissionen beitragen.
Abgesehen vom Kyoto Protokoll geht es natürlich auch um Geld. Stimmt es, dass die Industriestaaten ein Junktim zwischen der Finanzierung und der internationalen Kontrolle der Reduktionsmassnahmen von Entwicklungsländer machen, nach dem Motto ohne Kontrolle kein Geld?
(Lacht) Es sind mehrere Elemente die da zusammengehören: Die Reduktionsmassnahmen, die Finanzierung und schliesslich die Messung, Meldung und Verifizierung, also die Kontrolle der Anstrengungen. Das wichtigste Junktim sind die Reduktionenmassnahmen und die finanzielle Unterstützung für die Entwicklungsländer. Die Kontrollen sind ein Instrument, das hilft, die beiden anderen zu kontrollieren. Diese Kontrollen sollten sowohl hinsichtlich der Emissionsreduktionen wie auch hinsichtlich der Bereitstellung finanzieller Mittel gelten. Es ist also ein Dreieck.
China argumentiert, diese Kontrollen seien ein inakzeptabler Eingriff in die Souveränität des chinesischen Staats. Ist da ein Kompromiss möglich?
Ein zukünftiges System ohne einen Überprüfungsmechanismus kann ich mir nicht vorstellen. Man wird da eine Lösung finden müssen. Der Begriff Souveränität wird zu oft strategisch eingesetzt. Souveränität kann in der Zeit der Raumfahrt nicht das gleiche bedeuten wie in der Zeit der Segelschifffahrt. Souveränität ist ein dynamischer Begriff, allerdings mit einigen Kernelementen. Die Entwicklungsländer fordern eine bessere Überprüfung der Industrieländer. Dem stimmen wir ja auch zu. Wieso aber sollen Kontrollmechanismen bei den Entwicklungsländern einen Eingriff in deren Souveränität sein, nicht aber bei den Industriestaaten? Wir sehen unsere Souveränität überhaupt nicht bedroht, nur weil man schaut, was wir machen. Im Gegenteil, es ist Ausdruck von Souveränität. Wir sind ein Mitglied der internationalen Gemeinschaft und da gehört es selbstverständlich dazu, dass man zeigt, was man macht. Schaut her, wir machen das, wir sind souverän. Der Grundsatz, dass man Verifizierungsmechanismen hat, ist ein Muss für ein griffiges Klimaregime. Für die konkrete Ausgestaltung müssen wir noch eine Lösung finden. Das heisst ja nicht, dass alle gleich kontrolliert werden sollen. Für ein armes Land in Afrika, das fast keine Emissionen hat, muss nicht ein riesiger Kontrollmechanismus aufgebaut werden. Aber für ein grosses Land, einen wichtigen Emittenten, müssen die Reduktionsziele messbar, verifizierbar und kontrollierbar sein. Wir als internationale Gemeinschaft müssen merken, wenn es Probleme gibt. Sonst kann das gemeinsame Ziel der Vermeidung des Klimawandels nicht erreicht werden.
Sie glauben also, dass die Chinesen schliesslich nachgeben werden?
Es wird eine der ganz schwierigen Knacknüsse sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Ergebnis, in dem nur die Industriestaaten einem strengen Kontrollregime unterliegen, von diesen akzeptiert wird. Das ist ein non-starter.
Die EU und die Schweiz haben angeboten ihre Emissionen bis ins Jahr 2020 um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Und falls andere Länder vergleichbare Massnahmen ergreifen kann dieses Ziel auf 30 Prozent erhöht werden. Wäre es nicht sinnvoll einseitig das Angebot auf 30 Prozent zu erhöhen, um die Verhandlungen in Gang zu bringen?
Das Klima ist ein globales Problem, das nur durch gemeinsames Handeln gelöst werden kann. Europa kann auch mit den grössten Anstrengungen alleine den Klimawandel nicht verhindern. Ein alleiniges Vorgehen birgt aber auch die politische Gefahr, dass bei den Entwicklungsländern die Ideologie zementiert wird, nur die Industrieländer müssten handeln. Eine einseitige Erhöhung auf 30 Prozent kann daher sogar ein negatives Signal sein für ein gutes langfristiges System.
Die EU ist heute schon bei minus 17 Prozent. Diverse Studien zeigen daher, dass zur Förderung der europäischen Green Tech Industrie eine Anhebung auf 30 Prozent erforderlich ist. Sollte man nicht aus wirtschaftlichem Eigeninteresse auf 30 Prozent gehen?
Ich persönlich bin auch der Meinung, dass ambitionierte Umweltregeln nicht nur der Umwelt, sondern auch der eigenen Wirtschaft nützen. Studien aus den USA zeigen, dass die Bundesstaaten mit den ambitioniertesten Umweltregeln auch die dynamischste Wirtschaft haben. Aber das ist auch eine Frage des Selbstbewusstseins der Schweiz. Haben wir das Selbstbewusstsein zu sagen: ‘Mit ambitionierten Umweltregeln sind wir stärker.’ Oder sagt man: ‘Die anderen machen auch nicht soviel.’ Ob die Schweiz aus eigenem Interesse ambitioniertere Reduktionsziele formulieren will, ist aber eine politische Entscheidung.
Aber selbst mit 30 Prozent in der EU und der Schweiz gelingt es nicht die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu beschränken. Berechnungen zeigen, dass sich das Klima mit den in Kopenhagen angekündigten Reduktionen um vier Grad erwärmen wird.
Es stimmt, zwischen den bisher formulierten Reduktionszielen und dem Ziel, die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad zu beschränken, besteht eine Lücke. Um diese Lücke schliessen zu können, muss man in Cancun die vorliegenden Angebote formell festhalten. Dann hat man eine Basis. Sowohl bei der Finanzierung wie auch bei den Emissionsreduktionen müssen wir in Cancun Bewegung in die Verhandlungen bringen, das Ziel eines umfassenden und effektiven neuen Klimaregimes werden wir aber erst später erreichen können.
Heisst das, Sie glauben nicht an den Abschluss eines Weltklimavertrags nächstes Jahr bei den Verhandlungen in Südafrika?
Bei der gegebenen Situation glaube ich nicht, dass wir nächstes Jahr ein umfassendes Regime beschliessen können. Einzelne Schwellenländer blockieren noch zu sehr. Und auch der US-Regierung scheinen, für genügend grosse Reduktionsziele zur Zeit die Hände gebunden zu sein.
Versuchen die USA denn zumindest ihre systembedingten Schwierigkeiten zu umschiffen?
Die US-Delegation nützt ihren Verhandlungsspielraum und ist sehr konstruktiv. Es stimmt natürlich: was die USA zur Zeit als Reduktionsmassnahmen anbieten können, reicht nicht für ein ambitioniertes, ausgewogenes und faires Klimaregime. Aber wie ich schon gesagt habe: Es braucht vor allem Bewegung. Für den CO2 Markt, die Wirtschaft und die Politik ist es wichtig zu wissen, es kommt etwas. Ob das neue Regime dann ein Jahr früher oder später in Kraft tritt, ist letztlich weniger wichtig.
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