Immer mehr Flüchtlinge, immer weniger Geld

Humanitäre Hilfe für syrische Flüchtlinge sollte dieses Jahr gekürzt werden

Die Hilfswerke brauchen dieses Jahr 4,5 Milliarden Dollar um mehr als vier Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon und in Jordanien zu versorgen. Davon sind bislang aber nur 37 Prozent gedeckt.

Die Regierungschefs der EU Staaten haben am Mittwoch beschlossen, die Nahrungsmittelhilfe für syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens zu erhöhen: auf das Niveau von letztem Jahr. [1] Mit anderen Worten: Ursprünglich waren Kürzungen geplant. Mit der Ausnahme von Holland haben alle EU Länder sowie die EU Kommission dem Welternährungsprogramms WFP dieses Jahr weniger Geld für syrische Flüchtlinge zur Verfügung gestellt als im Jahr 2014 (siehe Tabelle) [1]. Deutschlands Beitrag ist um mehr als die Hälfte auf 117 Millionen Euro gefallen. Österreich hat dieses Jahr noch gar kein Geld bereit gestellt und die EU hat ihren Beitrag um knapp die Hälfte auf noch 157 Millionen reduziert. Dabei nimmt die Zahl der syrischen Flüchtlinge immer weiter zu. Ende letzten Jahres zählte das UNO Flüchtlingshilfswerk UNHCR 3,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Ende dieses Jahres werden es wohl 4,2 Millionen sein. [2] Syriens Nachbarländer haben daher immer grössere Probleme die Flüchtlinge zu versorgen. Im Libanon kommt mittlwerweile ein Flüchtling auf fünf Einheimische. Es ist das Land mit der grössten ‚Flüchtlingsdichte‘ der Welt. [2]

Nicht die ersten, nicht die letzten. In der Türkei leben mittlerweile 1,9 Millionen syrische Flüchtlinge. (Foto: UNHCR/Pricket)
Nicht die ersten, nicht die letzten. In der Türkei leben mittlerweile 1,9 Millionen syrische Flüchtlinge. (Foto: UNHCR/Pricket)

Insgesamt brauchen die UN Organisationen wie WFP, UNHCR oder das Kinderhilfswerk Unicef sowie Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen 4,5 Milliarden Dollar für die Flüchtlingshilfe. Davon sind bislang 1,7 Milliarden eingegangen. Das sind gerade mal 37 Prozent des benötigten Geldes. [2] Die Auswirkungen dieser Unterfinanzierung sind dramatisch: So leben in Jordanien 86 Prozent aller Flüchtlinge unter der Armutsgrenze von 3,20 Dollar pro Tag. Zusätzlich wurde im September 229‘000 als ‚bedürftig‘ eingestuften Familien die Lebensmittelkarten gestrichen. Um Unterstützung zu bekommen reicht der Status ‚bedürftig‘ nun nicht mehr. Hilfe bekommt nur noch wer als ‚extrem bedürftig‘ gilt. Im Libanon ist die Situation nicht besser. Wer dort Nahrungsmittelhilfe erhält, muss sich mit 13,5 Dollar pro Monat also weniger als 50 US-Cents pro Tag durchschlagen. [2]

Beiträge ausgewählter EU Länder ans WFP für syrische Flüchtlinge 2014 und 2015

LandBeitrag an WFP 2014 in Millionen EuroBeitrag an WFP 2015 in Millionen EuroDifferenz
Grossbritannien327231-29%
EU Kommission297157-47%
Deutschland241117-51%
Niederlande71756%
Österreich10-100%
Total1'193711-40%

Schlecht ist es auch um die Gesundheitsversorgung bestellt. In Jordanien bekommt über die Hälfte der Flüchtlinge mit chronischen Erkrankungen nicht die nötige medizinische Versorgung. Letztes Jahr war diese Zahl halb so hoch. Damals war die medizinische Versorgung für Flüchtlinge noch kostenlos. Heute wird sie nur noch subventioniert. Das UNHCR schreibt in seinem Augustbericht: „Die Hauptbarriere beim Zugang zu medizinischer Versorgung ist die Unfähigkeit dafür zu bezahlen.“ [2] Besonders hart ist die Situation der Kinder. Diese machen rund die Hälfte aller Flüchtlinge aus. Doch von den zwei Millionen Kindern geht nur eine Million zur Schule. Dabei ist Unicef relativ gut finanziert. Das Kinderhilfswerk hat die Hälfte der benötigten Mittel auch bekommen. [3] Der Präsident des EU Parlaments Martin Schulz sagt hinsichtlich der syrischen Flüchtlingskatastrophe: „Wer kann den Menschen einen Vorwurf machen, wenn sie in Europa einen sicheren Hafen suchen in Angesicht derart harter Bedingungen?“ [4]

 

Kommentar: Was haben die sich bloss dabei gedacht?

In Syrien herrscht seit knapp fünf Jahren Krieg und mehr als vier Millionen Menschen sind in die Nachbarländer geflohen. Damit sind sie oft nur wenige Kilometer von der EU Aussengrenze entfernt. Man könnte daher erwarten, dass die EU diese Länder grosszügig unterstützt, damit sie unter der Last der Flüchtlinge nicht zusammenbrechen. Man könnte erwarten, dass die EU Alles dafür tut, dass Flüchtlinge in den Erstaufnahmeländern ein menschenwürdiges Leben führen können. Doch weder in Brüssel noch in den Hauptstädten der EU Länder scheint jemandem aufgefallen zu sein, dass die Flüchtlingshilfe seit Jahren dramatisch unterfinanziert ist. Dieses Jahr sollten die Mittel sogar noch gekürzt werden. Das zeugt nicht nur von mangelndem Mitgefühl. Schlimmer noch: Es ist dumm. mic

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[1] EU Kommission, 23.09.2015: Bewältigung der Flüchtlingskrise: Unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda

[2] UNHCR, August 2015: Syrian Refugees – Inter-Agency Regional Update

[3] Unicef, August 2015: Syria Crisis – Monthly Humanitarian Highlights & Results (PDF)

[4] EU Observer, 23.09.2015: Six member states slash food aid for Syrian refugees (to zero)