Auch Belgiens Klimapolitik verstößt gegen die Menschenrechte

Das belgische Gericht erkennt Klagebefugnis von jedem einzelnen an, aber nicht von Bäumen

In immer mehr Ländern sind Klimaklagen erfolgreich. Dabei begeben sich die Gerichte auf juristisches Neuland. Noch bewegen sie sich dabei aber meist in den Grenzen eines anthropozentrischen Rechtsverständnisses wie das Gericht in Belgien.

Ein Gericht erster Instanz in Brüssel hat letzte Woche entschieden, dass die Regierung Belgiens und die Regierungen von Brüssel, Flandern und Wallonien gegen belgisches Recht und gegen die Menschenrechte verstoßen. [1] Der Grund dafür ist das Verfehlen der Klimaziele. Im Rahmen der Lastenteilung innerhalb der EU musste Belgien seine Emissionen bis 2020 um 15 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 reduzieren. Tatsächlich sind diese Emissionen aber nur um 11 Prozent gesunken. Damit verstoßen die belgischen Regierungen gegen Artikel 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (ERMK). Diese Artikel garantieren das Recht auf Leben und das Recht auf Privat- und Familienleben. Zudem verstoßen die Regierungen gegen belgisches Recht, weil sie ihre Sorgfaltspflicht verletzen.

Rechtlos. Der belgische Hallerbos Wald ist bekannt für seinen Teppich aus Hasenglöckchen. Rechte verleiht ihm das aber keine. (Foto: Linda De Volder / Flickr)

Damit geht das belgische Gericht nicht so weit wie das Bundesverfassungsgericht und das oberste Gericht der Niederlande in ihren Klimaurteilen. In Deutschland und den Niederlanden wurden die Klimaziele als unzureichend eingestuft – in Deutschland, weil die Freiheitsrechte junger Menschen unverhältnismäßig eingeschränkt werden und in den Niederlanden, weil die Menschenrechte verletzt werden. Das belgische Gericht lehnte es denn auch ab, den Regierungen schärfere Klimaziele vorzuschreiben. Dies stünde einem Gericht aufgrund der Gewaltenteilung nicht zu. Die gemeinnützige Organisation Klimaatzaak, die die Klage angestrengt hatte, plant daher in Revision zu gehen und den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu bringen. [2] Letzteres sei möglich, weil das Revisionsgericht mehr als neun Jahre brauchen könnte, um den Fall zu entscheiden.

Bemerkenswert sind beim belgischen Urteil die Entscheidungen zur Klagebefugnis. Das Gericht urteilte, dass sowohl die Organisation Klimaatzaak als auch die 58.000 Belgier, die die Klage unterstützten, klagebefugt sind. Das ist nicht selbstverständlich. In Belgien sind Klagen im öffentlichen Interesse nicht möglich. Ein Kläger muss zeigen können, dass er ein direktes, persönliches Interesse hat. Beim Klima trifft das aus Sicht des Gerichts für jeden Menschen in Belgien zu. Klimaatzaak nannte das Urteil aus diesem Grund „historisch“. [2] Nicht klagebefugt sind hingegen Bäume. Anwälte wollten sich im Namen von 82 geschützten, „langlebigen“ Bäumen ebenfalls an der Klage beteiligen, um deren „Interessen“ zu vertreten. [3] Das Gericht verpasste allerdings die Gelegenheit hier Rechtsgeschichte zu schreiben: Bäume seien keine „Rechtspersonen“ und hätten daher keine „Rechte“ und folglich auch keine Klagebefugnis, entschieden die Richter. [1]

Der Versuch der Natur Rechte einzuräumen, ist damit vorerst gescheitert. Abwegig war der Versuch allerdings nicht. In Neuseeland wurden einem Wald, einem Fluss und einem Berg per Gesetz der Status einer Rechtsperson verliehen und in Kolumbien hat das Verfassungsgericht dem Rio Atrato und dem Amazonas Regenwald ebenfalls diesen Status zuerkannt. [4] Die Idee geht auf den Rechtsprofessor Christopher Stone zurück. Dieser schrieb im Jahr 1972 in einem Artikel mit dem Titel „Should Trees Have Standing?“ (Sollten Bäume Klagebefugnis haben?): „Ich schlage vor, dass wir Wäldern, Meeren, Flüssen und anderen ‚Objekten der Natur‘, ja der ganzen natürlichen Umwelt, formelle Rechte gewähren.“ [5] Die Natur wäre damit nicht länger ein Objekt, dessen Wert sich einzig an seiner Nützlichkeit für den Menschen bemisst, sondern ein Subjekt mit einem Eigenwert. Sollte sich diese Rechtsauffassung eines Tages durchsetzen, könnte die Atmosphäre selber gegen die Nutzung als Endlager für Treibhausgase klagen. Noch ist es aber nicht soweit, sondern es geht um die Menschenrechte der Belgier. mic

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Dann abonnieren Sie doch weltinnenpolitik.net per RSS oder Email
oder folgen sie der Facebook Seite

[1] Tribunal francophone de Bruxelles, 17.06.2021: Jugement (PDF)

[2] Klimatzaak, 17.06.2021: Le juge donne raison à l’Affaire Climat, mais n’impose pas d’objectifs concrets

[3] Hendrik Schoukens, Gwijde Vermeire, 03.05.2019: Requete en intervention volontaire (PDF)

[4] wip, 10.11.2018: Welche Rechte hat ein Fluss, Baum oder Berg?

[5] Christopher Stone, 1972: Should Trees Have Standing? Toward Legal Rights for Natural Objects (PDF)