Ciba hatte 1937 einen Aussenposten in Schanghai, musste jedoch in den Fünfzigerjahren China verlassen
Schweizer Unternehmen wie Roche und Ciba waren schon in den Dreissigerjahren in China präsent. Besetzung, Bürgerkrieg und Revolutionen haben das Geschäft erschwert. Doch heute ist es auch für KMU einfach, im Reich der Mitte zu investieren.
Die Reise dauerte elf Tage. Von Basel ging es erst nach London und von dort an die Küste. Dort wartete ein Wasserflugzeug auf die zwölf Passagiere. Geflogen wurde nur tagsüber. Zum Five o’Clock Tea wurde eine Pause eingelegt. Die Welt erholte sich vom Zweiten Weltkrieg, und der damals 21-jährige René Schnell hatte das grosse Los gezogen: Ciba schickte ihn als «Junior Commercial Assistant» nach Schanghai. Das Flugticket hatte mehr gekostet als sein Jahreseinkommen: 5565 Franken (entspricht heute 27 674 Franken).
Als er am 24. Dezember 1946 endlich angekommen war, erwarteten ihn bereits die acht europäischen und 24 chinesischen Mitarbeiter des Ciba-Aussenpostens. Eigentlich konnten die Geschäfte nur besser werden. Während des Kriegs war China von Japan besetzt, und ausländische Geschäftsleute wurden interniert. Nur die neutralen Schweizer durften sich noch frei bewegen. Nach dem Krieg übernahm dann wieder die nationalistische Kuomintang-Regierung unter Chiang Kai-shek die Macht. Ausländische Unternehmen konnten wieder relativ frei operieren. Ciba vertrieb damals vor allem Textilfarben und in geringerem Mass Medikamente in China. Besonders beliebt war Indigoblau, erzählt Schnell.
Die 250-köpfige Schweizer Gemeinde in Schanghai war gut organisiert: Schweizer Club, Generalkonsulat, ja sogar einen Verein für notleidende Eidgenossen gab es. Nur der Schweizer Schützenverein hatte die japanische Besatzung nicht überstanden. Doch noch sollte China nicht boomen. 1947 begann der Bürgerkrieg. Zwei Jahre später übernahmen Maos Truppen dann auch Schanghai – kampflos. Anfangs waren die Ciba-Leute noch optimistisch und liessen massenhaft Ware aus Hongkong kommen. Doch die Bedingungen wurden immer schwieriger und Mitte der Fünfzigerjahre wurde Ciba Schanghai aufgegeben. China verabschiedete sich aus der Weltwirtschaft und widmete sich der Kulturrevolution.
Knapp 30 Jahre sollte es dauern, bis wieder ein Schweizer Unternehmen eine Tochterfirma im Reich der Mitte gründete: 1982 nahm die Schindler Elevator Co. Ltd. die Geschäftstätigkeit auf, das erste Joint Venture zwischen einem westlichen und einem chinesischen Unternehmen seit der Kulturrevolution. Deng Xiaoping öffnete das Land, und immer mehr westliche Unternehmen lernten die niedrigen Löhne zu schätzen. Mitte der Neunziger hatte die Schweizer Gemeinde dann wieder die kritische Masse erreicht, und der Schweizer Club wurde wiederbegründet, das Generalkonsultat wiedereröffnet. Heute zählt die «Swiss Community» 900 Mitglieder, schätzt Christian Gürtler, Präsident der schweizerisch-chinesischen Handelskammer in Schanghai.
Die ersten Unternehmen, die wieder in China investierten, waren die grossen Schweizer Multis. Doch in den letzten fünf Jahren kamen auch immer mehr KMU nach China, sagt Gürtler. Noch ganz neu in China ist beispielsweise der Flanschenhersteller Ditzler Indap. «Wir sind einem Kunden, Endress + Hauser Flowtec, nach China gefolgt», sagt Martin Helfenstein, Chef der Firma aus Aesch. Im August letzten Jahres bezog Ditzler Indap seine Werkstätten auf dem Werksgelände von Endress + Hauser in Suzhou, 80 Kilometer von Schanghai. Drei Monate später erfolgte die erste Lieferung. «Das Wichtigste sind gute Mitarbeiter», sagt Helfenstein. Bei der Suche nach den ersten Angestellten hat er auf die Hilfe einer chinesisch-schweizerischen Beratungsfirma zurückgegriffen. Diese besorgt zurzeit auch noch die Geschäftsführung, die Buchhaltung, die Behördenkontakte. Ditzler Indap selber hat in China nur acht Mitarbeiter.
Für KMU wird es immer einfacher, eine Dependance in China zu eröffnen. Erste Anlaufstelle für viele ist das Swiss Center in Schanghai, ein kleiner Industriepark im Besitz der gemeinnützigen Swiss Center Fondation. «Wir bieten ‘Hardware’ in Form von bezugsbereiten Fabrikationsräumen und ‘Software’ in Form unseres Netzwerks von zuverlässigen Firmen aus allen Branchen», erklärt Gürtler, der unter anderem auch Verwaltungsratspräsident des Swiss Centers ist. Wegen der grossen Nachfrage werde derzeit ein weiteres Swiss Center in Taicang, einer Nachbarstadt Schanghais, gebaut. Die Schweizer Gemeinde blickt wieder mit Optimismus in die Zukunft – wie China auch.
René Schnell hat über 400 Briefe aus Schanghai an seine Eltern geschrieben. Diese gibt es als Buch: René Schnell: «Briefe aus Shanghai 1946–1952, Dokumente eines Kulturschocks», 2000, Limmat Verlag, 268 Seiten, 30 Franken. mic
Aus der Basler Zeitung vom 10.05.2008