Denkfabriken sind auch in der Krise ein Wachstumsmarkt
Ideas pull the trigger, instinct loads the gun. (Ideen ziehen den Abzug, aber der Instinkt lädt die Waffe.), Don Marquis (1878-1937), US-Schriftsteller
Sie haben die neokonservative Revolution von George Bush Junior vorbereitet und ein Programm für seinen Nachfolger, Barack Obama, ausgearbeitet – Think Tanks oder zu deutsch Denkfabriken. Noch 1970 gab es weltweit höchstens ein paar Dutzend dieser Einrichtungen. Heute werden in knapp 5500 Denkfabriken Ideen produziert. Ein Drittel davon sind in den USA, dem Heimatland der Think Tanks. Aber Europa holt auf und verfügt mittlerweile über 1200 Organisationen, in denen Denkarbeiter schuften.
Der Begriff „Think Tank“ kommt aus dem Slang der US Soldaten im zweiten Weltkrieg. Sie bezeichneten damit einen Raum, in dem das weitere Vorgehen geplant wurde. Die erste Organisation, die als Think Tank bezeichnet wurde, war denn auch die RAND Corporation, die für die US Armee über Waffentechnologie nachdenkt. Und auch heute beschäftigen sich noch viele Denkfabriken mit internationaler Sicherheit und Konfliktforschung (siehe Tabelle). Aber längst ist das nicht mehr ihr einziges Betätigungsfeld. So denkt das Swiss Real Estate Institute über Häuslebauer nach und der Think Tank Thurgau über einen Ostschweizer Kanton.
Die dabei produzierten Ideen richten sich an Politiker. Das Geschäft der Denkfabriken ist wissenschaftlich fundierte Politikberatung. Sie versuchen wissenschaftliche Erkenntnisse in die politische Diskussion einzubringen und wenn möglich praktisch umsetzbare Ideen zu generieren. Think Tanks liegen also auf der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Oft sind sie daher an Universitäten angegliedert, wie etwa das Institut Univérsitaire des Hautes Etudes Internationales der Universität Genf, das dem Schweizer Aussenministerium zuarbeitet. Andere werden vom Staat mitgetragen, wie das BAK Basel Economics, an dem Kantone und Gemeinden mitbeteiligt sind. Und schliesslich gibt es die von der Wirtschaft getragenen Denkfabriken wie etwa das Gottlieb-Duttweiler-Institut oder Avenir-Suisse. Ob dieser Vielfalt an Trägern und Formen ist die Abgrenzung zwischen Think Tanks, Uni-Instituten und Lobbygruppen zum Teil schwierig. Ein Grenzfall ist so zum Beispiel das World Economic Forum WEF in Davos. Einerseits ist das WEF ein Kongress, eine Gelegenheit für die Mächtigen und Reichen sich mit anderen Mächtigen und Reichen auszutauschen. Andererseits sponsert das WEF aber auch Studien und unterhält Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen wie Klimawandel oder Hunger.
Letztlich geht es aber immer um Wissenschaft und Politikberatung. Die massive Zunahme an Institutionen, die an dieser Schnittstelle tätig sind, ist denn auch mit der wachsenden Komplexität der Welt zu erklären. Politiker haben einen zunehmenden Beratungsbedarf und Think Tanks decken diesen ab. Die Denkfabriken sind dabei aber nicht „neutral“ wie Wissenschaftler, die nur an der Erweiterung des Wissens interessiert sind. Im Gegenteil, oft vertreten Think Tanks dezidiert bestimmte Positionen. Damit ersetzen sie aber nicht die eigentlichen Politiker. Denn diese haben die Wahl zwischen einer Vielzahl von Beratern und müssen schliesslich selber wissen, welche Ideen sie sich zu eigen machen. Ausschlaggebend bleibt der politische Instinkt. mic
Schweizer Think Tanks in den USA
In den USA gibt es drei Think Tanks die sich mit den Beziehungen zwischen der Schweiz und Amerika beschäftigen: Die Swiss Foundation for World Affairs (SFWA), die Parlamentarier-Vereinigung Schweiz-USA und die American Swiss Foundation. “Die USA sollten die Erwartungen der Europäer kennen”, begründet Alt-Staatssekretär Edouard Brunner, Präsident der SFWA, die Aktivitäten seines Think Tanks in Washington. Die Stiftung arbeitet denn auch mit dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zusammen und wird vom Bund mitfinanziert. mic
„Think Tanks ergänzen die herkömmlichen Interessenverbände“
Isabelle Stadelmann-Steffen glaubt nicht, dass Think Tanks in der Schweiz so wichtig werden wie in den USA
Denkfabriken vertreten auch Interessen. So wurde Avenir-Suisse von 14 Schweizer Grossunternehmen gegründet. Think Tanks werden aber Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände nicht verdrängen.
Q: Frau Stadelmann-Steffen, weltweit ist die Zahl der Think Tanks in den letzten Jahren explosionsartig gewachsen. Nimmt auch in der Schweiz der Einfluss von Think Tanks zu?
