Wirtschaftsministerin Doris Leuthard ist Gastgeberin und Vermittlerin
Als offene Volkswirtschaft profitiert die Schweiz stark vom Welthandel. In der Welthandelsorganisation WTO engagiert sie sich daher für eine weitere Liberalisierung. Die nächste Verhandlungsrunde beginnt am Montag in Genf.
Die Schweiz ist auf der Weltrangliste die Nummer 95, wenn man die Bevölkerung zählt. Betrachtet man aber den Anteil der Schweiz am Welthandel, so ist sie nach Exporten die Nummer 20, nach Importen die Nummer 19. Das macht die Schweiz noch nicht zur handelspolitischen Supermacht, aber es reicht, um in der Welthandelsorganisation WTO eine wichtige Rolle zu spielen. Und diese Rolle nimmt die Schweiz aktiv wahr. «Dass die WTO gut funktioniert, ist für kleine und mittlere Volkswirtschaften wie unsere von eminenter Bedeutung. Schliesslich können wir nicht mit den über 150 WTO-Mitgliedern bilaterale Freihandelsabkommen abschliessen», sagt Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch, Leiterin Welthandel beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco.
Zum Gewicht der Schweiz in der WTO trägt auch bei, dass sie wenn möglich versucht, eine Vermittlerrolle einzunehmen, wie Ineichen erklärt. «Wir Schweizer sind für unseren Pragmatismus bekannt. Darum werden wir auch immer wieder gebeten, Sitzungen zu leiten oder in den Panels des Streitbeilegungsverfahrens Einsitz zu nehmen. » (siehe Text unten rechts. ) Und auch bei den Sitzungen im Green Room, dem nach dem grünen Interieur benannten Büro von WTO-Chef Pascal Lamy, ist die Schweiz stets dabei. Dort wird unter den wichtigsten Ländern jeweils das weitere Vorgehen in den Verhandlungen für einen neuen Welthandelsvertrag, die sogenannte Doha-Runde (siehe «Wird endlich gut. . . »), besprochen. Die Schweiz setzt also ihr Engagement, das sie bereits in der vorherigen Verhandlungsrunde, der Uruguay-Runde, gezeigt hat, fort. In der achtjährigen Verhandlungsrunde (von 1986 bis 1994, siehe Chronologie am Fuss der Seite) wurde die WTO begründet. Wie die Vorgängerorganisation Gatt ist auch die WTO in Genf zu Hause.
Verantwortlich für die WTO-Verhandlungen sind aufseiten der Schweiz knapp ein Dutzend Diplomaten – acht in Bern und drei in Genf. Für technische Fragen werden zudem Spezialisten aus allen anderen Ressorts – vom Agronomen bis zum Zöllner – zugezogen.
Bei den konkreten Verhandlungen geht es dann darum, Koalitionen zu bilden, wie Ineichen erklärt. Je nach Themengebiet sehen die Koalitionen unterschiedlich aus. «Bei den Herkunftsangaben etwa sind die Inder unsere besten Freunde. Was für uns der Greyerzer Käse ist, ist für die Inder der Basmati-Reis.» Beim Abbau von Handelshemmnissen auf Industriegüter hingegen gehört Indien zu den Bremsern, und die Schweiz spannt in diesem Fall mit den anderen Industrieländern zusammen.
Die Schweizer Position in den WTO-Verhandlungen ist schnell erklärt: Im Bereich Handel mit Industriegütern sowie (Finanz-)Dienstleistungen drängt Bern auf eine möglichst weitgehende Öffnung der Märkte. Ursprünglich hatte die Schweiz zusammen mit Neuseeland gar vorgeschlagen, die Zölle auf Industrieprodukte komplett zu streichen.
Im Agrarbereich hingegen gehört die Schweiz zu den Protektionisten. Um ihre Position in diesem Dossier besser vertreten zu können, hat sich die Schweiz mit anderen Nettoagrarimporteuren wie etwa Japan oder Korea zu einer Gruppe namens G-10 zusammengeschlossen.
Wie bei politischen oder wirtschaftlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Schweiz geht es auch in der WTO darum, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Positionen zu finden. In den bislang sieben Verhandlungsrunden ist dies stets gelungen und der durchschnittliche Zollsatz hat sich innert 60 Jahren von 40 auf 4 Prozent ermässigt (siehe Grafik).
Gewonnen haben dabei die Menschen, in den Industrie- und den Entwicklungsländern. Dank des Wachstums in Asien schliesst sich – global gesehen – die Schere zwischen Arm und Reich. mic
Das WTO-Streitbeilegungsverfahren
Der WTO-Vertrag legt nicht nur fest, was ein Land darf und was nicht, sondern enthält auch Bestimmungen, wie im Streitfall zu verfahren ist. Hinsichtlich der Bedeutung des Streitbeilegungsverfahrens gibt sich die Welthandelsorganisation WTO unbescheiden: Es sei «ein einzigartiger Beitrag zur Stabilität der Weltwirtschaft», schreibt die Organisation. Damit hat sie wohl nicht ganz unrecht, denn ohne das Streitbeilegungsverfahren gälte das Recht des Stärkeren.
Die Schweiz hat auch schon von der WTO-Gerichtsbarkeit Gebrauch gemacht: Im Jahr 2002 hat sie, zusammen mit der EU, Japan und China, gegen die USA geklagt und gewonnen: Die US-Regierung musste die strittigen Stahlimportbestimmungen wieder zurücknehmen. In anderen Fällen konnte nach einer Klage eine gütliche Einigung gefunden werden, so im Fall von indischen Importbeschränkungen für Agrarprodukte und australischen Schutzzöllen im Papiersektor. Den umgekehrten Fall gab es allerdings noch nie: Bislang hat noch kein Handelspartner je gegen die Eidgenossenschaft geklagt. mic
Aus der Basler Zeitung vom 16.07.2008