A: Wegen der Möglichkeit Regierungsvorhaben per Referendum zu Fall zu bringen werden bei uns von je her die verschiedenen Interessengruppen früh und eng in den Gesetzgebungsprozess involviert. Dies gilt insbesondere für die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften. Typische Think Tanks nach amerikanischem Muster, die offensiv für eine Position lobbyieren, gibt es daher erst seit kurzem. Avenir Suisse, das beste Beispiel, wurde 1999 gegründet. Was wir aber schon länger haben sind akademische Think Tanks. Dies sind meist Universitätsinstitute, die für den Staat bestimmte Themen beforschen. Der Beizug von Expertenwissen ist für den politischen Prozess also nichts Neues.
Q: Aber was kann ein Think Tank, das die herkömmlichen Verbände nicht auch könnten?
A: Think Tanks sind praxisorientierte Forschungsinstitute. Den herkömmlichen Verbänden fehlt für wissenschaftliche Studien hingegen meist die Zeit und das Geld. Ausserdem werden Think Tanks als unabhängiger, neutraler wahrgenommen. Sie sind somit in der politischen Diskussion glaubwürdiger.
Q: Wie können Think Tanks die politische Diskussion beeinflussen?
A: Hier muss man zwischen der vor-parlamentarischen Phase und der parlamentarischen Phase unterscheiden. Think Tanks haben vor allem Einfluss bevor eine Idee als Gesetzesvorschlag im Parlament diskutiert wird. Hier liefern sie wissenschaftlich fundierte Argumente für die öffentliche Diskussion. Vertreter von Think Tanks werden auch eingeladen in Expertenkomissionen mitzuarbeiten. Sobald eine Vorlage im Parlament ist, haben Think Tanks aber kaum noch Einfluss. Dann ist die ideologische Gruppenzugehörigkeit wichtiger als wissenschaftlich Argumente.
Q: Aber Think Tanks können doch auch neue Themen lancieren?
A: Ja, das ist das sogenannte Agenda Setting. Hier spielen die Medien eine wichtige Rolle. Wenn Avenir Suisse eine Studie publiziert wird das von den Medien aufgegriffen und diskutiert. Diesen Effekt haben aber auch die zum Teil öffentlich finanzierten Think Tanks wie das KOF oder das BAK. Und auch wenn das gfs eine Studie lanciert, wird oft darüber berichtet.
Q: Warum gibt es mehr bürgerliche als linke Think Tanks?
A: In der Schweiz gibt es traditionell ein Ungleichgewicht zwischen den sehr viel stärkeren Abeitgeberverbänden und den Gewerkschaften. Dieses ungleiche Kräfteverhältnis setzt sich nun fort. Die Bürgerlichen, die Wirtschaft, hat mehr Ressourcen. Aber wie gesagt Think Tanks sind in der Schweiz eine noch sehr junge Erscheinung und mit dem Denknetz gibt es mittlerweile ja auch einen linken Think Tank.
Q: Für den deutschen Soziologen Niklas Luhmann sind Organsationen wie Think Tanks eine Antwort auf die gesellschaftliche Abneigung gegen eine Verbindung zwischen Geld und Macht. Sehen Sie das auch so?
A: Ja und Nein. Einerseits werden die von Think Tanks erarbeiteten, wissenschaftlich fundierten Argumente natürlich dazu genutzt politische Vorschläge zu legitimieren. Mit diesen „neutralen“ Argumenten werden ideologische Vorlieben also etwas überdeckt. Andererseits sagt beispielsweise Avenir Suisse ja ganz offen wo sie politisch stehen. Auch ist bekannt, dass die Organisation von einigen Schweizer Grosskonzernen finanziert wird.
Q: In Deutschland haben die politischen Parteien ihre eigenen Think Tanks. Die CDU hat dazu die Konrad Adenauer Stiftung. Warum haben die Schweizer Parteien nicht auch ihre derartige Einrichtungen?
A: Das hängt mit der Tradition und der staatlichen Parteienfinanzierung zusammen. Den Schweizer Parteien, die sich über ihre Mitglieder finanzieren, fehlen dazu wohl die Mittel.
Q: Sind Think Tanks eine Gefahr für die Demokratie, wie manche Kritiker behaupten?
A: Nein, das glaube ich nicht. Think Tanks bereichern den politischen Diskurs, aber sie lösen ihn nicht ab. Das Problem ist natürlich, das sie nicht gewählt, also demokratisch legitimiert sind. Aber das trifft auch auf andere Akteure zu. Und wie schon gesagt, haben sie vor allem Einfluss während der vor-parlamentarischen Phase.
Q: Glauben Sie das Think Tanks die herkömmlichen Verbände verdrängen werden?
A: Nein, Think Tanks ergänzen die herkömmlichen Interessenverbände. In der parlamentarischen Phase sind es die gut etablierten Interessengruppen, die über die Parteien viel mehr Einfluss haben. Studien haben gezeigt, dass die Rolle und Bedeutung von Think Tanks sehr stark vom politischen System, den Rahmenbedingungen abhängt. Daher werden in der Schweiz Think Tanks wohl nie die gleiche Bedeutung wie in den angelsächsischen Ländern erlangen.
Isabelle Stadelmann-Steffen ist promovierte Politologin. Sie ist Postdoc-Stipendiatin des Schweizer Schweizerischen Nationalfonds und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Politik der Universität Konstanz.
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